Schach – Genie und Wahn

in #steemchess6 years ago (edited)

Liebe Steemianer,
diesmal keine Rätsel (OK eines ist doch dabei!), sondern einiges Interessantes und (meist) Witziges zu drei ehemaligen Schachweltmeistern.

Wilhelm Steinitz (*1836 in Prag – † 1900 in New York)


Der Österreich-Amerikaner Steinitz war der allererste Schachweltmeister (1886 bis 1894). Er ist auch der Begründer der modernen Schachtheorie, da er als erster auch heute noch gültige strategisch-positionelle Grundsätze mittels seines wissenschaftlichen Ansatzes formulierte. Seine höchste historische ELO-Zahl war 2826.


Quelle

Er kam aus ärmlichen Verhältnissen und finanzierte sein Mathemathik-Studium in Wien unter anderem mit dem Schachspiel. Bei Schnellpartien um Geld zu spielen, war in den Kaffeehäusern Europas damals populär. Später spielte er auch in London um Geld. Einen englischen Geschäftsmann, der gern, aber sehr schwach spielte und über Wochen ständig verlor, wollte Steinitz einmal gewinnen lassen (mit der Überlegung, weil er ansonsten sein Interesse am Spiel verlieren würde und daher als Einnahmequelle ausfiele). Er stellte daher im nächsten Spiel seine ungedeckte Dame dem Gegner hin. Nach sechs Zügen bemerkte dieser es und schlug die Dame. Daraufhin gab Steinitz auf, schob die Schachfiguren zusammen und fing an, sie für das nächste Spiel aufzustellen. Der Gegner aber schrie nur: "Ich habe den Weltmeister besiegt! Ich habe den Weltmeister besiegt", rannte aus dem Kaffeehaus - und ist nie wieder aufgetaucht!
Steinitz war auch sehr selbstbewußt bis überheblich (viele viele Schachgrößen). Während eines Wettkampfes wurde er einmal gefragt, wie er denn seine Chance sehe, das Turnier zu gewinnen. Er soll geantwortet haben: "Ich habe die besten Aussichten, den ersten Preis zu gewinnen, denn jeder muss gegen Steinitz spielen, nur ich nicht!"

Gegen sein Lebensende hin und auch durch die Verbitterung über den Verlust seines Weltmeistertitels verließ Steinitz sein so brillanter Verstand (er wurde mehrmals psychiatriert). Um zu beweisen, dass er noch der beste Spieler aller Zeiten war, wollte Steinitz unbedingt gegen Gott spielen. Weil er restlos von sich selbst überzeugt war, bot er Gott sogar einen Bauern und einen Zug als Vorgabe an.
Offensichtlich bestand Gott auf einem Heimspiel - Steinitz reiste zu diesem auch kurze Zeit später ab. Man wird nie erfahren, wie das Spiel ausgegangen ist…

Dr. Emanuel Lasker (1868 in Barlinek, Polen- † 1941 in New York)


Lasker war der zweite Weltmeister nach Steinitz (der bislang einzige deutsche Schacnweltmeister) und ausserdem derjenige, der den Titel am allerlängsten trug (27 Jahre, 1894 bis 1921!). Ebenso wie Steinitz studierte er Mathemathik und übersiedelte nach New York, wo er seine größten Erfolge feierte und den Rest seines Lebens verbrachte. 1894 erreichte er eine (historische) ELO-Zahl von 2878.

lasker.jpg
Quelle

Lasker war vor allem für seine Endspiel- und Verteidigungskünste berühmt. Wobei ihn die Theorie im Gegensatz zu Steinitz gar nicht interessierte, sondern die Psychologie! In einer Biographie über ihn heißt es: „Lasker hat nicht der wissenschaftlich richtige Zug interessiert, sondern immer nur der für den konkreten Gegner unangenehmste Zug.“
Manche behaupten sogar, Lasker hätte manchmal gezielt schlechte Züge ausgeführt, um seine Gegner außer Fassung zu bringen. Wie stark muss jemand spielen, damit die Leute glauben, die schlechten Züge würden freiwillig gespielt!
Apropos Schachpsychologie: Vor langer Zeit spielte ich in einem Schachverein (heute spiele ich nur mehr online), und da war die Beobachtung des Gegners manchmal schon aufschlussreich hinsichtlich der Beurteilung der Stellung. Die wenigsten Schachspieler sind Pokerspieler, sondern da gab es immer wieder kleinere Wutausbrüche oder Kopfschütteln über schlechte Züge (bzw. wenn die Erkenntnis gereift war, dass der gerade gemachte Zug ein schlechter war). Manchmal (ich war jung und dumm) versuchte ich mich darin, trotz guter Stellung durch plötzliches Haare raufen, etc. einen vermeintlich gemachten Patzer vorzutäuschen, was teilweise zu erhöhtem Bedenkzeitverbrauch beim Gegenüber führte. Ich ließ es dann aber bleiben, da es mich in Summe mehr abgelenkt hatte als meine Gegner 😊.
Zurück zu Lasker. Es bleibt bis heute umstritten, ob er tatsächlich gezielt seine Gegner verwirren wollte, oder es wirklich nur Fehler waren, da er die durch mangelndes Eröffnungswissen erreichten schlechteren Stellungen dann mit seinen überragenden Verteidigungskünsten kompensieren konnte.

Eine seiner besten Partien ist die gegen den Amerikaner Harry Nelson Pillsbury aus dem St. Petersburger "Viermeister-Turnier " von 1896, in der er beide Türme opferte:
lask.JPG
Lasker (schwarz) hatte seinen 2. Turm geopfert und Pilsbury nahm das Opfer in dieser Stellung mit 28. Kxa3 an. Darauf kündigte Lasker ein Matt in 5 Zügen an (Partie zum nachspielen).

