Ab sofort gehen wir getrennte Wege! - Wer? - Der Kompromiss und ich.

in #deutsch4 years ago

Es ist für mich an der Zeit menschliche Eigenschaften (im Spezifischen die Neigung zum Kompromiss) neu zu überdenken.


Ich investierte in den letzten Tagen, ohne jegliche Rücksicht auf die inzwischen so immens wichtige Nachhaltigkeit der Maßnahme, eine scheinbar unbegrenzte Menge Energie in das Aufarbeiten gemachter Erfahrungen, betreffend des Resultates meiner bisher eingebrachten Anforderungen an die Kompromissfähigkeit. Keine leichte Aufgabe und (das kann ich versichern) auch mit der Betankung von Bio-Treibstoff aus fränkischem Hopfen und friesischer Gerste, nur ganz schwer zu bewältigen. Ich nahm mich der schwierigen Aufgabe an, gab bewusst keine externe Meinungsumfrage in Auftrag, verzichtete damit auf jegliches Schmiergeld und dessen verheißungsvolle Angebote im Nachfeld und sprang splitterfasernackt in das bis zum Überlauf gefüllte Becken der Erinnerungen.

Wann wurde eigentlich erstmals meine Kompromissfähigkeit so richtig auf die Probe gestellt?
Es war exakt der Moment, als mir meine Mutter die schreckliche Mitteilung näherzubringen versuchte, dass die Frau da, quasi am anderen Ende der Welt, also über zwanzig Kilometer entfernt, meine Oma sei. Wie konnte das sein? Ich hatte doch schon längst meine Oma und mit der war ich höchst zufrieden.
Ich muss zugeben, es gab Zeiten, da konnte ich meine Mutter so richtig gut leiden - so mit allem drum und dran. Dann ließ ich mich von ihr auch abknutschen und ertrug ihre, mit Spucke angefeuchteten Hände in meinen Haaren. Es war exakt die Zeit, als ich ihr fast jeden Wunsch erfüllt hätte. - Wenn sie mich nur darum gebeten hätte.
Dass sie die Finger von meinen Wurfpfeilen (heute werden die Dinger übrigens Darts genannt) und meinen Glasmurmeln lassen musste, war von vorneherein klar. Aber, weil sie so lieb war, meine Laktose-Intoleranz zu ignorieren und mich dabei konsequent mit fettreicher Kuhmilch aus ihrem Elternhaus zu malträtieren, gab ich mich erstmals kompromissbereit.

Das Abkommen: Zukünftig bitte keine Milch mehr und dafür erkenne ich die Andere, die da beinahe am Ende der Welt wohnt, als Ersatzoma an.

Das Resultat: Ich bekam im Paket einen nicht bestellten Opa, der mit der Mistgabel nach mir warf, nur weil ich seinen unstillbaren Hang (neurotischen Zwang) zu Maggi-Würze in jedem Essen infrage stellte. Warum gleich die ganze Sippe vergiften, wenn dem Familientyrann die Geschmacksnerven abhandengekommen sind?

Außerdem, was mir im Vorfeld des vereinbarten Kompromisses auch nicht nähergebracht wurde, stand regelmäßige Prügel nach spontan eingeleiteten Ärgerattacken im näheren Umfeld meiner Urgroßmutter an, die zwar bettlägrig, aber trotzdem die Frau des Satans war. Dazu kam, dass ich den hinkenden Großonkel nie Arschloch nennen durfte. Das hat mich fast am meisten geschmerzt - ganz abgesehen der eindeutig vertragswidrigen, weiter unternommenen Versuche, mich mit der Kuhmilch, die ja so ‘fruchtbar’ gesund ist, zum Spielball körpereigener, revolutionärer Kräfte zu machen. Ein ganz klarer Fall von einem gescheiterten Kompromiss.

Die nächste Herausforderung, nachdem ich das Ergebnis des ersten Versuchs als sehr überdenkenswert eingestuft hatte, ließ nicht lange auf sich warten und fand seine Ratifizierung in einer Vereinbarung zwischen mir und meinem Vater, uns möglichst weiträumig aus dem Weg zu gehen. Es wurden vertraglich klare Grenzen gezogen, Sondervereinbarungen getroffen und dabei ausdrücklich familieninterne Schlammschlachten ausgeschlossen. Einer der größten Fehler, die ich in meiner Kompromissbereitschaft je machen konnte. Es kam zu Machtdemonstrationen, unzähligen Vertragsbrüchen, bis hin zu Leugnung jemals sich auf einen Deal eingelassen zu haben. Die volle Verantwortung für diese rechtsbeugenden Provokationen hätte unbestreitbar der übernehmen müssen, der sich regelmäßig die größten Portionen auf den Teller schaufelte, ohne Rücksicht auf die Empfindlichkeiten anderer Familienmitglieder bestimmte, dass Rühreier immer angebratenen Speck beinhalten müssen und dazu am Morgen das Badezimmer blockierte, nur weil er sich schon rasieren durfte. Nach dieser Erfahrung war für mich das Thema Kompromiss mit einem Elternteil endgültig vom Tisch.

