Ideologie 062 - Mehr Gedanken zum Thema Gender 1/2

in #deutsch6 years ago (edited)

16. April 2018

Einleitung


Vor bald einem Jahr habe ich einmal einen kurzen Artikel zum Thema Gendertheorie verfasst [1]. Schon damals habe ich auf Aussagen des auf Evolutionsbiologie spezialisierten Professors Ulrich Kutschera [2] verwiesen. Professor Kutschera ist einerseits ganz aktuell in einem Interview mit der Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch (AfD) zu sehen [4], andererseits auch auf dem YouTube Kanal evolutionsbiologenDE [5]. Im Gespräch wurde auch das Buch Das Gender-Paradoxon [6] vorgestellt, welches Prof. Kutschera verfasst hat und den 13. Band in der von ihm herausgegebenen und beim Lit Verlag erschienenen Buchreihe Science and Religion. Naturwissenschaft und Glaube darstellt [6].

Im zweiten Teil dieses Artikels werde ich die wichtigsten Aussagen von Prof. Kutschera aus dem Gespräch darlegen und hoffentlich zeigen können, warum sich in diesem Thema Natur- und Geisteswissenschaften nicht einig sind und gleichzeitig die Politik eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Sache spielt.

Zunächst soll es aber noch um eine politische Debatte und meine bisherigen Erkenntnisse gehen.


Die Debatte aus dem Landtag von Baden-Württemberg


Den eigentlichen Anlass, wieder einmal einen Artikel zu diesem Thema zu verfassen, lieferte aber eine Debatte im Landtag von Baden Württemberg, dem deutschen Bundesland, dem ich als Nordostschweizer am nächsten bin. Es ging um einen Antrag der Partei AfD über die Genderforschung. Für die Fraktion der AfD sprachen die Abgeordneten Heiner Merz [7] und Stefan Räpple [8]. Weiter sprachen die Abgeordneten Brigitte Lösch (Grüne), Christine Neumann-Martin (CDU), Gabi Rolland (SPD), Nico Weinmann (FDP) und die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Theresia Bauer (Grüne) [9].

Interessant fand ich, dass es eine Abgeordnete offenbar für wichtig hielt, den Abgeordneten der AfD zu erklären, dass man Gender nicht mit klassisch deutschem 'g' (g in phonetischer Schrift) aussprechen soll, sondern mit einem 'tsch' (0:55 min im Video [9]). Wobei ich mir die Spitzfindigkeit erlauben will, dass ein englisches 'ge' wie ein 'j' im Allgemeinen mit einem stimmhaften 'dsch' ( in phonetischer Schrift) auszusprechen ist, nicht mit einem stimmlosen 'tsch'. Ein stimmloses 'tsch' ( in phonetischer Schrift) gibt es etwa bei den Worten chat (deutsch Unterhaltung) oder gleich doppelt bei church (deutsch Kirche). Diese Ausspracheregel wird mit Ausnahme der Ministerin auch von den anderen im Video unter [9] zu sehenden Abgeordneten nicht befolgt.

Ganz besonders beeindruckt hat mich die Aussage der Ministerin Theresia Bauer (Grüne) [10], die gesagt hat, dass es sich bei der Untersuchung geschlechtsspezifischer Folgen von Herzinfarkten [11] gezeigt hat, dass Frauen andere Symptome zeigen als Männer (22:58 min unter [9]). Für mich ist das ein klassisches, biologisch-geschlechtsspezifisches und medizinisches Thema, das mit der Gendertheorie nichts zu tun haben muss. Es kann natürlich sein, dass das Geld für die entsprechende Forschung aus einem Topf für Genderforschung stammte, aber grundsätzlich handelt es sich um ein klassisches Thema, das auch ohne Gendertheorie relevant ist. Auch bei den verschiedenen menschlichen Ethnien gibt es unterschiedliche Resistenzen gegenüber Krankheiten, auch das kann man ohne Genderforschung untersuchen.

Im Video wird von der Ministerin (25:50 min unter [9]) auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) [12] erwähnt, namentlich auch ein neues Projekt über 5 Jahre mit dem Titel Recht, Geschlecht und Kollektivität [13], dessen Titel mich als Individualist eher irritiert.

