"Transformation der Lethargie" (Original German Shortstory)

in #deutsch6 years ago (edited)

Es war einer jener Tage, an dem die Stunden zähflüssig wie Honig dahinflossen. Ibrahim lag auf der Matratze, die mit der spärlich behangenen Kleiderstange und dem kleinen Nachttisch die einzige Einrichtung seines kleinen Zimmers ausmachte. Er starrte an die Decke und versuchte an nichts zu denken. Natürlich misslang ihm das und seine Gedanken kreisten und wanden sich auf allerlei Irrwegen.
Er stellte sich vor, wie sein Körper langsam verwesen und von Maden zerfressen würde, wenn er sich einfach weigerte aufzustehen. Seit einer Stunde (oder waren es schon zwei?) verspürte er den Drang zur Toilette zu gehen und empfand doch den Weg zur Toilette in seiner Lethargie als zu beschwerlich. So drückte seine Blase gegen seine Bauchdecke, die sich schon bedenklich wölbte. Zum Glück hatte er die Wasserflasche neben dem Bett bereits ausgetrunken, so würde der Druck nicht zunehmen. Im Grunde genommen war er ein lebensfroher Mensch, doch heute war er zu nichts zu gebrauchen. Wieder dachte er an eine Situation am Tage zuvor, als er sich mit einem Freund unterhalten hatte. Der Freund hatte ihn nach seinem Befinden gefragt und er hatte in einem Anschwall von Euphorie alles geschildert, was ihm derzeit an Gutem im Leben begegnet war. Er hatte beschrieben, wie sich seine vegetarische Ernährung positiv auf seine körperliche Konstitution ausgewirkt habe und wie glücklich er seiner neuen Arbeitsstelle entgegensah. Zudem sei er zuversichtlich, dass er bald den Mut aufbringen würde das Mädchen, dass an der Supermarktkasse immer so freundlich lächelte, anzusprechen und zu einem Abendessen oder etwas ähnlichem einzuladen. Der Freund hatte ihm zugehört und sich offenbar gefreut, dass er von so viel Lebensmut erfüllt war, doch Ibrahim hatte gemerkt, dass sein Lächeln an dem einen oder anderen Punkt der Erzählung eingefroren war. Das beschäftigte ihn nun. Missgönnte ihm der Freund das Glück? Wohl kaum, doch vielleicht missfiel ihm die prahlerische Weise, in der er seinen Frohsinn zum Ausdruck gebracht hatte? Hatte er denn nach dem Befinden des Freundes gefragt. Gewiss, hatte er das, doch hatte er nach der einsilbigen Antwort nicht weiter nachgeforscht. War dies nicht nur fair? Sollte der Freund doch erzählen, wenn ihn etwas bedrückte oder er es gesagt haben wollte. Warum sollte er ihm alles aus der Nase ziehen? Nein, es war Unsinn sich über die Situation weiter den Kopf zu zerbrechen.
Schon kam ihm der nächste Gedanke in den Kopf, oder war es bereits ein Traum? Er wandelte mit der hübschen Kassiererin am Flussufer entlang und sie warf in einer graziösen Bewegung ihr rotes Haar in den Nacken. Dann blickte sie ihm in die Augen und fragte: Wohin wollen wir gehen? Ja, wohin eigentlich? Er geriet in Panik und schreckte verschwitzt hoch. Wohin sollte er gehen? Welche Ziele konnte man sich in einem endlichen Leben setzten. Alles was er sich aufbauen würde und alle Freuden und die Erinnerung daran würde dereinst keine Rolle mehr spielen und das beste was er posthum darstellen konnte war ein gutes Mal für die Maden.
Das Licht im Zimmer wurde schummriger. Es wurde Abend. Plötzlich klingelte es an der Tür. Ibrahim überlegte ob er einfach liegen bleiben könnte um das Klingeln zu ignorieren. Dann fiel ihm ein, dass man von draußen das Licht sehen konnte, das in seinem Zimmer brannte. Er öffnete das Fenster, um den schweißigen Mief zu vertreiben, der sich durch sein Herumlungern auf der Matratze im Zimmer ausgebreitet hatte. Dann zog er sich ein Shirt und eine Hose an und ging zur Tür.