An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich betonen, dass dies mitnichten als der Zeitpunkt in meinem zyklischen Alterungsprozess einzuordnen ist, in dem ich mich gegen die diplomatische Laufbahn und damit für eine Karriere als Dickkopf entschied. In der Gesellschaft meiner drei dicken Kumpels spielten Kompromisse gar eine übergeordnete Rolle. Verfehlte, nur um es an einem Beispiel zu veranschaulichen, ein von mir abgeschossener Pfeil sein Ziel auch nur knapp und bohrte sich in die Wange meines Freundes, gab es überhaupt keine Diskussionen bezüglich anstehender Versuche der Besänftigung. Entweder er jagte mir kurzerhand aus nächster Nähe einen Pfeil in meinen Fuß oder legte mir mit vollem Karacho seine Faust aufs Auge. Danach war die Sache aus der Welt und keiner fühlte sich in irgend einer Art und Weise übervorteilt.
Der Junge aus der Nachbarschaft, der gerade ein paar Monate zuvor mit seiner Familie die Wanderschaft von Ostpreußen ins Saargebiet hinter sich gebracht hatte, durfte selbstverständlich mit uns Fußball spielen - jedoch nur, wenn wir seinem Opa dabei zuschauen durften, wie der den Spiritus aus der Falsche trank und kurze Zeit später vom Stuhl kippte. Herausragende Beispiele ausgehandelter Kompromisse, die dann auch das hielten, was die Definition des Begriffes vorgab.

Inmitten dieser Phase des gelebten Ausgleichs platzte fernab plötzlich ein Mann in mein Leben, der mich lehren sollte, dass Sturheit auch keine ganz so schlechte Tugend ist, wie ihr oftmals voreilig nachgesagt wird. Der Mann hieß damals noch Cassius Clay, konnte bei seiner Arbeit in Amerika von uns immer nur mitten in der Nacht beobachtet werden und hatte dazu noch die größte Klappe, die ich bis dahin gehört und gesehen hatte. Aus meiner Sicht ein wichtiger Grundstein für eine, in meinen Augen, stabile und andauernde Heldenhaftigkeit.
Was dieses Großmaul, neben seiner Genialität als Boxer, für mich noch interessanter machte, war die Tatsache, sich zu Dingen zu äußern, die nur schwerlich durch einen linken Haken aus der Welt zu schaffen waren - vielleicht auch heute noch sind.
Als nämlich damals Uncle Sam bei ihm anklopfte und ihn daran erinnerte, endlich seiner Pflicht nachzukommen und im Namen der Demokratie Vietnam erst zu entlauben und anschließend mit Napalm zugänglicher zu machen, gab Herr Clay zu bedenken, keine Veranlassung für diesen Dienst erkennen zu können, da er, ganz im Gegensatz zu einem Großteil seiner amerikanischen Landleuten, noch nie von einem Vietnamesen beleidigt wurde. Mit diesem unmissverständlichen Nein erteilte er jedem Versuch, der auf einen Kompromiss hinauslaufen sollte, eine klare Abfuhr. Stattdessen setzte er sich fortan für die Rechte der Diskriminierten im eigenen Land ein, wanderte ins Gefängnis, verlor seinen Job und legte demonstrativ seinen “Sklavennamen” ab.
Ab dann blickte ich auf zu Muhammed Ali auf. Wie selbstbewusst und kompromisslos er selbst bei der Auswahl dieses Namens war, verrät ein Blick auf dessen Bedeutung: Der lobenswert Erhabene! Wenn das nicht von Selbstbewusstsein zeugt…

Kein Wunder, wenn dieser Mann von Kompromissen nicht sonderlich viel hielt. Muhammed Ali war übrigens nicht der Solotänzer auf diesem glatten Parkett. Da gab es auch noch einen gewissen Ferdinand Lewis Alcindor, der bei den “L-A Lakers” seine Künste unterm Korb später nur noch als Kareem Abdul-Jabbar dem begeisterten Publikum darbot. Mit so viel Mut zur Sturheit ausgestattet, teilte ich beim sonntäglich Frühstück meinen Erziehungsberechtigten mit, in Zukunft bitte nur noch mit Mustafa ɣair Musta angesprochen zu werden. Mein Anliegen wurde kompromisslos mit der Frage, ob ich noch all Tassen im Schrank habe, vom reichlich gedeckten Tisch gefegt. Hätte der Sonntagskuchen mich nicht so angelächelt, ich glaube, ich wäre an jenem Sonntag spontan und unüberlegt in einen unbefristeten Hungerstreik getreten.