Nicht wirklich erstaunt hat mich das Ausweichen auf aus meiner Sicht Plattitüden darüber, dass die wissenschaftliche Forschung frei sei und keiner staatlichen Kontrolle unterliege. Das Problem an solchen Aussagen ist, dass es innerhalb der politischen Diskussion über Wissenschaft zumeist um die staatliche Förderung wissenschaftlicher Programme gibt oder um vielleicht ethisch oder sicherheitstechnisch begründete Einschränkungen für Bildungsinstitute und Firmen. In der Geschichtsforschung wird Historikern vonseiten der Staaten oder von supranationalen Institutionen immer wieder die Einsicht in Dokumente verweigert. Die in ihren Ursprüngen stark militärische Forschung in der Nukleartechnik wurde in letzter Zeit sicherheitstechnisch und politisch motiviert eingeschränkt und zurückgefahren. Gegenwärtig wird auch versucht, die Forschung an Verbrennungsmotoren einzuschränken, obwohl es, weltweit weiter steigende oder stagnierende Absatzzahlen für Fahrzeuge voraussgesetzt, normale Wachstumsprozesse kaum erlauben werden, vor dem Jahr 2040 die Produktion solcher Motoren einzustellen. Meine Ansicht ist klar, was hergestellt wird, sollte auch weiterentwickelt werden. Wer hingeht und behauptet, die staatlich unterstützte Forschung unterliege keiner politischen Kontrolle und dass das so gut sei, verkennt aus meiner Sicht die Realität, in der die Politik, vor allem deren überregionaler Zeitgeist, sehr wohl Einfluss auf die an hohen Bildungsinstituten getätigte Forschung nimmt.

Mit der Entrüstung der Abgeordneten der AfD über die Gendertheorie und entsprechende Forschung gehe ich nicht vollständig konform. Ich halte es durchaus für wertvoll, wenn man den in der Natur vorkommenden Abweichungen von den aus der Biologie bekannten beiden Standardtypen von Geschlechtern Respekt erweist und dazu forscht. Es ist auch nicht uninteressant, zu untersuchen, welche Teile geschlechtertypischen Verhaltens den natürlichen, biologischen Veranlagungen entstammt und was durch unterschiedliche Sozialisierung zustande kommt. Was man trotzdem ganz klar erkennen sollte, ist die Tatsache, dass es den biologischen Karyotyp gibt, der jede Zelle eines menschlichen Wesens prägt [1]. Dazu ist es nicht möglich, als Mann weiblich fruchtbar zu werden oder umgekehrt. Für mich ist das das entscheidende Kriterium.

Je nach Karyotyp [14] ist man männlich - 46,XY - oder weiblich - 46,XX - fruchtbar oder nicht fruchtbar.

  • Männer mit Karyotyp 47,XYY sind in der Regel fruchtbar [15].
  • Menschen mit Down-Syndrom - Trisomie 21 47,XX+21 für Frauen 47,XY+21 für Männer - sind in ihrer Fruchtbarkeit reduziert, Frauen sollen nur zu etwas zwei Dritteln fruchbar sein, dazu kommt eine Wahrscheinlichkeit von 50 % erneuten Down-Syndroms beim Nachwuchs, Männer sollen fruchtbar sein, wobei ihre Spermien verlangsamt sein sollen [16].
  • Frauen mit Karyotyp 47,XXX sind häufig in ihrer Fruchtbarkeit reduziert, unterliegen aber keinem erhöhten Risiko, ihrem Nachwuchs eine falsche Zahl an Chromosomen weiterzugeben.
  • Männer mit Klinefelter Syndrom 47,XXY [17] - teilweise Körperzellen gemischt 47,XXY und 46,XY - sind zumeist unfruchtbar, aber lebensfähig.
  • Das Pätau-Syndrom 47,XY+13 [18] führt zu stark erhöhten Wahrscheinlichkeiten der Sterblichkeit als Kind. Die meisten Mädchen und Jungen werden keine 10 Jahre alt.
  • Das Turner-Syndrom - Monosomie X 45,X bei Frauen - ist der einzige Karyotyp mit unter 46 Chromosomen, der lebensfähig sein kann [19], wobei 98-99 % der Betroffenen bereits als Embryo sterben.
  • Männer sind mit unter 46 Chromosomen nicht lebensfähig.

Im bald erscheinenden Teil 2 gibt es die Auflistung der Aussagen von Prof. Ulrich Kutschera.


[1] Ideologie 032 - Gedanken zum Thema Gender. @saamychristen, 12. Mai 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/ideologie-032-gedanken-zum-thema-gender
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Kutschera
https://en.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Kutschera
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Beatrix_von_Storch
https://en.wikipedia.org/wiki/Beatrix_von_Storch
[4] Das ganze Bild: Beatrix von Storch trifft Prof. Ulrich Kutschera - 2 Teile. Freie Welt TV YouTube Kanal, 26. März 2018
[5] https://www.youtube.com/user/evolutionsbiologenDE/videos

[6] Buchreihe Science and Religion. Naturwissenschaft und Glaube. Herausgegeben von Prof. Dr. Ulrich Kutschera und Prof. Dr. Uwe Hoßfeld, Lit Verlag, seit 2007 http://www.lit-verlag.de/reihe/scare
Das Gender-Paradoxon - Mann und Frau als evaluierte Menschentypen. Ulrich Kutschera, 2018, Lit Verlag https://www.amazon.de/dp/3643132972/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_yIr1Ab8HN6QNG


Debatte im Landtag von Baden-Württemberg über Genderforschung, vom 11. April 2018. In schriftlicher Form unter https://www.landtag-bw.de/home/dokumente/plenarprotokolle.html
[7] AfD - Dr. Heiner Merz - Genderforschung: "Ministerium verbietet Hochschulen mir zu antworten". HSM2k2 YouTube Kanal, 12. April 2018


