FPÖ-Gudenus fordert Ausgehverbot für Asylwerber - Ein kurzer Faktencheck.

in #fake-news5 years ago (edited)

Wenn Politiker abenteuerlich klingende Zahlen verkünden, ist Skepsis angebracht.


"Ich will konkret ein Ausgehverbot für Asylwerber in der Nacht prüfen lassen"

So wird der Wiener FPÖ-Politiker Johann Gudenus von der Tiroler Tageszeitung zitiert. Und weiter:

"Wir haben seit der Flüchtlingswelle 2015 auf diese Gefahren hingewiesen. Die Gewaltdelikte und Sexualverbrechen sind massiv angestiegen. [...]
Messerattacken haben seit dem Jahre 2015 um 300 Prozent zugenommen. Das sagt nicht der böse Gudenus, sondern belegt die Statistik der Polizei."

Da schlägt das rechte Herz natürlich höher, das versteh ich schon... Aber ich will jetzt gar nicht darüber streiten, ob man die Errungenschaften unserer Zivilisation (u.a. Rechtsstaat, Menschenrechte) verteidigen kann, in dem man diese abschafft, wie es die kollektive Bestrafung verdächtiger Gruppen zweifelsohne erfordern würde. Das führt ins Bodenlose und wir können das hier eh nicht auflösen.

Worum es mir heute geht: Die Glaubwürdigkeit eines Politikers. Wenn man sich nämlich auf eine Statistik beruft, dann macht man sich überprüfbar. Und überprüfen, das macht mir Spaß. ;-)

Also, gehen wir der Frage nach, ob denn die Kriminalität laut offizieller Statistik tatsächlich so sprunghaft angestiegen ist, wie uns das Gudenus suggerieren will.

Sicherheitsbericht 2017

Die offizielle Kriminalitäts-Statistik des (übrigens FPÖ-geführten) Bundesministeriums für Inneres ist der "Sicherheitsbericht", der jährlich vom BMI herausgegeben wird, und der auf den Statistiken des Bundeskriminalamts beruht, dass ihn auch anschaulich zusammenfasst. Kann man sich ansehen, steht offen im Netz. Hab ich getan.

Also langsam, der Reihe nach:

„Gewaltdelikte und Sexualverbrechen sind massiv angestiegen"

Gewaltdelikte:


Quelle: Sicherheitsbericht BKA, S. 13, Verwendung mit Quellenverweis erlaubt.
Hmmm… Ich erkenne keinen Anstieg. Die gewalttätige Kriminalität stagniert in Österreich auf einem Niveau, das Deutsche vor Neid erblassen lässt. Von Amerikanern fang ich jetzt gar nicht an. Wir sind nach wie vor ein sehr sicheres Land.
Oder, wie es das BKA im Text ausdrückt:

Rückgang bei den Gewaltdelikten von 2016 auf 2017 um 2,4 Prozent auf 42.079 Anzeigen (43.098 im Jahr 2016).
Konstant hohe Aufklärungsquoten (85,5 Prozent).
Zehn-Jahres-Vergleich: 43.090 Anzeigen im Jahr 2008

Vielleicht wenigstens Sexualverbrechen? Die Araber sind doch dafür bekannt, oder?


Quelle: BKA, S. 16, Verwendung mit Quellenverweis erlaubt.
Also die körperliche sexuelle Gewalt ist seit 2015 wohl auch nicht angestiegen, die war 2013 schon mal höher. Was tatsächlich angestiegen ist, sind Fälle der Belästigung. Gemeinsam mit den Internet-Delikten führen diese zu einem Gesamtanstieg bei den Anzeigen. Ob der Anstieg „massiv“ ist, ist interpretationssache, aber immerhin nicht ganz falsch.

Ach übrigens, ein bisschen off-topic, aber in dem Zusammenhang vielleicht durchaus interessantes Detail:


Quelle: BKA, S. 13, Verwendung mit Quellenverweis erlaubt.
Wieso reden wir eigentlich nie über die dominanten Ursachen von Gewaltverbrechen? Für Frauen ist das traute Heim offensichtlich wesentlich gefährlicher als die offene Straße. Die Dunkelziffer dürfte hier übrigens noch weit höher liegen, da Beziehungsdelikte oft nicht angezeigt werden.

