Eine freie Gesellschaft braucht ein Fundament. Teil 17

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Heute in Teil 17 der Serie #freie-gesellschaft wie man vom Vertrag zum Gesetz gelangt.

Auf welchen Wegen erwachsen Rechte und Pflichten? Diese Frage beantworten die drei häufigsten Rechtssetzungsakte: die Schenkung (z. B. anlässlich einer Vererbung), die Beraubung (z. B. anlässlich eines Überfalls, als Krieg oder Straßenraub) und der Kompromiss (Übereinkunft anlässlich einer Verhandlung). Außer den Schenkungsakten gibt es also noch zwei Möglichkeiten der Rechtsetzung: die Beraubung (das Recht des Räubers/Siegers setzt sich durch) und der Kompromiss (gegenseitiges Recht aufgrund einer Absprache setzt sich durch).

Ein Kompromiss kommt oft zähneknirschend zustande. Wegen der knirschenden Zähne vergisst man leicht, dass mit dem Kompromiss eine freie und auf Gegenseitigkeit gegründete Einigkeit geschaffen wird. Jeder der Vertragspartner muss Federn lassen. Denn der Kompromiss zwingt den Egoismus beider Vereinbarungspartner dazu, den Egoismus des Anderen in sich aufzunehmen, zwingt ihm also altruistisches Verhalten ab.

Vereinbarungen und Verträge sind auch dann freie Abmachungen, wenn der durch sie erzielte Kompromiss schmerzlich ist . Bei einem Kompromiss hat immer der die besseren Karten, der am wenigsten auf ihn angewiesen ist. Daraus kann aber keine „Vertragsknechtung“ abgeleitet werden. Denn jeder Vertragspartner kann prinzipiell auch nein sagen. Die Rede von „Vertragsknechtung“ ist nur dann statthaft, wenn ein Monopolist Vertragspartner ist, der eine für das individuelle Leben notwendige Leistung erbringt (Ich komme in späteren Teilen nochmal darauf zurück).

Beim Kompromiss kommt das Recht eines Ich in Absprache mit einem Du zustande. Darauf beruht die sozialintegrative und übrigens auch friedensstiftende Kraft freier Kompromisse. Der Handschlag, der einen Kompromiss besiegelt, ist nichts Beiläufiges, sondern das Symbol für erzielte Einigkeit und Frieden. Gegenüber dem freien Kompromiss steht der unfreie (z. B. bei den Vergleichsurteilen staatlicher Gerichte), der nicht mit einem Handschlag, sondern mit einem Machtwort beendet wird.

Absprachen legen bestimmte Nutzungsrechte von Eigentum fest bzw. bewirken dessen Übertragung. Solche Festlegungen und Übertragungen erfolgen in Form von Vereinbarungen. Die Vereinbarungskonsistenz lässt sich stärken durch die Niederschrift des Vereinbarten, in sog. Verträgen. Verträge sind verbriefte Vereinbarungen. Da es in ihnen stets um irgendwelche Eigentumsangelegenheiten geht (einschließlich des Eigentums am eigenen Leib), sind sie „Konnexinstitute des Eigentums“ (Gustav Radbruch, 1970).

Die bindende Macht der Verträge erwächst aus der Beweiskraft des Schriftlichen. Man sagt zwar immer, einen Vertrag schließt man ab, um sich zu vertragen. Aber die wahre Motivation für die schriftliche Abfassung ist der mögliche Streit, verursacht durch Vergessen oder Betrug. Im Streit geht es darum: Was war nachweisbar vereinbart? Der Nachweis des Vereinbarten ist deshalb wichtig, weil es sich auf einen Güter-(Leistungs-) tausch in der Zukunft bezieht, oft sogar in sehr ferner Zukunft. Dann ist es gut, die Vereinbarung liegt als intersubjektiv wahrnehmbares Objekt vor, d. h. in Form eines schriftlich abgefassten Vertrags. Man kann in einem Vertrag die symbolische Objektivation des gegenseitigen Versprechens sehen, eine Vergegenständlichung zum Zwecke intersubjektiver Nachprüfbarkeit in Gestalt eines Dokuments.

Kommt es aufgrund eines Vertrags zu einem Kompromiss, dann setzt sich zweierlei Recht durch: das Recht der einen Partei gegen das Recht der anderen und umgekehrt. Das geschieht durch Anerkennung des Rechts der jeweils anderen Partei und durch Unterwerfung unter dieses. Die Unterwerfung unter das Recht von Anderen beschert den Pflichtbelasteten Einbußen. Sie verlangt ihnen lebensbeschränkende Leistungen ab.

In Friedenszeiten gilt das Gewaltausschlussprinzip (s. Abschnitt Teil 14 der Serie #freie-gesellschaft ). Hier räumen wir uns Rechte aufgrund von Verträgen ein. Der Vertrag ist die einzige Form, bei der das Ich innerhalb der Gesellschaft den ihm von Anderen gewährten Freiraum erhält und bei der es den Anderen Freiräume gewährt.

