Heilige Bastarde, Kapitel 31

in #deutsch5 years ago

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"Heilige Bastarde" ist eine High-Fantasy Web Novel und wird Kapitel für Kapitel über das Netz veröffentlicht. Zum Inhalt:

Einstmals wandelte der Gottheld Cherus unter dem Volk der Merowa. Er sang mit ihnen, kämpfte mit ihnen, trank mit ihnen und wie jeder Mensch liebte er. Der menschgewordene Gott hatte viele Frauen und zeugte mehrere Töchter und Söhne. Einer dieser Söhne, Hartried, ist nun König und herrscht über das Reich, das sein göttlicher Vater geschaffen hatte. Doch nicht jedes Gotteskind und nicht jeder Füst ist zufrieden mit seiner Herrschaft. Und während das Reich droht, auseinanderzubrechen, zieht in der Ferne eine neue Gefahr heran. Können die heiligen Bastarde ihr Land retten oder werden sie es in einem Machtkampf zerstören?

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30

Heilige Bastarde, Kapitel 31, Simund

Barutz hatte sogar Kohle eingepackt. Er sagte, dass sie nicht jeden Abend in der Lage sein würden, sich ein Feuer zu machen und eine warme Mahlzeit zu genießen. Da Piasus aber einen dicken Fisch gefangen hatte, nutzten sie die Gelegenheit, ihren Vorrat an Pökelfleisch aufzusparen.

„Eines wollte ich dich noch fragen“, sprach Simund Piasus an.

Piasus war gerade dabei, den Fisch über das Feuer zu halten. „Was ist?“

Die anderen blickten etwas verwirrt zwischen den beiden hin und her. Der freundliche Umgang der beiden miteinander überraschte sie wohl.

„Als was hast du eigentlich für deinen Herrn gearbeitet? Du hast gesagt, dass du Geld für dich behalten konntest. Und irgendwann hattest du dich freigekauft. Also, was war es?“

Piasus holte tief Luft. „Ich glaube, das muss ich erst erklären.“

„Wartet“, sprach Rodried. „Was ist eigentlich vorgefallen?“

„Das will ich jetzt auch wissen“, mischte sich auch Hedda ein. „Du hast bisher immer gesagt, du arbeitest für deinen Herrn. Nun sollst du aber früher als etwas anderes gearbeitet haben? Aber wie konntest du dich freikaufen?“

„Gut, gut. Rodried, übernimm du bitte den Fisch. Ich brauche möglicherweise freie Hände. Und zwar … das sagt euch vielleicht nichts. Ich war Masseur.“

Piasus blickte in die Runde, wartete die Reaktion ab. Der Begriff war Simund tatsächlich unbekannt.

„Ein was?“, fragte er.

„Wusste ich es doch! Ich war Masseur. Ihr kennt das, wenn ihr eine Stelle habt am Arm oder an der Schulter. Oder ein Muskel schmerzt, dann reibt ihr ihn, damit es sich besser anfühlt, richtig?“ Er machte es an einer seiner Schultern vor.

Sie nickten.

„Und daraus kann man einen ganzen Beruf machen. Ich war recht gut darin.“

„Damit lässt sich Geld verdienen?“, fragte Rodried.

Barutz saß die ganze Zeit mit verschränkten Armen da, als weigere er sich, an diesem Gespräch teilzuhaben.

„Oh ja, ich war sehr gefragt. Hedda, meine Liebe, du trägst doch schon die ganze Zeit all dieses Gepäck mit dir herum. Dein Rücken ist doch bestimmt sehr verspannt, oder?“

„Worauf willst du hinaus?“, fragte die Angesprochene.

Piasus stand auf. „Gratis Behandlung. Mach die Schultern bitte frei.“

Hedda zuckte mit besagten Körperteilen und tat wie geheißen. Piasus hockte sich hinter sie und begann, Heddas Schultern mit seinen Fingern zu bearbeiten.

