Sepia / alte Kurzgeschichte

in #deutsch6 years ago (edited)

Hallo Leute, heute habe ich etwas altes für euch. Ich habe gerade meinen Laptop aufgeräumt (jaaaaa, ich prokrastiniere schoooon wieeeeeder) und eine kleine Geschichte gefunden. Ich glaube, ich habe sie mal für einen Wettbewerb geschrieben, aber dann doch nie abgeschickt.
Ich wünsche euch viel Spaß damit.

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Bildquelle: Pixabay.com unter CCO: https://pixabay.com/de/foto-kamera-fotografie-alte-retro-219958/

Charles Blick wirkte beinahe vorwurfsvoll. Oder er hätte vorwurfsvoll gewirkt, wenn der alte Bastard nicht tot gewesen wäre.
Ich besah mir seinen Kopf etwas genauer. Ich wusste nicht, was die Wunde verursacht hatte. Klar war mir nur, dass es mit reichlich Kraftaufwand gegen seinen Kopf geschlagen worden war. Ich empfand ein klein wenig Bedauern. Nicht, wie man annehmen konnte, weil der kleine Gauner sein Leben gelassen hatte. Ich war hier her gekommen, um ihn mit meinen eigenen Händen zu erwürgen. Dass mir jemand zuvorgekommen war, tat mir jedoch irgendwie leid.
Schulterzuckend richtete ich mich wieder auf. Er war tot und ich hatte mich nicht versündigt. Das war mehr, als ich eigentlich hätte erwarten können. Da ich extra wegen eines Verbrechens hergekommen war, beschloss ich, seinen Schreibtisch auf der Suche nach Barschaften zu durchsuchen. Charles hatte mich durch seine Unterschlagungen um viel Geld gebracht. Da fand ich es angemessen, mir wenigstens einen Teil davon zurückzuholen.
Während ich mich durch Schubladen voller Briefe und Notizzetteln wühlte, überlegte ich, wer wohl der Mörder sein könnte. Vielleicht der Ehemann seiner neusten Puppe. Charles mochte verheiratete Frauen. Er sagte immer, sie seien viel leichter loszuwerden als ihre ungebundenen Artgenossinnen. Es war auch möglich, dass der alte Gauner nicht nur mich um Geld gebracht hatte. In unseren Kreisen erstattete man keine Anzeige wegen Betrug. Stattdessen schickte man seine Schläger vorbei. Oder man machte selber seine Aufwartung. Als ich einige Papiere durchblätterte, fiel mir ein kleines Foto auf. Es war ein altes Bild in Sepia. Es zeigte Charlie und mich, wie wir lachend einen Weg entlang gingen.
Ich erinnerte mich an diesen Tag. Wir hatten gerade mein erstes Motorrad frisiert und waren ordentlich stolz auf uns. Wir drehten beide einige Runden, um zu sehen, was nun aus der Kiste herauszuholen war. Als wir lachend zurück zum Haus kamen, lag unsere Mutter bereits mit ihrer neuen Kamera auf der Lauer. Das musste etwa ein Jahr vor Vaters Autounfall gewesen sein. Charlie und ich hatten anschließend seine Geschäfte übernommen. Die Familie hielt schließlich zusammen.
Nun lag Charlie in seinem Blut vor meinen Füssen. Seufzend ließ ich das Foto in meine Manteltasche gleiten. Es war nicht so, dass ich meinen kleinen Bruder nicht gemocht hätte, aber bedauern konnte ich seinen Tod nicht. Er hatte die Spielregeln schließlich gekannt. Und wenn ich ihm so ein Benehmen durchließ, würde mir bald jeder kleine Kriminelle der Stadt auf der Nase herumtanzen.
Im besten Fall würden alle glauben, ich hätte ihn erschlagen. Diese Aussicht gefiel mir. Das brachte mir eine gehörige Portion Respekt bei meinen Angestellten ein. Grinsend machte ich mich auf den Weg nach draußen. Ich hatte heute noch einiges zu tun. Da Charlie zu früh gestorben war, musste ich mein Alibi neu Instruieren. Bevor ich die Tür hinter mir schloss, sah ich noch einmal zurück zu der reglosen Gestalt auf dem Teppich.
Ja, dachte ich, so ist nun mal das Geschäft.

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