Wenn Menschen aufgrund von Verträgen ihre Eigentumsverhältnisse ändern wollen, geschieht das stets auf der Basis von mehr oder weniger klar formulierten Redeweisen, etwa der Art: „Ich gebe Dir das und das; dafür gibst du mir so und so viel von dem (z. B. so und so viel Sack Mehl, so und so viel Geld). Bist Du damit einverstanden? Können wir auf dieser Basis handelseinig werden?“ Beim Zustandekommen von Verträgen kommen also zwei Arten zwischenmenschlichen Verkehrs ins Spiel: die Kommunikation und das damit intendierte Handeln.

Will jemand die Rechtsverhältnisse ändern, dann muss er sich Leute suchen, die dies ebenfalls wollen und die zudem Gefallen an dessen Offerten finden. Freie Vereinbarungen kommen nur zustande auf der Basis kommunizierter Vereinbarungsbereitschaft aller an der Vereinbarung Beteiligten. Denn jede Partei soll am Ende zum Vorteil und zur Zufriedenheit der anderen leisten.
Vereinbarungen und Verträge legen ein gegenseitiges Geben und Nehmen fest. Jeder Vereinbarungs-/Vertragspartner gibt und nimmt zugleich. Der Kern einer Vereinbarung oder eines Vertrags ist ein gegenseitiges Versprechen mit dem Ziel, eine für beide Partner verbesserte Eigentumssituation zu schaffen, eine win-win-Situation.

Gegenstand der Verträge ist das gegenseitige Leisten im Tausch. Jeder Tausch hat eine rechtliche Komponente. Er ist nicht nur ein ökonomischer, sondern zugleich auch ein Rechtsakt. Im Rechtscharakter des Tausches und im Tauschcharakter des Rechts ist die enge Verklammerung von Tauschgemeinschaft und Rechtsgemeinschaft begründet. Das Rechtsgeschehen und das Marktgeschehen sind nur zwei Aspekte ein und desselben Vorgangs.

Beim Abschluss eines Vertrages wird den Vertragspartnern erst richtig bewusst, dass es hier um einen gegenseitigen Abgleich von Schuldverhältnissen geht. Jeder schuldet dem Anderen eine Leistung. Das geht bei mündlichen Vereinbarungen oft unter, obwohl auch hier oft eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse verabredet wird.

Jede Vereinbarung, jeder Vertrag hat zunächst zwei Parteien: den Güteranbieter (den Promittenten) und den Güterabnehmer (den Akzeptanten oder Promissar). Beide Vertragsparteien haben diese Rollen zugleich inne (s. auch Abschnitt Teil 11 in #freie-gesellschaft ). Bei jedem Vertrag spielt aber noch (indirekt!) eine dritte Instanz ihre Rolle. Das ist diejenige, die die Realisierung des Vertrags verbürgt (der sog. Kavent = Bürge). Die Bürgschaft wird bei vertragstheoretischen Erörterungen gern vergessen bzw. verdrängt, weil hier Gewalt ins Spiel kommt. Ich komme in späteren Teilen nochmal darauf zurück.

Die Existenz jedes Erwachsenenlebens, sofern es kein geschenktes oder auf der Basis von Konfiskation ermöglichtes ist, ist durchwirkt von Vereinbarungen und Verträgen: von Arbeitsverträgen (Tausch Lohn/ Gehalt gegen Leistung), Kaufverträgen (Tausch Kaufgut gegen Geld), Mietverträgen (Tausch Wohnrecht gegen Geld, oder manchmal auch Wohnrecht gegen Hausmeisterdienste), Versicherungsverträgen (Sicherheit gegen Beitrag) usw. Das Ziel der Bemühung um einen Vertragsabschluss ist der Erwerb des Versprechens eines anderen, dies oder jenes zu leisten, evtl. auch zu unterlassen.

Das Geschehen um den Vertrag ist uns im Großen und Ganzen vom Alltag her so geläufig, dass wir in den allermeisten Fällen Vertragsabschlüsse schlicht vollziehen, ohne dass uns die allgemeine Wesensstruktur dieser Vorgänge bewusst wird. Wir machen uns oft nicht klar, dass unser gesamtes Erwachsenenleben innerhalb der Gesellschaft getragen ist von einem mannigfach verwobenen Netz von Vereinbarungen und Verträgen. Die verhelfen uns zu bestimmten Nutzungsrechten.

Das Treffen von Vereinbarungen und der Abschluss von Verträgen ist eine wichtige Voraussetzung menschlicher Eigentumsnutzung und damit der Lebensentfaltung in entwickelten Gesellschaften. Es ist zwar ein Vorgang zwischen Personen. Beim Inhalt der Verträge geht es jedoch um Eigentum, wozu auch der Leib der Personen gehört. Verträge stellen in entwickelten Gesellschaften den am meisten begangenen Weg zur Änderung der Eigentumsverhältnisse dar.

Die durch einen Vertrag bewirkte Rechtsumschichtung ist einerseits eine Rechtsminderung, andererseits eine Rechtsmehrung. Die bisherige Rechtsverteilung hatte bei den Vertragspartnern Unzufriedenheit ausgelöst. Alle am Vertrag Beteiligten erhoffen sich durch ihn eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse („win-win-Situation“; s. o.).

