Politik 116 - Bildung und politisch-etatistische Dialektik 1/2

in #deutsch5 years ago (edited)

15. Januar 2019

Schon mehrfach habe ich mich darüber beklagt, dass die gegenwärtig gepflegte politische Dialektik [1] zu eng gefasst sei und wesentliche, mögliche Ansichten, Konzepte und Lösungen von vornherein vernachlässigt. Dies zeigt sich in ganz verschiedenen Themenbereichen und kann erkannt werden, wenn Konzepte, die möglicherweise Jahrhunderte oder Jahrtausende Standard waren in der Geschichte des Menschen und möglicherweise sogar funktionierten, gar nicht mehr angesprochen oder diskutiert werden.

Beim Thema Bildung war es die meiste Zeit klar, dass diese weitgehend in privater Hand liegt, mit entsprechenden Konsequenzen. Es gab sehr viele Menschen, die sehr wenig gebildet waren, kaum die Fähigkeit zu lesen oder zu schreiben besass und als Bauern oder Handwerksgehilfen arbeiteten. Für die ordentlichen Handwerker und Händer gab es Zünfte, in denen berufliches Wissen gesammelt und weitergegeben wurden. Höher gebildete, die Schulen und Universitäten besuchen konnten, gab es nur sehr wenige, denen in der Folge die Kaderpositionen offenstanden.

Eine industrialisierte Gesellschaft, wie sie sich ab dem 18. Jahrhundert auszubilden begann, inklusive der sehr zu begrüssenden Ausbildung eines grossen Mittelstandes, ist auf ein einigermassen hohes, durchschnittliches Bildungsniveau aller Menschen angewiesen. Denn, auch dank der später eingeführten sozialen Sicherungssysteme gibt es kaum mehr Arbeiten ohne grösseren Anspruch und ohne eine gewisse minimale Komplexität.

Ab dem 18. Jahrhundert kam es in Mitteleuropa zur Einführung der Volksschule [2]. Über eine Schulpflicht [3] für jedes Kind sollte jedem Kind ein Mindestmass an Bildung ermöglichen, als Konsequenz konnte danach auch ein Mindestmass an Wissen als allgemein vermittelt vorausgesetzt werden. Dass sich eine Schulpflicht besonders für die ärmsten Menschen sehr positiv auswirken kann, wenn ihnen sonst der Besuch einer Schule verwehrt wäre, erscheint offensichtlich. Allerdings gab es in der Geschichte auch Fälle, in denen sich Staaten der Kinder bemächtigt hat, als wären sie sein Eigentum, sie nach eigenem Gutdünken indoktriniert hat und wenn nötig auch gegen aktuelle Feinde aufgehetzt.

Aus der Geschichte heraus sind Vor- und Nachteile und Gefahren des Missbrauchs also bestens bekannt.

Es gibt auch private Bildungstraditionen und Schulen, vom Niveau der Grundschule bis zur Universität und beruflicher Weiterbildung, die sich über lange Zeit ausgebildet haben. Mit ihrer Erfahrung und dem Zwang, ein konkurrenzfähiges Produkt anzubieten, können die privaten Akteure den staatlichen Schulsystemen einen gewissen Wettbewerb aufdrücken. Dieser ist wünschenswert, da mit Bildung eigentlich langfristige Ziele erreicht werden sollen. Die nächste Generation soll auf einen guten, produktiven und die Schönheit der Bildung schätzenden Weg gebracht werden. Private Bildungsinstitute setzen darauf, nicht nur eine Generation auszubilden, sondern auch die Nachkommen ihrer ehemaligen Schüler. Deswegen dürfte der oft an Privatschulen gerichtete Vorwurf, viel utilitistischer zu sein als die öffentlichen Schulen, nicht unbedingt in Gänze wahr sein.

Denn es ist im Gegenteil bekannt, dass sich Politiker oft stark auf kurzfristige Ziele und die Implementierung der Launen des Zeitgeistes in die Bildung des Nachwuchses konzentrieren. Aus dieser Sicht ist es genau richtig, dass in gewissem Masse stets ein Gegenpol existiert, der sich nicht nach denselben Zielen richtet.