Hinter der Tür stand niemand. Genervt atmete er aus. Ganz umsonst war er aufgestanden und hatte den Weg zur Tür hinter sich gebracht. Er wollte die Tür schon wieder in den Rahmen werfen, da nahm er auf der Türmatte eine Bewegung war. Eine gewaltige schwarze Kobra blickte ihn von unten an. Er öffnete die Tür und erlaubte es dem Tier einzutreten, beziehungsweise hereinzugleiten. Dann entschuldigte er sich für einen Moment um seine Blase zu entleeren. Das hatte gut getan.
Die Schlange hatte es sich inzwischen auf dem Nachtschrank bequem gemacht und zischelte zufrieden. Da er nicht wusste, wie er die Schlange am besten bewirten konnte, goss er ihr versuchsweise ein paar Tropfen Hafermilch in eine Schüssel und stellte sie neben die Schlange. Diese nippte ein paar mal und rollte sich dann wieder ein. Es klingelte erneut. Dieses Mal war Ibrahim mit einigen schnellen Schritten bei der Tür. Der erste unerwartete Gast hatte ihn abrupt aus seiner Lethargie gerissen und er spürte die Lebenskraft in seinen Körper zurückkehren. Vor der Tür stand ein schwarzer Hund. Er ließ den Hund ein und bot ihm ein Kissen zum Sitzen und eine eigene Schüssel Milch an. Er wusste nicht recht, wie er seine Gäste unterhalten konnte und war froh als es ein drittes Mal klingelte, da das Klingeln ihm einen Vorwand gab erneut das Zimmer zu verlassen, um an der Schwelle eine Katze zu treffen. Er erklärte ihr, dass er bereits einen Hund unter seinen Gästen aufgenommen hatte, er jedoch bereit wäre auch sie einzulassen, wenn die beiden sich vertrugen. Die Katze folgte ihm in sein Zimmer und setzte sich ohne Umstände zu machen neben dem Hund auf den Boden.
Da sagte die Schlange: "अथ योगानुशासनम्". Ibrahim verstand kein Sanskrit, doch er entnahm dem Klang der Worte Atha yoga-anuśāsanam, dass er nun in der Kunst des Yoga unterrichtet werden würde. Die nächsten Tage verbrachte er in der Unterweisung der Tiere, die nicht nur sämtliche Yoga Sutren rezitierten sondern ihm auch beibrachten, wie die Asanas auszuführen waren. Er war gelehrig und folgte allen Anweisungen. Nach einer Woche -verliesen ihn seine Gefährten und er war wieder allein.
Mit übereinandergeschlagenen Beinen und den Händen in Guyan Mudra darauf ruhend saß er da und meditierte. Er fühlte, wie seine Atmung ruhiger wurde. Dann nahm er wahr, dass er nach und nach sein Körpergefühl verlor und er in einen zeitlosen, grenzenlosen Raum eintauchte. Hier war wohl der Sitz seiner Gedanken. Er betrachtete seine Wünsche und Sehnsüchte und ihm wurde klar, dass das einzige, was ihrer Erfüllung im Wege stand, er selbst war. Er erkannte, dass er lediglich den Mut aufbringen musste seine Selbstzweifel fallen zu lassen und der zu sein, der er war. Er musste sich nicht verstellen um geliebt zu werden, er musste keine Bescheidenheit vorgeben, die ihm nicht eigen war und er musste sich auch keine Sorgen um Dinge machen, die nicht gegenwärtig waren. Leichtigkeit ergriff ihn, als er erkannte, dass hier in seiner kleinen Kammer keine Gegenstände der Sorge vorhanden waren. Dann spürte er tiefer in dieses Gefühl der Leichtigkeit und stellte fest, dass dieses Gefühl allein die Probleme, die er sich selbst machte, zu allen Zeiten von seinem Geist zu fegen vermochte und er fortan im Leben zwar immer neuen Herausforderungen sich würde stellen müssen, jedoch keine Notwendigkeit bestand dieser Umstände wegen mit sich selbst in Zerwürfnis zu geraten. Er beendete die Meditation mit einem Mantra und verließ das Haus.
Zuerst ging er zu seinem Freund und als dieser ihm vom Tod seiner Mutter im letzten Monat erzählte umarmte er ihn und gab ihm darauf eine erste Unterweisung in Yoga. Dann ging er zu dem Mädchen, in das er seit langem verliebt gewesen war und bat sie ihn am Abend zu besuchen. Zu Hause meditierte er bis zu ihrem Eintreffen. Eine Woche später machte er ihr einen Antrag und die beiden heirateten.