So ist und bleibt bis zum heutigen Tag mein Leben ein Weg, gepflastert mit faulen Kompromissen. Ich habe keine Ahnung, wohin dieser Weg mich noch führt, doch wünsche ich mir schleunigst einen anderen Untergrund. Es sollte was Raues sein. Ein Belag der Narben hinterlässt, wenn man auf die Fresse fällt. Ich will erhobenen Hauptes, ob durch die Schlachten gezeichnet oder nicht, den kommenden Tag begrüßen. Kompromisse sind und bleiben schlicht und einfach bei mir nur in guter Erinnerung, wenn ich als Gewinner aus der Sache hervorging. Diese Weisheit stammt übrigens von Aljaksandr Lukaschenka, der den Weißrussen vor vielen Jahren folgenden Kompromiss in der Wahlurne zur Unterzeichnung vorlegte: Wählst du mich, garantiere ich dir ein längeres Leben.
Wer hätte da nicht unterzeichnet?
Wir sollten nur noch ein entsprechendes Synonym für diese Art des Kompromisses finden - nur damit keine Verwechslungen das Leben noch weiter erschweren.

Sort:  

Mit so viel Mut zur Sturheit ausgestattet, teilte ich beim sonntäglich Frühstück meinen Erziehungsberechtigten mit, in Zukunft bitte nur noch mit Mustafa ɣair Musta angesprochen zu werden.

Ich sehe die Blicke der Anwesenden bildlich vor mir, trotz meiner vor lachen feucht gewordenen Augen. Wunderbar.

In meinem Kinderzimmer wurde Muhammed Ali von mir an die Wand gehängt, in Form eines doppelseitigen Posters welches ich aus dem SPIEGEL gerissen hatte und regelrecht von mir vergöttert und auch ich dachte, seinem Beispiel folgend, über eine Namensänderung nach.
Leider hing er da nicht lange.
Als die Redaktion der Bezirkszeitung, die meinem Vater dieses Feindesblatt leihweise überlies bemerkte ( als Journalist sollte er auf diesem Weg den Feind kennenlernen ), das dort eine Seite fehlte, war die Kacke am dampfen und der alte Herr zeigte sich durchaus kompromissbereit, als er erblickte wo die Seite abgeblieben war.
Er fotografierte meinen Helden einfach ab und brachte das OriginalPoster wieder zurück in die Redaktion und nachdem ich ihm versprach meinen angestammten Namen zu behalten, überreichte er mir feierlich eine übergroße schwarzweiß Fotografie von meinem Helden, die noch viele Jahre mein Zimmer schmückten sollte.

Habe vielen Dank, für deine kompromisslose Erzählung, ich hatte mal wieder meinen Spaß. 😎

Grüße von der Südfront und noch einen schönen Restsonntag.

Den Vogel hatte er mir gezeigt. Eine Geste, mit der ich eigentlich noch glimpflich davonkam. Ich könnte beinahe wetten, dass er tief in sich den Wunsch verspürte, mit der ansatzlos aus der Hüfte kommenden linken Gerade wieder für Ordnung in meinem Oberstübchen zu schaffen.
Du kannst es erahnen - es waren harte Zeiten!

Grüße zurück
Wolfram

Da kommt mir einiges bekannt vor. War ich doch in jungen Jahren stets ein Rebel und grundsätzlich erst mal dagegen. Das habe ich über die Jahre aber abgelegt und gelernt mich auch mit den faulen Kompromissen zu arrangieren.

Das Problem besteht lediglich darin, dass so manch fauler Kompromiss mit der Zeit furchtbar zu stinken beginnt. :-)

Da kann ich ein Lied von singen. Und da gilt es regelmäßig auszumisten.

Hihi, ich habe das Bild des kleinen Bengels, der bei seiner Oma Malzbier trinkt, vor Augen, der erhobenen Hauptes - möglichst noch mit Schaumbart auf der Oberlippe - verkündet, fortan Mustafa ɣair Musta gerufen werden zu wollen...
Ansonsten denke ich ja, das ganze Leben ist ein Kompromiss. Besonders auch, wenn man in einer Partnerschaft lebt, da es niemals zwei Menschen mit exakt denselben Wünschen und Bedürfnissen gibt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass selbst der größte Dickkopf dies ohne ordentliche Abkommen mit Herrn Kompromiss an seiner Seite bewältigt bekommt.
Viel Erfolg!
LG, Christiane

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