👃Künstliche Nasen👃

in #deutsch5 years ago

Liebe Steemianer,
mit künstlichen Nasen meine ich nicht den physikalisch-ästhetischen Ersatz einer (durch Krebs, Unfall, Infektion u. dergleichen) verlorengegangene Nase. Bei dieser Art der Wiederherstellung kann man entweder über „Tissue Engineering“ neuen körpereigenes Gewebe als Nase wiederaufbauen (siehe Bild 1) oder eine neue aus meist Silikon rekonstruieren (sog. Nasenepithese).

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Tissue Engineering Quelle

Nein, ich meine damit einen Sensor, der die Funktion des Riechens simuliert und die Geruchssignale entsprechend interpretiert, was ungleich schwieriger zu bewerkstelligen ist. Man spricht in diesem Fall auch von einer "elektronischen Nase". Sehen und hören sind ja längst digitalisiert. Das Riechen aber stellt Computer noch vor ziemliche Herausforderungen.

Wie wir riechen

Nur ca. 5cm² der Nasenschleimhaut macht die am Dach der Nasenhöhle befindliche Riechschleimhaut aus, in die rund 25 Millionen Riechsinneszellen eingebettet sind, die Sinneszellen des Geruchssinns, im Prinzip umgebaute Nervenzellen mit 5–20 Härchen mit speziellen Geruchsrezeptoren an den Dendriten. Beim Menschen gibt es 200 bis 400 verschiedene Typen von Riechsinneszellen mit unterschiedlichen Geruchsrezeptoren. Die Rezeptormoleküle sind sehr spezifisch und wechselwirken nur mit wenigen Gasen.
Hunde haben übrigenes 250 Millionen Riechsinneszellen , was ihren wesentlich besseren Geruchssinn erklärt.

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Vereinfachte Darstellung des Riechens Quelle: file:///D:/downloads/45-04%20(1).pdf

Gelangt ein Duftmolekül (über Nase oder Mund) an diese Riechhärchen, entsteht über chemische Reaktionen ein Aktionspotential in der Riechsinneszelle, das an den Riechkolben weitergeleitet wird. Die Rezeptormoleküle in den Härchen sind sehr empfindlich, sodass wenige Gasmoleküle zur Aktivierung einer Riechzelle reichen. Im Riechkolben (der bereits Teil des Gehirns ist) befinden sich die Mitralzellen, die die Signale von gleichartigen Riechzellen verstärken und integrieren, wobei jede Mitralzelle für einen bestimmten Geruch steht. Diese gebündelten Signale aus dem Riechkolben gehen dann als Tractus olfactorius (=Riechbahn, de facto die Axone der Mitralzellen) direkt in die einzelnen Gehirnzentren. Durch mehrfache Aufzweigung werden mehrere Gehirnzentren erreicht, nicht nur die für die bewußte Riechwahrnehmung, sondern auch unbewusst arbeitenden Gehirnareale. Unter anderem werden Riechempfindungen im limbischen System verarbeitet, was auch die starke emotionale Verknüpfung des Geruchssinnes erklärt. Diese unbewussten Wahrnehmungen sorgen unter anderem dafür, dass angeblich in Gemeinschaft lebende Frauen ihren Menstruationszyklus synchronisieren und dass wir jemanden "nicht riechen" können. Auch dass Inzucht so selten vorkommt, liegt vermutlich daran, dass sich nahe Verwandte nicht gerne "riechen", also dass bestimmte geruchsrelevante Moleküle im Schweiss naher Verwandter zu einer unbewussten Aversion führen. Im Gehirn passiert aber auch eine Bewertung und Priorisierung. Zum Beispiel werden manchmal Moleküle, din in nur geringen Konzentrationen vorhanden sind stärker wahrgenommen als solche, die weit höher konzentriert sind. Diese Nachbearbeitung durch das Gehirn wird in der Kindheit über Jahre erlernt und ist essentiell. Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass die Reaktion auf manche Gerüche angeboren ist.