Eine Eigentumsumverteilung, d. h. die Änderung eines bestimmten Rechtsstatus, kann außer durch Schenkung entweder durch Beraubung oder durch Vereinbarung herbeigeführt sein (s. o.). Beides endet mit Herrschaft und Knechtschaft. Also nicht nur der Tausch (s. Teil 11 f in #freie-gesellschaft ), sondern auch eine Vereinbarung bzw. ein Vertrag generieren ein Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnis. Recht bedeutet Herrschaft. Pflicht bedeutet Knechtschaft. Jede Vertragspartei bindet sich, weil sie neben Rechten auch Pflichten erhält, in ein gegenseitiges Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnis ein. Das Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnis zwischen Vertragspartnern sollte - wenn auch oft über einen schmerzhaften Kompromiss zustande gekommen - ein freiwilliges und vor allem ein ausgewogenes sein.

Rechtssetzungen aufgrund von Beraubungen oder aufgrund von Verträgen unterscheiden sich lediglich dadurch, dass sich bei den erstgenannten das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft im Ungleichgewicht befindet und bei den letztgenannten im Gleichgewicht. Walter Lippmann (1945) sieht richtig, dass sich beide Formen der Rechtssetzung auf das Naturrecht berufen können.
Ganz entscheidend ist, dass die Herrschaft in der Freien Gesellschaft stets eine gewährte ist. Sie basiert auf einem freiwilligen Akt. Die Herrschaft des Rechtsinhabers beruht darauf, dass der Verpflichtete als Schöpfer seines Rechtes dessen Herrschaft frei anerkennt. Der Verpflichtete begibt sich freiwillig in die Knechtschaft. Er hat für sich ein Verhaltensregulativ geschaffen, von dem sein Vertragspartner in Form eines Rechts profitiert.

Eine Herrschaft „abstrakten Rechts“ (Gustav Radbruch, 1970; Friedrich August von Hayek, 1980 und 1981b) gibt es nicht. Positives Recht ist stets konkret herrschendes Recht, ausgeübt von Personen. Wo positives Recht wirksam ist, dann nur auf Geheiß von real existierenden Rechtsinhabern. Die Herrschaft eines Rechtsinhabers ist beendet, sobald sein Recht erlischt. Frei geschaffenes positives Recht ist sterblich, auch dann, wenn es über Generationen hinweg vererbt wird. (Demgegenüber ist negatives Recht unsterblich, solange es Menschen gibt).
Das Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnis, das aus jedem Vertrag erwächst, ist ein gegenseitiges. Jeder Vertragspartner ist Herr (Rechtsinhaber) und zugleich Knecht (Pflichtbelasteter) des anderen. Diese Rollenverteilung beruht auf der freien Zustimmung des jeweils Anderen. Je weiter eine Gesellschaft sich leistungsteilig differenziert, desto mehr gewinnt die freie Zustimmung eines Du (Knecht) zum Recht eines Ich (Herr) an Bedeutung.

Ein Vertrag vereinigt auf zwanglose Weise die Sphäre der Begünstigung (Rechte; d. h. bei jemanden etwas „zu gute“ haben) mit der Sphäre der Last (Pflichten; d. h. jemandem etwas „schuldig“ zu sein). Aus dieser Verklammerung erwächst ein Instrumentalisierungsverhältnis. Die Übernahme der Last (Pflicht), die jeder aufgrund eines Vertrags tragen muss, beruht auf einer gewaltfreien Selbstinstrumentalisierung. Um des Selbstzwecks willen muss ich mich in die Instrumentalisierung für einen Fremdzweck begeben, oder - wie ich mich oben ausgedrückt habe - mein Egoismus muss den Altruismus in sich aufnehmen.

Verträge müssen Rechte und Pflichten nicht „gleichmäßig verteilen“. Sie können einseitig rechts- oder pflichtlastig sein. Dennoch pendelt jeder Vertrag den Umfang der Rechte und Pflichten aufgrund freier Absprache ein, sei ein Vertragspartner auch noch so dumm dabei weggekommen. Er hatte vor dem Vertagsabschluss jedenfalls nein sagen können. Diese Möglichkeit entfällt beim Handel mit Monopolen. Die Vertragspartner der Monopole müssen eine Strategie der Gegensteuerung entwickeln, wenn sie nicht in ein einseitiges Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnis hineingeraten wollen (dazu gibt es noch einen ausführlichen Teil wenn wir zu lLösungsmöglichkeiten kommen)

Und damit sind wir mit Teil 17 in #freie-gesellschaft am Ende angekommen. Ich verabschiede mich mit folgenden Rechtssätzen:

„Alle haben das gleiche Recht auf freie Lebensentfaltung“
„Alle haben das gleiche Recht auf freie Güternutzung“.
„Alle haben das gleiche Recht auf freie Eigentumsnutzung.“
„Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem Anderen zu.“
„Gewährte Rechte sind die Pflichten des Gewährenden“
„Freiwillig geschlossene Verträge sind bindend, denn sie sind positives Recht“

Euer Zeitgedanken

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