Lektionen aus einer europäischer Gemeinschaftswährung

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Die meisten Menschen halten Geschichte für Langweilig. Es ist die Lehre von Dingen der Vergangenheit und dem was passiert, wenn Menschen mit weniger Ahnung als wir heutzutage, scheitern. Wieso sollte man sich also auf Ereignisse der Vergangenheit konzentrieren? Wir haben immerhin in der heutigen Zeit mehr als genug Probleme als das wir uns um den alten Staub der Vergangenheit befassen sollten! Solche Einstellungen hört man leider immer wieder...

Ich finde Geschichte spannend, weil sie es uns erlaubt zu erkennen woran unsere Vorfahren scheiterten und welche Mechanismen funktionierten. Und auch wie unsere Gesellschaft in bestimmten Situationen reagiert. Menschliche Intelligenz erlaubt es uns durch Beobachtung von Ereignissen, Schlussfolgerungen und Prognosen zu erstellen. Zudem denke ich, dass man Geschichte immer im aktuellen Zeitgeist sehen sollte und nicht mit der Arroganz eines modernen Menschen, der eine vermutlich viel größere Informationslage hat als die Menschen früher es je hatten.

Heute möchte ich Euch eine Geschichte erzählen. Von einem kleinen Kontinent in dem die Menschen sich zusammensetzten und erkannten, dass man zu klein sei um sich unterschiedliche Währungen zu leisten. Das eine bevorstehende Neuordnung Europas scheitern würde, wenn jeder sein eigenes Süppchen kochen würde.

Auf Drängen von Frankreich und ersten Verhandlungen verkündete man voller stolz, die erfolgreiche Verhandlungen mit den folgenden Worten:

"Beseelt von dem Wunsch, die Währungsordnung zu harmonisieren und den Zahlungsverkehr zwischen ihren Staaten zu vereinfachen, haben Seine Majestät der Kaiser von Frankreich, Seine Majestät der König von Belgien, Seine Majestät der König von Italien und die Schweizerische Eidgenossenschaft beschlossen, eine Münzunion zu gründen."

Vermutlich ist dies nun der Moment, wo die meisten von Euch anfangen Fragezeichen vor dem inneren Auge zu sehen und zu denken, dass ich Euch keine Geschichte, sondern eher ein Märchen aufbinden würde. Den wieso redet man von Majestäten und wieso ist eigentlich nicht Deutschland mit dabei? Dies ist ein sehr schönes Beispiel dafür, dass unsere Geschichtswahrnehmung extrem selektiv ist und wir oft eben nicht vernünftig mit der Vergangenheit beschäftigen.

Den entgegen der vielleicht initialen Annahme geht es hier nicht um den Euro. Sondern vielmehr um dessen Vorgänger. Eine Währungsunion zwischen einigen Europäischen Staaten, die von 1866 bis 1926 Bestand hatte. Immer noch irritiert? Zu recht, den aus irgend einen Grund scheinen wir diese Zeit vergessen zu haben und kaum jemand hat etwas davon gehört. Weder in der Schule noch von den Eurogegner. Ja, würde es nicht die Münzsammler unter uns geben, die durchaus schon etwas davon gehört haben, würde man gar von einer gesellschaftlichen Verschwörung orwellschen Ausmaßen annehmen müssen.

Die Rede ist dabei von der „Lateinischen Münzunion“. Die erste Wegbereitung war dabei Napoleon, der begann die Währung im Land zu reformieren und neben dem US-Dollar die erste Währung in der damaligen Zeit auf das heute übliche 100er-System umzustellen. Gleichzeitig legte man ein Wertverhältnis zwischen Gold und Silber von 1:15,5 fest.

Gleichzeitig muss man den damaligen Zeitgeist von 1848 in Europa verstehen. Eine neue radikale Staatsform namens Demokratie machte ihre Runde und forderte die bestehenden Monarchien heraus. In Deutschland brannten Barrikaden in den Straßen und Aufständige schwangen eine schwarz-rot-goldene Flagge, was einer offenen Majestätsbeleidung gleich kam. Den es waren nicht die Farben der Monarchie, sondern die der Republik. Überall in Europa keimte Forderungen nach Republiken auf und die meisten Königshäuser billigten Reformen ein um diesen Prozess aufzuhalten.