Elektronische Geruchssysteme

Da ein wesentlicher Teil des Riechens die Interpretation und Bewertung im Gehirn ist, ist es eigentlich unmöglich, von einer elektronischen Nase zu sprechen, solange keine interpretatorische Instanz gegeben ist. Andererseits können technische Systeme uns Dinge ermöglichen, die unseren Geruchssinn übertreffen, z.B. das für uns geruchlose, aber gefährliche Gas Kohlenmonoxid (CO) erkennen und ab einer bestimmten Konzentration Alarm schlagen.
Meist werden 6 bis 40 verschiedene Sensortypen eingesetzt, die einen möglichst großen Bereich aller gasförmigen Verbindungen in der Luft abdecken sollen. Es gibt mehrere Ansätze, Sensoren auf der Basis halbleitender Metalloxiden (MOX-Sensoren), Sensoren mit elektrisch leitenden Polymeren, sowie Sensoren, die einen Masseneffekt verwerten, ohne jetzt auf technische Details einzugehen. Jeder dieser Sensorentypen hat seine Vor- und Nachteile. Die Gassensoren sind meist auf Mikrochips aufgebracht (Sensor-Arrays), daher auch teilweise die Bezeichnung Chemosensor-Arrays anstatt elektronische Nase. Je nach Geruch entsteht ein Muster, dass dann von Computersoftware erkannt wird. Ein Problem bei Gassensoren ist die Messstabilität der Sensoren über längere Zeiträume (es wäre mühsam, die Arrays ständig neu kalibrieren zu müssen. Generell ist die Kalibrierung von elekronischen Nasen ein Problem, da Schwankungen bei mehrmaliger Messung und Unterschiede zwischen einzelnen Labors beträchtlich sein können.

Das heutige Einsatzgebiet elektronischer Nasen ist die Überwachung "problematischer" Geruchsquellen wie Industrieanlagen, Klärwerke oder Müllentsorgungsbetriebe. Aber auch in vielen Autos gibt es elektrische Lüftersteuerungen, die, abhängig von der Umgebungsluft, die Zuluft absperren (z.B. in Tunnels oder bei Stau). Weitere Einsatzgebiete sind der Nachweis des Gebrauchs von Cannabisprodukten und zur Qualitätssicherung bei der Produktion bestimmter Produkte, um Abweichungen von standartisierten Gerüchen zu erkennen Quelle.

Aber wie cool wäre es, einen kleinen Chemosensor im Handy oder ein Gerät zu haben, das im Supermarkt zuverlässig feststellt, ob ein Obst verdorben ist, oder der Fisch noch frisch ist, wie bei dieser Konzeptstudie des Designers Hee Tae Yang?
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Quelle

Oder wenn es winzige Sensoren in Kabelschächten gäbe, die vor einem Kabelbrand warnen, noch bevor er entsteht? Oder wenn unser Smartphone Alarm schlägt, wenn wir zu stark "duften", noch bevor wir selbst es merken?

Erste Erfolge

Auch bei der Entwicklung künstlicher Geruchssysteme geht kein Weg an AIs vorbei und in vielen Fällen gab es schon echte Durchbrüche. Schon 2011 wurde Deep Learning bei "e-nose data" angewendet Quelle.
Lavi Secundo, ein Forscher am israelischen Weizmann-Instituts für Wissenschaften, und sein Team trainieren eine AI mittels Deep Learning, einen Wortbestand für das Riechen zu entwickeln. Sie trainieren die künstliche Nase, die Gerüche in allgemeinsprachlichen Begriffen zu beschreiben, ohne auf spezifische chemische Beschreibungen zurückzugreifen Quelle.
Auch das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeitet an einer Elektro-Nase. Die Karlsruher „Nase“ besteht aus einem Sensorchip, auf dem Nanodrähte aus Zinndioxid auf vielen einzelnen Sensoren angebracht sind. Duftmoleküle führen zu Widerstandsänderungen der Einzelsensoren, deren Muster eingespeichert werden können, und dann beim nächsten Mal erkannt werden. Schon 2015 wurde im EU-Projekt "Smoke Sense" ein intelligenter Brandmelder auf dieser Basis entwickelt. Er spürt Schwel- und Brandgase auf und zeigt an, um welches brennende Material es sich handelt Quelle.