„Messerattacken haben seit dem Jahre 2015 um 300 Prozent zugenommen.“

Spannende Interpretation. Findet sich dazu doch folgende Graphik:


Quelle: BKA, S. 14, Verwendung mit Quellenverweis erlaubt.
„Seit 2015“ stiegen die Messerattacken von 633 auf 701 Fälle, das entspricht einem Anstieg von 10,7%, wenn wir es genau haben wollen. Ist nicht nichts, aber die 300 Prozent hat er aus propagandistischen Gründen frei erfunden, der Herr Gudenus. Wenn wir 2015 noch miteinrechnen, und die Zahl von 2017 mit 2014 vergleichen, ist der Anstieg höher (34%), aber immer noch weit entfernt von 300%.
Der wahre sprunghafte Anstieg der Kriminalität mit Hieb- und Stichwaffen passierte im Jahr 2010, nicht im Jahr 2015. Gründe dafür konnte ich leider nicht eruieren, bin dankbar für Hinweise. Eine Änderung in der Zählweise? Eine sprunghafte Änderung der kleinkriminellen Subkultur? Auf jeden Fall nicht die Asylwerber aus den Jahren 2015-2016. Es sei denn sie haben die Zeitmaschine erfunden.

Sind die Flüchtlinge aus 2015-2016 generell eine Triebfeder der Kriminalität?

Die Frage ist kompliziert, dafür brauchen wir 2 Graphen und eine Zusatzinfo:


Quelle: BKA, S. 20, Verwendung mit Quellenverweis erlaubt.
Die Zahl der in Österreich lebenden Ausländer ist seit 2008 um gut 50% gestiegenref, die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen um fast 100%. Diese Diskrepanz ist evident, es ist also nicht von der Hand zu weisen, dass die Kriminalitätsrate unter und mit Migranten gestiegen ist.
Aber: Das ist ein weit älterer Trend als die Flüchtlingskrise von 2015. Den stärksten prozentuellen Anstieg sehen wir 2008-2010, also in den Jahren nach der EU-Osterweiterung. Weiteren Aufschluss gibt folgende Tabelle:


Quelle: BKA, S. 21, Verwendung mit Quellenverweis erlaubt.
Nicht von der Hand zu weisen ist der afghanische Anteil, der tatsächlich z.T. auf den Influx ab 2015 zurück geführt werden kann. 7000 Tatverdächtige mehr macht einen Unterschied, keine Frage.
Andererseits: Bedenkt man die Deutschen mit +2800 und die Rumänen mit +6000, übertrifft das den afghanischen Anstieg schon wieder, was die Ursachenforschung in der Flüchtlingskrise schon wieder relativiert. Serben +3000, Ungarn + 2900, Slowaken + 2600 Türken +1400, Bosnier + 1400, Polen +1000. In absoluten Zahlen ist der osteuropäische Eintrag stärker als der nahöstliche.
Und noch was: Seit 2015 gibt es mehr Syrer in Österreich als Afghanen, Russen (wobei hier Tschetschenen mit eingerechnet sind, was die Aussagekraft abschwächt) und Slowaken.ref Deren Beitrag zur Kriminalität ist aber wesentlich geringer.
Eine undifferenzierte Pauschalverurteilung nah/mittelöstlicher Migranten erscheint mir da nicht zulässig.

Fazit:
Wenn dann könnte man also bestimmte Gruppen unter Asylwerbern als problematisch deklarieren (Afghanen, evtl. Tschetschenen, für die es leider keine separate Statistik gibt), auf keinen Fall kann man aber allesamt über einen Kamm scheren.

Conclusio des Faktenchecks:

Gudenus saugt sich seine Aussagen weitgehend aus dem Finger.

  • 300% mehr Messerstechereien seit 2015? lol
  • massiver Anstieg der Gewaltverbrechen? rofl
  • Anstieg gewalttätiger Sexualverbrechen? Nope.

Wo er zumindest teilweise richtig liegt, ist der Anstieg an Belästigungen, die tatsächlich mit der Migrationsbewegung 2015 korreliert. Ansonsten (Anstieg Messerstechereien, Gesamtentwicklung Ausländerkriminalität) kann man einen Effekt der Gesamt-Einwanderung seit 2008 inklusive der osteuropäischen Zuwanderung, auf gar keinen Fall aber einen isolierten Effekt der nahöstlichen Fluchtbewegung 2015-2016 sehen.

Also sorry, Herr nicht-amtsführender Stadtrat, aber von jemanden, der für einen nur auf dem Papier existierenden Job mehr als 8000€ im Monat kassiert, erwarte ich mir Faktenkenntnis. Oder Ehrlichkeit. Oder am besten beides. Aber auf gar keinen Fall diese billige Propaganda aus Halbwahrheiten.

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