Überall in Europa stießen liberal-progressive Lager auf konservative monarchistische Strukturen. Auch die Eidgenössische Schweiz wurde davon nicht verschohnt und es kam zum sogenannten Sonderbundskrieg in dem verschiedene Kantone gegeneinander in den Krieg zogen. Verglichen mit vielen anderen Konflikten jener Zeit in Europa hielt sich der Verlust an Menschenleben in Grenzen. Trotzdem erschütterte der Konflikt die Schweiz sehr und sorgte als Ergebnis dafür, dass 1848 die Kantone stark entmachtet wurden und der Eidgenössische Bundessstaat ausgerufen wurde, der auch heute noch existiert.

Dies legte einen wichtigen Grundstein für die Münzunion, da nun nicht mehr die Kantone das Münzrecht hatten, sondern eben der Bundesstaat, der über eine Nationalbank die Herausgabe regelte. Sie führte 1850 den schweizer Franken ein, der nach dem französischen Vorbild des „Francs“ gebildet wurde. Damit kann man sich auch den Namen der heutigen Währung noch herleiten.

Es dauerte jedoch noch einige Jahre bis das Experiment weiter seinen Lauf nahm. Der französische Ökonom „de Parieu“ sah in einem gemeinsamen Währungsraum eine Möglichkeit über die man eine „europäische Union“, die er sich mit einer „europäischen Kommission“ als politische Leitung wünschte.

1865 war es schließlich soweit und Frankreich, Belgien, Italien und die Schweiz einigten sich darauf der Münzunion beizutreten und somit einen normierten Wirtschaftsraum zu etablieren. Nur ein Jahr später im Jahr 1866 tratt der Pakt dann in Kraft. Das Deutschland hier außen vor gelassen wurde, ist nicht wie man zunächst annehmen mag eine Isolation eines französisch dominierten Europas gewesen, sondern man wusste schlichtweg nicht an wenn man sich wenden sollte. Deutschland bestand immer noch aus kleinen Fürstentümern in der jeder seine eigene Suppe kochte und bereits mehrere innerdeutsche Reformen für einheitliche Währungen kläglich scheiterten. Es erscheint daher nicht sinnvoll einen solch zerstückeltes Gebilde mit aufzunehmen.

1868 tratt auch noch Griechenland der Union an. Die Attraktivität von der Münzunion war jedoch so groß, dass in den Jahren darauf viele andere europäische Staaten zwar nicht der Union anschlossen, wohl aber sich mit ihnen assozierten und die Münzregelungen bei sich übernamen. So kamen auch Finnland, Russland, Ungarn-Österreich, Rumänien, Spanien, sowie Teile von Jugoslawien indirekt mit in die Union und akzeptierten die Münzen als Zahlungsmittel für den Austausch.

Gerade die Abwicklung von Geldgeschäften erleichterte sich in diesem gemeinsamen Wirtschaftsraum enorm. Jedoch stabilierte es auch gleichzeitig die Wirtschaft, da eben viele Länder auch ohne der Union beizutreten, ihre Währungen an diese koppelten. Z.B. die Weltmächte Österreich und Russland. Insgesamt war die Münzunion so erfolgreich, dass das zeitliche befristete Experiment nicht wie geplant 1879 wieder auslief, sondern nochmals verlängert.

Da kaum jemand heute von der Union gehört hat und wir sie eben auch nicht mehr haben, kann man sich durchaus herleiten, dass sie scheinbar auch eine Schattenseite hatte. So trug die Union bereits die Saat des Zerfalls in sich. Diese Bestand primär vermutlich darin, dass die Münzen an Gold und Silber gekoppelt waren. Somit kam es intern zu einer Diskreminierung von Münzen. Jene mit besonders reinen Gold wurden gehortet und für die Lagerung genutzt, die billigeren als Zahlungsmittel genutzt.
Was ursprünglich das Vertrauen in die Währung sichern sollte, führte dazu, dass einige der Münzen schlichtweg eingeschmolzen wurden. Dies führte häufig zu einer Knappheit bestimmter Münzen beim Bezahlen.