„Normalerweise nehme ich dazu ein paar Öle“, erklärte Piasus. „Was ich noch nicht erzählt habe: Ich arbeitete nicht nur als Masseur, sondern nutzte meine Nähe zu den Kunden auch zum Vorteil meines Herrn aus. Nichts Schlimmes. Ich tat ihnen kein Leid an. Nur plauderte ich mit ihnen, führte ein Gespräch, wenn immer es möglich war. Ihr glaubt nicht, wie viele bei dieser Behandlung einschlafen. Wie gesagt, ich führte auch leichte Unterhaltung, sogar bei Feinden meines Herrn. Politik, nichts weiter. Ich war sozusagen sein Ohr.“

Die Gruppe war nun still geworden und schaute Piasus interessiert bei der Arbeit zu. Hedda hatte die Augen geschlossen, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Es zeigt wohl seine Wirkung, dachte sich Simund. Piasus drückte mit seinen Daumen zu oder ließ seine Handballen zwischen Heddas Schulterblättern kreisen. Dann griff er ihre Schultern, fasste ihren Nacken, während sie alles still über sich ergehen ließ.

Piasus hatte seinen Blick gemerkt, der wahrscheinlich etwas zu voyeuristisch wurde, und zwinkerte ihn wissend an. Simund fühlte sich ertappt.

Plötzlich sprang Rodried auf. „Herr Piasus“, sagte Rodried, „Ihr müsst mich unbedingt in euer Handwerk einweisen. Melinde … würdest du bitte …“

„Setzt dich wieder“, befahl Simund und rückte ein Stück näher an seine Schwester heran.

Melinde hielt die Hand vor dem Mund, er hörte sie aber deutlich kichern. Auch Piasus fiel in ihr Lachen mit ein.

„Gut“, sagte Hedda und stieß Piasus von sich. „Das reicht. Wir haben es ja verstanden. Das war also dein Beruf, bevor du Sklavenbefreier und Königsstürzer wurdest. Was hätte mich das gekostet?“

„Dich?“, fragte Piasus mit einem Lächeln und nahm vor dem Feuer Platz. „Oh, ich habe dir so viel zu verdanken, für dich gäbe es die Behandlung umsonst. Übrigens, wollen wir uns jetzt um den Fischfang kümmern, den ich so behände gefangen habe?“

Rodried beugte sich über die Feuerstelle und pustete. „Gebt mir noch etwas Zeit.“

Melinde erhob sich. „Darf ich den Fisch mal sehen?“

Alle schauten sie verwundert an.

„… Wieso nicht.“ Rodried reichte ihr den Fisch hinüber.

Melinde legte den Fisch auf den Boden und riss ihn auseinander. Die bloßen Finger gruben sich in das Innere, Fischfleisch verteilte sich über den Steinboden.

„Bei den Göttern!“, entfuhr es Piasus. „Was machst du mit unserem Essen!“

Er sprang auf und wollte sie aufhalten. Simund jedoch ging dazwischen und hielt ihn fest.

„Piasus! Die Götter wollen ihr etwas mitteilen. Lass sie nur machen.“

Er blinzelte ihn an. „Du meinst … sie wird aus dem Fisch etwas lesen?“

Simund nickte. Jedenfalls glaube ich das. Bisher waren es immer Vögel. Ich schätze, das geht hier unten nicht, Vögel stehen ihr nicht zur Verfügung. Aber sie würde sich nicht so verhalten, wenn die Götter ihr nicht etwas mitteilen würden.

„Aber“, protestierte Piasus, „den habe ich gefangen. Das wollten wir essen.“

„Ja, das verstehe ich.“ Simund drehte sich zu Melinde um, die noch immer damit beschäftigt war, den Fisch auseinander zu nehmen. „Ich bin auch schon mit hungrigem Magen ins Bett gegangen, aber dafür um eine Weissagung weiser. Es könnte wichtig sein.“

Unbemerkt hatte sich Barutz neben ihn gestellt. „Ist ja schön, dass ihr alle wisst, was das Mädchen da befallen hat. Aber mich Zwerg müsst ihr dann doch einweisen.“

„Melinde sieht in den Eingeweiden von Tieren die Zukunft“, erklärte Simund. „Oder eher einen Teil davon. Vielleicht eine Möglichkeit.“

„Meistens schlechte Dinge“, ergänze Rodried.