Manchmal wird auch von der Natur abgekupfert. Matthew Staymates vom National Institute of Standards and Technology (NIST) in Maryland hat Hunden genau aufs Maul bzw. eher auf die Nase geschaut und die besondere Schnüffelmechanik untersucht. Die ausgeatmete Luft strömt seitlich und in Richtung des Hundebauchs davon, dadurch entsteht vor der Hundenase ein leichter Unterdruck, der zusätzlich Luft des zu Erschnüffelnden ansaugt. Dann hat er die Schnauze eines Labrador-Retriever-Mischlings im Computer modelliert, mit einem 3d-Drucker ausgedruckt und einem handelsüblichen Messgerät aufgesetzt. Das Ergebnis war eine bis zu 18-fache Verbesserung der Riechleistung Quelle.
Apropos Hunde, diese können ja die Atemluft von Lungenkrebspatienten von denen von Gesunden unterscheiden (mit einer Trefferquote von ca. 70%) Quelle. Zwar weiss kein Mensch, woran sie das erkennen, aber theoretisch könnte eine ausreichend mittels AI trainierte elektronische Nase ebenfalls Lungenkrebs erkennen, selbst wenn wir nicht wüssten, wie sie das schafft (Blackbox-Problem in der AI, mehr dazu hier). Erste Erfolge in der medizischine Diagnostik für elektronische Nasen gab es unter anderem bei der Diagnose von Gallensäuredurchfall (BAD) und Harnwegsinfektionen.

Eine interessante Anwendung ist die der Pflanzenbestimmung. Bestimmte Arten von Dendrobium, einer Orchideenfamilie, werden in der Chinesischen Medizin benutzt (unter anderem zur Krebstherapie). Daher besteht ein starkes Interesse, die Pflanzenextrakte, die meist getrocknet oder als Pulver vorliegen, korrekt zu bestimmen, um einen medizinischen Nutzen davon zu haben. Eine E-Nase schaffte es, 10 verschiedene Dendrobium-Arten mit einer Trefferrate von 80% zu erkennen Quelle. Auch die Klassifizierung hochwertiger Schwarzteesorten aus dem indischen Kangratal wurde mit E-Nasen optimiert Quelle.

Je mehr man im www sucht, derso unüberschaubarer werden die Einsatzgebiete elektronischer Nasen. Es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis sich diese Technologie auch im Alltag durchsetzt.

Übrigens, den Körpergeruchsmesser gibt es schon, entwickelt von der japanischen Firma Tanita. Das Tanita ES-100 gibt die Intensität des eigenen Geruches auf einer Skala von 1-10 an, schlägt aber ebenso aus durch zu starkes Auftragen von Deos oder Parfums. Der Sensor schafft ca. 2000 Messungen, bevor er ausgewechselt werden muss und kostet rund 100€ Quelle.

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Quelle

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Ja, das ist ein interessantes Thema. Im Prinzip versucht man, künstliche Hunde zu bauen - die aber nicht müde werden oder keine Lust mehr haben oder solche Sachen.
Die Anwendungsmöglichkeiten sind enorm vielfältig. Man muß halt nur den passenden Sensor für das gesuchte Molekül entwickeln. Davon gibt es allerdings unglaublich viele.
Die Gerüche zu identifizieren muß eigentlich nicht der Computer lernen, sondern wir Menschen. Denn wir haben ja das genau gegenteilige Problem zur elektronischen Nase - wir wissen wie ein Geruch heißt, aber nicht woraus er besteht. Aber das läßt sich feststellen, ist halt Fleißarbeit.

Muss auch n geiles Gefühl sein wenn deine Nase irg wo in deiner Stirn verschwindet ;)

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Ist zwar nur vorübergehend, aber stelle ich mir auch vor, dass das das Sozialleben etwas einschränkt.

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