Findet Ihr das Matt?

Bobby Fischer (*1943 in Chicago - † 2008 in Reykjavík)


Zweifellos war Fischer eines der größten Schachgenies aller Zeiten. Wie so oft ist Genie und Wahn eng gekoppelt, so auch bei Fischer. Seine Schachkarriere ging beispielhaft steil nach oben, um aber auf dem Gipfel plötzlich ins Bodenlose zu fallen. Seine beste ELO-Zahl war 2785.
Hier eine Glanzpartie aus 1956, die als die „Partie des Jahrhunderts“ in die Schachgeschichte einging und bei der er erst 13 Jahre alt und noch unbekannt war:
fischer.JPG
Fischer mit schwarz am Zug spielt hier 17. … ♝g4-e6!! und opfert seine Dame für einen furiosen Angriff (Partie zum nachspielen).

Nur 10 Jahre später brachte Fischer ein Lehrbuch namens Bobby Fischer Teaches Chess (dt. „Bobby Fischer lehrt Schach“) heraus, das bis heute das weltweit meistverkaufte Schachbuch ist. Sein 1969 erschienenes Buch My 60 Memorable Games (dt. „Meine 60 denkwürdigen Partien“) gilt noch heute als eines der besten Schachbücher.

Fischer ist auch für seine markigen Zitate bekannt, die teils schon (größen)wahnsinnige Züge erahnen lassen:

„Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich sehe, wie sich mein Gegner im Todeskampf windet.“

"Computer sind einzigen Gegner, die nicht immer eine Ausrede auf Lager haben, wenn sie gegen mich verlieren.“ (damals waren die Schachprogramme noch auf einem niedrigeren Niveau!)

Bei einem Turnier ging Fischer mit nachdenklichen Gesicht umher. Als er gefragt wurde, was denn passiert sei, antwortete Fischer: "Ich stehe schlecht". Auf den Rat hier, doch Remis anzubieten, Fischer darauf: "So schlecht stehe ich nun wieder nicht!“
Nach dem Match gegen Mark Taimanow 1971, das Fischer sensationell 6:0 gewonnen hatte, wurde er von einem Kollegen gefragt "Was hältst du von Taimanow´s Spiel?". Fischer antwortete "Ich glaube, er spielt ganz gut - Klavier!"
Bereits 1963 wollte er ein Buch herausbringen mit dem Titel "Wie ich Weltmeister wurde". Tatsächlich wurde er erst 1972 Weltmeister, in dem legendären „Match des Jahrhunderts“ gegen Boris Spasski.

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Fischer fixiert seinen Gegner während der Schachweltmeisterschaft 1972 - neben dem Kampf auf dem Schachbrett war dieser Wettkampf zwischen USA und Russland mitten im im Kalten Krieg emotional extrem aufgeladen und erregte weltweite Aufmerksamkeit jenseits der Schachwelt!
Quelle

Nachdem er Weltmeister wurde, bestritt er (bis auf einen Schaukampf gegen Spasski 20 Jahre später) nie wieder ein offizielles Spiel mehr (wodurch ihm auch der Weltmeistertitel 1975 aberkannt worden war). Außerdem wurde er zunehmend antisemitisch, amerikafeindlich und paranoid, sodass ihm auch die US-Staatsbürgerschaft aberkannt wurde und er seine letzten Jahre im Asyl in Island verbrachte. Eine zutiefst tragische Person!

Am verblüffendsten finde ich den Zufall(?), dass im Erstlingswerk von Elias Canetti, „Die Blendung“ aus dem Jahre 1932 ein buckliger Zwerg namens “Fischerle” vorkommt, der sich für ein Schachgenie hält und davon träumt, als Schachweltmeister in Amerika zu leben, unter dem Namen “Fischer”.

Quellen:
http://buchenwallduern.de/HompageArchive/Sonstiges/anekdoten.html#26
https://de.wikipedia.org/wiki/Schachpsychologie
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Steinitz
https://de.wikipedia.org/wiki/Emanuel_Lasker
https://de.wikipedia.org/wiki/Bobby_Fischer


PS: Nicht vergessen, jeden Samstag 22-23h (CET) das von @schamangerbert organisierte Steemchess Blitzschachturnier!
Jeder kann mitmachen! Alle Infos hier:
https://steemit.com/steemchess/@schamangerbert/reminder-steem-blitz-chess-tournament-saturday-01-september-20-gmt-erinnerung-steem-blitz-schach-turnier-samstag-01-september-22

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Da ich beim Thema Schach zumindest über rudimentäre Kenntnisse verfüge, hat mir das Lesen deines Artikels viel Freude gemacht! Und ich habe dabei einige für mich neue Informationen mitgenommen.
Herzlichen Dank.

Freut mich sehr!

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Gruß

GermanBot

Klasse erzählt!

Ich hab' die Partien mal im "Schnelldurchlauf" nachgespielt, das sind wirkliche Schätzchen dabei.

Am verblüffendsten finde ich den Zufall(?), dass im Erstlingswerk von Elias Canetti, „Die Blendung“ aus dem Jahre 1932...

Die Anekdote war mir gänzlich neu.
Schade, das Buch gibt's wohl nicht in einer freien Version; ich habe zumindest nichts gefunden.

Tja, zu so einem Schachweltmeister gehört schon eine gehörige Portion Gaga...

Sehr schön aufbereitet und spannend erzählt, so macht Schachgeschichte richtig Spaß!

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