„Ah!“, gab sich Barutz erstaunt. „Ich hörte davon. Die seherischen Fähigkeiten der Menschen. Sehr faszinierend. Ich scheine auf dieser Reise etwas Neues lernen zu dürfen. Und, wie lange will sie noch in unserem Essen herum pulen?“

„Ich bin fertig“, erwiderte Melinde. Sie klang außer Atem, als hätte die Eingeweideschau sie körperlich angestrengt. Mit einem Seufzer richtete sie sich auf, wandte sich an Simund, fasste ihn an den Schultern und sah ihn durchdringend mit ihren blassen Augen an. „Simund. Nachdem du ertrunken bist, musst du ins Licht gehen.“

Verdutztes Schweigen. Simund war entsetzt. Was konnte es nur bedeuten, ins Licht zu gehen, nachdem er ertrunken war?

Moment. Ich werde ertrinken?!

„Das ist etwas Schlechtes?“, fragte Barutz. „Oder?“

Heilige Bastarde, Kapitel 31, Teil 2

Die ganze Nacht über schwirrten diese Worte Simund im Kopf umher und hinderten ihn am Einschlafen. Stattdessen starrte er ins Leere, bis Barutz' innere Uhr den Zwerg erwachen ließ und er sie aufforderte, weiterzumarschieren.

Müde trottete er durch den Gang. Eine schmale Höhle, das fahle Licht der Kristalle erhellte die Wände. Sie erlaubten es sich, etwas unvorsichtig zu sein und in loser Formation zu reisen. Melinde befand sich vorne bei Hedda. Simund konnte sie plaudern hören. Barutz wollte die Reisegruppe anführen und marschierte vorneweg.

„Simund“, begann Piasus. Er und Rodried bildeten das hinterste Grüppchen. „Erst einmal … mein Beileid. Du weißt, die Vision von Melinde.“

„Ist schon gut“, erwiderte Simund. „Ich bin zuversichtlich, dass es gut ausgehen wird.“ Wirklich?, dachte sich Simund. Daran hörte sich gar nichts gut an. „Was gibt es?“

„Dir ist bestimmt schon Heddas ungewöhnliche Stärke aufgefallen, richtig?“

„Ja, natürlich“, antwortete Simund.

„Ist das normal bei den Bregas?“

„Natürlich nicht.“

„Und woher kommt das dann? Weil sie von Cherus abstammt?“

„Man sagt“, sprang Rodried für Simund ein, „dass alle Kinder von Cherus Kräfte besitzen, die seinen ähnlich sind. Hedda erhielt seine Stärke. Melinde soll seine Weitsicht bekommen haben. Cherus wurde, so sagen sie, in Menschengestalt geboren, weil er voraussah, dass die Scharen der Untoten und ihre Meister unser Land heimsuchen werden. Als er Kinder bekam, ging ein Teil von ihm auf sie über.“

„Aha“, gab Piasus von sich. „Was ist mit den anderen?“

„Hartried gilt gemeinhin als unverwundbar. Bislang galt das als sicheres Zeichen seiner Herkunft. Der Zwerg, den wir befreien sollen, soll darüber aber mehr wissen. Dann gibt es da noch diesen Sartur. Manche halten ihn für einen bösartigen Zauberer, der sich mit dunklen Kräften aus den Tiefen des Waldes eingelassen hat. Er besitzt die Macht der Stimme, sagen sie. Er kann jemandem seinen Willen aufzwingen, indem er mit ihm spricht. Zwielichtige Gestalt. Dann wäre da noch Gunlaug, der Bruder von Hedda. Man ist sich nicht sicher, welche Kraft er erhalten haben soll. Gunlaug hat noch nichts Aufsehenerregendes getan. Manche vermuten, er verfüge über Cherus' diplomatische Fähigkeiten. Cherus war dafür berühmt, die Stämme der Merowa zu vereinen und dabei so wenig Blut wie möglich zu vergießen.“

„Und da fehlt noch einer“, bemerkte Piasus und schaute auf Simund.

„Ja, unser Gottessohn hier. Simund …“

„Wir wissen es nicht“, sprach Simund schneller, als ihm lieb war. Gerne hätte er das Thema damit beendet.