Viel problematischer erwies sich allerdings das Papiergeld, dass eben auch parallel dazu existieren sollte und bewusst nicht ausgeschlossen wurde. Italien und Griecheland nutzt dies aus um sich entsprechend stark Papiergeld nachzudrucken und damit ihre Inflation anzuheizen. Dies führte dann dazu, dass die wertvolleren Münzen der Union zunehmend aus diesen Ländern abflossen in jene Länder mit geringerer Inflation. 1893 beantragte Italien daher eine Nationalisierung der Silbermünzen der Union. Die Münzen wurden von anderen Ländern weiterhin akzeptiert, waren aber kein gesetzliches Zahlungsmittel mehr. Vielmehr sammelte man diese und schickte diese zurück nach Italien. Die anderen Ländern erhielten dafür eine Entschädigungszahlung. Ähnlich folgte auch bald Griechenland dem italenischen Vorbild.

Und so kam es eben dazu, dass einige Staaten zunehmend Probleme hatten in der Münzunion zu verweilen, da einige der Grundsätze nicht stabil gewählt waren. Doch das Genick der Union wurde durch eine ganz andere Sache gebrochen. 1914 begann der erste Weltkrieg und veränderte das Gesicht Europas nachhaltig. Alle Kriegsparteien brauchten nun Unmengen an Geld um sich an dem maschinelle Schlachten in den Gräben zu beteiligen. Die Druckerpressen liefen unentwegt um über Papiergeld liquide zu halten. Teile des ursprünglichen Vertragswerkes wurden nach und nach aufgeweicht um den Ansprüchen genüge zu tun.

Der Schaden der Entstand war so groß, dass es auch nach dem Krieg nicht wieder zu einer Stabilisierung führte. 1926 kündigte Belgien als letztes noch verbleibendes Land neben den Schweizern die Mitgliedschaft in der lateinischen Münzunion auf. Die Eidgenossen standen nun alleine da und setzen zum Jahreswechsel die Münzen der anderen Staaten außer Kurs. Somit endete mit dem Jahr 1926 die Münzunion und geriet sicherlich gerade wegen der Schrecken die Europa erst noch bevorstanden in Vergessenheit.

Liest man nun ein wenig über die Union in der heutigen Zeit, stellt man erstaunt fest, wieviele Paralleln es gerade zu unserer heutigen Europäischen Union gibt. Gerade die gedanklichen Grundsätze der Vordenker der damaligen Zeit prägen uns noch bis heute. Und während die Vision einer echten Europäischen Union mit einer eigenen politischen Leitung bereits real geworden ist und wir den größten zusammenhängenden Wirtschafts- und Währungsraum im Europa haben, sägt man auch heute wieder an den Eckpfeilern und jeder versucht sich das Konstrukt zum eigenen Vorteil zu verbiegen.

Ich würde tatsächlich gerne mit einigen der Akteure der damaligen Zeit Abends mal ein Bierchen trinken gehen und sie zu unserem heutigen Konstrukt zu befragen. Wären sie wohl begeistert über das, was wir geschaffen haben? Oder wären sie vielleicht sogar darüber schockiert, dass es soviel Widerstand gegen ein solch einheitliches Europa gäbe? Was würden sie uns wohl als Tipp auf den Weg geben, was wir verbessern müssten. Und was würden sie wohl sagen, wenn man ihnen die Bilder eines zerstörten Europas zeigen würde, dass vielleicht nie passiert wäre, wenn sie sich noch stärker auf Ihre Vision konzentriert hätten.

Wer bei den Standpunkten in der heutigen Zeit recht hat, lässt sich vermutlich erst aus der Zukunft heraus vernünftig beurteilen. Doch sollten wir uns als „moderne Menschen“ nicht so arrogant verhalten und denken, dass jene Menschen vor uns nicht mit aus ihrer Sicht edlen Zielen und Idealen ihre Entscheidungen getroffen haben. Wir sollten uns zumindest die Zeit dafür nehmen uns mit den Gründen für ihr Scheitern zu befassen und zu sehen, was wir bei uns ändern müssen um es zu verbessern.

Den auch in den Schützegräben des 1. Weltkrieges gibt es gut dokumentierte Nachrichten von Soldaten, die erst dort in ihrem Elend sich bewusst wurden, was für Schrecken vergangene Generationen wohl bereits in den Schlachtfeldern durchlebt hatten. Es wäre daher fatal, würden wir auch unser Experiment Europa (das ohne zweifel extrem viele Schwachstellen hat!) einfach so aus Trotz und Stolz gegen die Wand fahren ohne zumindest zu versuchen es irgendwie zu kitten.