In Deutschland erleben private Schulen für Kinder gerade einen Aufschwung. Wer meine Artikel liest, dürfte Vermutungen nach den Gründen dafür anstellen und nicht an dem Gedankengang vorbeikommen, dass sich die von mir beobachtete, gestiegene Intoleranz und verringerte geistige Offenheit in der Politik nicht förderlich auf die staatlichen Schulen auswirkt. Dazu ist bekannt, dass sich die Infrastruktur der öffentlichen Einrichtungen längst nicht überall in einem sehr guten Zustand. Im Gegenteil wurden notwendige Investitionen zurückgehalten, im Sommer 2018 wurden die benötigten Mittel für Schulen auf € 48 Milliarden beziffert [4].

Dennoch wurde in einem ganz aktuell bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Kommentar im Untertitel geschrieben [5]:

Denn Bildung ist Aufgabe des Staates. Die darf er nicht aus der Hand geben.

Ist die Bildung - warum es in Deutschland in Mode gekommen ist, den bestimmten Artikel wegzulassen, weiss ich nicht, ich störe mich daran - wirklich Aufgabe des Staates? Ist es nicht eher dessen Aufgabe, darüber zu wachen, dass es genügend Angebote gibt, kein Kind ohne sinnvolle Bildung zurückbleibt und dass die Nachfrage nach Bildung erfüllt wird? Wenn sich private Akteure finden, die ein erstklassiges Angebot schaffen, das möglicherweise eher nachgefragt wird als das öffentliche, ist das eine Weiterentwicklung oder eine Neuordnung, die nicht ausschliesslich negativ gesehen werden muss.

Ich persönlich ging gerne zur Schule, in die öffentliche in der Schweiz, ärgere mich heute auch darüber, wie schwer es mir fiel, mich nach dem Gymnasium und einem mässigen Studium nur ansatzweise in die Marktwirtschaft zu integrieren. Das marktwirtschaftliche System verhält sich noch heute für mich wie eine ganz andere Welt als die in den Schulen gepflegte.

Dabei habe ich die deutsche und englische Sprache ich sehr gut gelernt, die französische passabel, Grundkenntnisse in Spanisch erworben, dazu Latein, weiterführende Kurse in angewandter Mathematik und Physik, dazu lausig Chemie studiert. Das, fast 20 Jahre in öffentlichen Bildungsinstitutionen, schien den meisten Personalverantwortlichen offenbar nicht gut genug zu sein. Sich auf die aktuellen Gegebenheiten einzustellen, ist aber eine Aufgabe, die jeder zu erfüllen hat, auch ich. Deswegen soll von der Jammerei an dieser Stelle wieder Abstand genommen werden.

Klar ist auf jeden Fall, dass ich, sollte ich in den nächsten 5-7 Jahren Kinder haben, diese sehr wahrscheinlich auf eine öffentliche Schule werde schicken müssen. Ich stehe diesen in der Schweiz auch nicht grundsätzlich überskeptisch bis ablehnend gegenüber, da der Schweizer Föderalismus noch immer lebt und man mit entsprechendem Wissen auch Einfluss auf die positive Entwicklung der Kinder nehmen kann.

Im zweiten Teil soll es um Politik gehen. Als Vorschau soll ein vom Autor angepasstes Nolan-Diagramm [6, 7] gezeigt werden, welches um Robert Kiyosakis (geboren 1947) [8] simple, dreipolige Einteilung ergänzt wurde. Das Diagramm nach Nolan wurde von dem libertären US-Amerikaner David Nolan (1943-2010) [9] entwickelt, Robert Kiyosaki ist ein bekannter Unternehmer aus den USA im Bereich der Immobilienverwaltung und Autor von wirtschaftlichen Selbsthilfebüchern. Das Diagramm wird in der Folge Nolan/Kiyosaki-Diagramm genannt.


Eine von dem Autor angepasste Darstellung des Nolan-Charts der politischen Positionierung und Robert Kiyosakis dreipoliger politischer Einteilung [8].