[8] Stefan Räpple [AfD]: "Sie fettgefressenen Politiker!" +++ Der Landtag brodelt. HSM2k2 YouTube Kanal, 12. April 2018

[9] Die Altparteien reagieren so auf den AfD-Antrag zum Thema Ausgaben für Genderforschung. HSM2k2 YouTube Kanal, 12. April 2018, Redebeiträge durch Brigitte Lösch (Grüne), ab 7:00 Min Christine Neumann-Martin (CDU), ab 10:52 Min Gabi Rolland (SPD), ab 13:23 Min. Nico Weinmann (FDP), ab 17:25 Min Theresia Bauer (Grüne) Ministerin.

[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Theresia_Bauer
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Myokardinfarkt
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Forschungsgemeinschaft
[13] DFG-Forschungsgruppe „»Recht – Geschlecht – Kollektivität. Prozesse der Normierung, Kategorisierung und Solidarisierung« bewilligt. ZtG Blog, 13. September 2017 https://www2.gender.hu-berlin.de/ztg-blog/2017/09/dfg-forschungsgruppe-recht-geschlecht-kollektivitaet-prozesse-der-normierung-kategorisierung-und-solidarisierung-bewilligt/
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Karyotyp
[15] https://de.wikipedia.org/wiki/XYY-Syndrom
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Down-Syndrom
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Klinefelter-Syndrom
[18] https://de.wikipedia.org/wiki/P%C3%A4tau-Syndrom
[19] https://de.wikipedia.org/wiki/Turner-Syndrom


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Auch ich musste mich teilweise mit diesem „dschender“ Thema auseinandersetzen, da unser Sohn sein Diplom (freie Kunst) in Anlehnung zu diesem Thema geschrieben hat. Der Hype um dieses Thema ist freilich viel zu groß geraten und bewegt sich bereits ins absurde. Aber es schadet nicht, auch mal eine Judith Butler gelesen zu haben (musste es meinem Sohn zu liebe aber war auch sehr interessant, wie auch absolut überzogen nach meiner Meinung). Auf jedenfall hat es dazu gedient, dass unser Sohn ein grandioses Diplom hingelegt hat, da er auch die wissenschaftlichen Aspekte gut aufgearbeitet hat. Sein Diplom hatte dadurch ein ausgeglichene Waage, was auch die Gender- Enthusiasten an der Bauhaus Uni in Weimar zum Nachdenken brachte. Widerlegungen seiner Theorie gab es auf jedenfall nicht, besonders nicht bei seiner Verteidigung, die hat er mit Maximum Vote absolviert. Die „Freie Kunst“ an der Bauhaus Uni hat aber auch Narrenfreiheit, was auch eine freie Wissenschaft (aber nur in der Kunstszene) möglich macht. Die restlichen Wissenschaften sind natürlich nicht frei sondern ergebnisorientiert. Freie Wissenschaft, Kunst, Lehre gibt es nur auf dem Papier und in Art.5 des Grundgesetzes, aber das war es dann auch.Als Lippenbekenntnis und in Sonntagsreden kann man diese Freiheit natürlich bewundern, aber ab Montag ist Schluss mit lustig.

Danke für den Kommentar! Und volle Zustimmung!

'Schön' ist, dass es natürlich nicht am Sonntag, sondern an einem Donnerstag zu diesen Reden kam...
Natürlich gibt es auch im naturwissenschaftlichen Bereich Grundlagenforschung, aber um das machen zu dürfen, muss man sich in der Regel eine gehörige Menge Respekt erarbeitet haben. Es erfordert auch viel Talent und ein glückliches Händchen für vielversprechende Themen.

Schlussendlich dürfte es einmal mehr ein Problem der Mehrfachmoralisten sein - von mir seit heute auch Buntmoralisten genannt - die einmal mehr der nachvollziehbar lockenden Versuchung nicht widerstehen können, die Gesetzeslage nicht allgemein, sondern einseitig zu ihrem Nutzen zu interpretieren. Dass das nicht nachhaltig sein kann, sollte sich von selbst verstehen.

Ich verstehe die Gendertheorie nach wie vor als eine Theorie, die der Biologie untergeordnet zu sein hat. Wenn die Hierarchie klar ist, kann durchaus über gesellschaftliche Einflüsse gesprochen werden. Von einer anderen Hierarchie überzeugen lasse ich mich dann, wenn folgende Dinge geschehen sind:

  1. sich ein Karyotyp 46,XX sich durch Gendertheorie zur Spermienproduktion und Befruchtung einer Frau gebracht hat,
  2. umgekehrt sich ein 46,XY funktionierende Ovarien und Gebärmutter hat wachsen lassen, sich hat befruchten lassen und ein lebensfähiges Kind geboren hat.

Eine handfeste Herausforderung würde ich meinen...

Nice talking

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