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Sehr interessant diese Münzunion. Hatte auch noch nie etwas davon gehört. Schade dass wir Schweizer am Schluss ganz alleine da gestanden sind. Aber dass das nicht gut gehen kann, war spätestens klar, als manche anfingen viel Geld zu drucken.

Ich hoffe der Euro wird nicht so enden, aber wer weiss das schon. Leider begeht die Menschheit immer und immer wieder die gleichen Fehler.

Ja, ich finde das Ende eigentlich auch recht Schade. Gerade weil eben die Schweiz nicht in den ersten Weltkrieg reingerutscht ist und damit eigentlich eine solide Position hatte anschließend darüber eine Neuordnung zu schaffen. Aber in der Zeit danach war das Chaos wohl in Europa zu groß, da alle größeren Blöcke anfingen die bestehenden Strukturen zu kippen, da wäre es wohl auch zuviel Abenteuer gewesen.

Vermutlich ist das aber eben auch der Grund, wieso sich die Schweiz eben auch nicht auf das Euro-Experiment mehr eingelassen hat, weil man eben schon einmal die Finger daran verbrannt hat. Ein wenig Schade ist das irgendwie immer schon, wenn man die Schweiz umringt von EU sieht.

Nun die Druckpressen laufen momentan ja auch wieder auf Hochtouren. Der Euro wird diesmal vermutlich nicht an finanziellen Dingen scheitern, sondern eher am politischen Willen. Das Problem der EU ist eben, dass man dort viele Selbstdarsteller hat, die sich vorwiegend nur auf innerwirtschaftliche Positionen beziehen.

Einer der Lektionen aus der Münzunion war es, dass man einen einheitlichen Wirtschaftsraum schaffen muss. Als EU würde dies bedeuten, dass man strategische Investitionen in Strukturschwachengebieten vornehmen würde. Gezielt die Stärken der Gebiete fördert, während man gleichzeitig strenge Forderungen daran bindet.

Vermutlich werden wir hier in Europa aber unter den Fluch leiden, dass wir unseren Pluralismus nie als Stärke, sondern immer nur als Schwäche begreifen. In dem mehrere Münder nicht mehr Ideen bedeuten, sondern einfach nur mehr Widerworte. In einem solchen Fall werden wir irgendwann definitiv wieder einen sehr schrecklichen Preis dafür zahlen wollen.

Das ist okay ... aber die Leute sollten das schon im Hinterkopf haben, wenn sie teilweise hahnebüchende Forderungen und Wünsche äußern. Das Ziel sollte es sein den Kontintent zu befrieden und eben nicht in die von Napoleon oder Hitler angestrebte Hegemonie zu zwingen.

Sehr guter Artikel. Danke dafür. Das 19. Jahrhundert war eine recht interessante Zeit.

Habe den Artikel bei dem Deutsch-Curation-Bot eingetragen.

Vielen Dank :)

Ja, dass 19. Jahrhundert ist extrem interessant. Vieles ist noch nicht thematisch so ausgelutscht wie das 20. Jahrhundert und es lässt sich vieles interessantes noch "entdecken". Gleichzeitig ist es aktuell genug das es noch nicht eine "ferne Zeit ist", sondern man doch über Familien durchaus noch Kontakt in diese Zeit hin finden kann. Ich denke das macht seinen speziellen Reiz aus.

Sehr interessanter Artikel. Ich glaube, dass viele kein Interesse an Geschichte haben, liegt an der langweiligen Vorstellung in der Schule. Geschichte ist (war) Leben und so muss sie auch erklärt werden. In der Schule werden die Themen nur langweilig präsentiert.

Ich habe durchaus Geschichte in der Schule gemocht. Aber vielleicht habe ich auch einfach nur Glück mit der Lehrerin gehabt. Gerade in der heutigen Zeit gibt es aber eben auch eine Vielzahl gut aufgearbeiteter Dokus mit denen man sich Abends seicht berieseln lassen kann und nebenher noch etwas lernt.

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