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Dialektik
https://en.wikipedia.org/wiki/Dialectic
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Volksschule
https://en.wikipedia.org/wiki/Volksschule
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Schulpflicht
https://en.wikipedia.org/wiki/Compulsory_education
[4] Investitionsstau: Investitionsstau an deutschen Schulen beläuft sich auf 48 Milliarden Euro. Handelsblatt, 15. August 2018, von dpa https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/investitionsstau-investitionsstau-an-deutschen-schulen-belaeuft-sich-auf-48-milliarden-euro/22914940.html?ticket=ST-625025-JN0dJXBIQwI10uToS5hB-ap2
[5] Bildungskommentar: Sollen jetzt alle auf Privatschulen?. FAZ.net, 13. Januar 2019, von Florentine Fritzen https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bildung-der-privatschul-boom-klingt-harmlos-ist-aber-gefaehrlich-15985869.html
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Nolan-Diagramm
https://en.wikipedia.org/wiki/Nolan_Chart
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Kiyosaki
https://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Kiyosaki
[8] https://plus.google.com/106613867040667347381/posts/UenEF5Pymi7
https://plus.google.com/106613867040667347381/posts/bAgeht88x18
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/David_Nolan
https://en.wikipedia.org/wiki/David_Nolan


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Vielleicht kannst Du mal was zu den letzten beiden Grafiken schreiben. Mir ist nicht klar, was der Künstler damit ausdrücken will.

Danke für den Kommentar! Ich weiss nicht, ob du schon einmal hier kommentiert hast, jedenfalls ein herzliches Willkommen!

Gerne führe ich das kurz aus. Das Nolan-Diagramm ist ein Versuch, politischer Positionierung neben dem eindimensionalen Klassiker links-rechts eine zweite Dimension hinzuzufügen. Nolan hat das mit einer Skala autoritär-freiheitlich versucht. Es gibt noch andere Versuche, beispielsweise liberal-konservativ.

Im Nolan-Diagramm steht rechts für einen Vaterstaat, einen repressiven Polizeistaat, links für einen Mutterstaat, eine weichere Herrschaftsform mit viel Umverteilung, nach oben hin wird es autoritär, nach unten offener und freiheitlicher. Selbstverständlich kann man auch so nicht jede Ansicht perfekt abbilden, aber dennoch ist es etwas differenzierter als eine eindimensionale Skala links-rechts.

Das gelbe Dreieck einzufügen ist eine Spielerei meinerseits, es hat mir gefallen, als ich die Graphik vor einiger Zeit nachgezeichnet und modifiziert habe.

Apropos Integration in die marktwischaft. Bei vielen potentiellen Kollegen fehlt mir einfach die Intelktuelle und moralische Geduld. Hier ein Netzfund dazu

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Danke für den Kommentar!

Es kann sicherlich immer wieder zum Verzweifeln sein im Alltag. Andererseits ist es so, dass man in der eigenen Umgebung selber einen Unterschied machen kann und am besten mit dem eigenen guten Beispiel Wirkung zeigen kann. Ich bin überzeugt, dass einen die Leute, die einen nicht gleich mit Neid übergiessen, wenn sie einen gut gelaunt antreffen und eine positive Art zu leben sehen, durchaus als Inspiration erkennen können.

Wichtig ist, dass man sich auf die Dinge beschränkt, die man wirklich ändern kann. Das geht nicht zuletzt auch mich an. In einigen meiner Texte habe ich mich mehr als genug selbst wiedererkannt.

Die letzte Abbildung ist ganz hilfreich. Vor allem die Beschriftung "Economic/Cultural focus on Community/Individual".

Ich habe das Gefühl, dass heutzutage sehr oft Leftism mit Individualism verwechselt wird. Das wird teilweise bei Diskussionen problematisch, wenn man sagt "die Linken" und die ökonomisch Linken meint, der Gegenüber aber denkt, dass man damit eher individuelle Freiheit sprich Individualism, also eher in Richtung ökonomisch-rechts (bzw. libertär) meint.

Danke für den Kommentar!

Es ist eine Landkarte, die einiges an Orientierung bietet, gerade die Zusatzinformation mit ökonomischem und kulturellem Fokus. Linke und Rechte siedeln verschiedene Dinge beim Individuum, respektive Kollektiv an.

Der Hauptinhalt ist etwas, was man sich anstrengen sollte zu propagieren oder durchzusetzen. Dass das Thema politische Positionierung komplexer ist als links-rechts und es mehr als ein paar ehrbare Gute in der Mitte, ehrbare linke Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und einen Haufen böse rechtsextremistischer Nazis gibt.

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