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Ich hoffe euch hat diese Kurzgeschichte gefallen und ich freue mich eure Kommentare zu lesen. Das Bild von mir ist aus Rishikesh.

Hari Om <3

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Hat mir gut gefallen die Geschichte und die "Fehler" haben mir nicht weh getan, weil ich nicht darüber gestolpert, sondern darübergestiegen bin ;)

Es freut mich, dass die Geschichte dir gefallen hat und Gratulation zu deiner guten Balance ;)

Das war nicht schwierig ;)

Ja, und wenn sie nicht gestorben sind.... eine schöne märchenhafte Geschichte! Und ein wunderbares Bild.
Ich bin gestolpert über drei Sachen: Er wollte die Tür schon wieder in die Angel werfen. Man kann wohl eine Tür aus den Angeln heben, aber sie in die Angeln werfen geht nicht.
Sagt Ihr bei Euch zu Eintreffen, Antreffen? Wenn ich jemenden besuche, treffe ich ihn an, wenn er kommt trifft er ein.
Und: Wer hat das Licht angemacht, das man draußen sehen konnte?

Danke für die Hinweise. Die Tür wird jetzt stattdessen in den Rahmen geworfen. Das ist in der Tat eine komische Formulierung. Ich habe einfach drauf losgeschrieben und da kommt sowas schon mal vor. Auch das Antreffen war wohl eher eine Schludrigkeit. Das Licht war die ganze Zeit an.
Liebe Grüße und danke fürs Aufmerksame lesen ;)

Thank you for sharing your short story. Also a very nice photo of you. Blessings.

Cheers ;) I am happy you enjoy my post ;)

🙏Haro Om🙏 ...nice pic from Haridwar i guess....looking beautiful in Indian attire with bindi on head.👍

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The Picture was taken in Rishikesh ;)

Ahhhh i guessed it ..the next stop after Haridwar. And looks a lot familiar with the Ganga stream being very calm.

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beautiful photo, your view very sweet, @yoganarchista,☺️

Excellent post..my dear friend..your soo sweet and lovely look...👸

Thank you for your support ;)

Welcome dear 💕friend

Hallo ich bin Mikrobi,

dein Beitrag hat mir sehr gut gefallen und du bekommst von mir Upvote.
Ich bin ein Testbot, wenn ich alles richtig gemacht habe, findest du deinen Beitrag in meinem Report wieder.

LG

Mikrobi

Huhu, dankeschön ;)

Gorgeous indian women's dressing style and look like a beauty of queen👌

Cheers, I am happy you ike my sari ;)

you beauty! story behind the story!

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Hello @yoganarchista, thank you for sharing this creative work! We just stopped by to say that you've been upvoted by the @creativecrypto magazine. The Creative Crypto is all about art on the blockchain and learning from creatives like you. Looking forward to crossing paths again soon. Steem on!

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