„Nun“, begann Rodried. „Simund ist noch jung und hatte kaum die Gelegenheit, sich zu beweisen.“

„Mal sehen …“ Piasus fasste sich mit der Faust ans Kinn. „Cherus hatte viele Frauen. Vielleicht hat Simund ja ein Händchen für die Damenwelt.“

Simund musste sofort an die Tochter des Fürsten denken, Arwinne. Ihr braunes, dichtes Haar kam ihm in den Sinn und ihre schlanke Gestalt.

„Ich dränge ihn schon eine Weile darauf“, sprach Rodried über seinen Kopf hinweg, „sich endlich mit meiner Schwester zu verloben.“

„Ach was.“ Piasus grinste. „Ich wusste es doch. Aber Simund, Cherus war doch seiner Frau treu, nachdem er wirklich geheiratet hatte. Vielleicht solltest du noch etwas warten und deine ,Kraft' solange nutzen, wie du kannst.“

„Wie meinst du das?“, fragte Rodried.

„Solange er noch jung ist, sollte er sich austoben. Du weißt schon. Sich nicht gleich fest binden, sondern noch etwas die eigene Freiheit genießen. Mit mehr als einem Mädchen.“

„Nein“, widersprach Rodried. „Er sollte Arwinne wirklich heiraten.“

„Ist meine Meinung überhaupt gefragt?“, erboste sich Simund.

Beide lachten und klopften ihm auf die Schultern.

Dann stießen sie auf Hedda und auf Melinde. Hedda schaute in einen Tunnel hinein, der sich von ihrem abzweigte.

„Was ist?“, fragte Piasus.

„Barutz hat etwas gesehen“, antwortete Hedda.

Der Zwerg stand ein paar Meter entfernt. Langsam, Schritt für Schritt bewegte er sich immer weiter in den Tunnel hinein. Den Kristall musste er versteckt haben, denn kein Licht erhellte den Weg vor ihm. Seine Umrisse verschwanden in der Dunkelheit.
Dann leuchtete sein Kristall wieder auf und er kehrte eilig zurück.

„Japp, da ist etwas. Meine Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, aber da hinten ist auf jeden Fall ein Eingang. Nicht natürlich und definitiv von kundiger Hand geschlagen. Was sich dahinter verbirgt, das weiß ich nicht.“ Er rieb die Hände aneinander und grinste. „Und? Neugierig?“
„Was?“, fragte Piasus. „Sind wir schon da? Oder was soll das sein?“

„Nein, nein. Wir sind noch lange nicht da. Ich habe keine Idee, was das sein könnte. Aber es sieht interessant aus.“

„Ist es gefährlich?“

„Weiß nicht. Könnte gefährlich oder mit Schätzen befüllt sein oder beides. Also, was ist?“

Die Menschen schauten sich gegenseitig an.

„Etwas interessiert es mich schon“, sprach Rodried. „Nicht unbedingt der Schätze wegen.“

„Ja, mich auch“, stimmte Hedda zu.

„Melinde?“, fragte Simund. „Hatte deine Vision etwas … damit zu tun? Mit diesem Eingang?“

„Ich weiß nicht“, antwortete sie. „Ich wünschte, ich könnte mehr sagen.“

„Wir können ja bis zum Eingang gehen“, meinte Piasus. „Und uns dann entscheiden. Kein Grund, es zu überstürzen.“

Sie stimmten zu und Barutz grinste sie freudig an.

Nach zehn, zwanzig Metern erschienen die Umrisse des offenen Einganges. In den Kröpfungen links und rechts vom Eingang waren die Gebeine von Toten eingelassen. Auf dem Gesims reihte sich Schädel neben Schädel. Ein Ort der Toten, wie ihn Simund bisher nie gesehen hatte.

„Was sagt man dazu“, bemerkte Barutz. „Wir Zwerge bauen so etwas nicht und begraben unsere Toten auf andere Weise.“

„Das ist auch nicht die Art, wie wir mit unseren Toten umgehen“, sagte Rodried. „Was ist das für ein Ort?“

„Simund.“ Melinde packte ihn am Arm. „Was siehst du?“

„Der Eingang … da sind überall Knochen und Schädel. Dahinter nur Finsternis.“

„Du weißt, was das ist.“

Alle drehten sich zu ihr um.

„Ein Tempel der Shaura. Königin der Unterwelt.“

Vielen Dank fürs Lesen!
Dieser Text erschien zuerst auf Götterdunkel.de

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