Ideologie 047 - Einer der frühen, politisch genutzten Phobiebegriffe

in #deutsch6 years ago (edited)

08. November 2017

Zurzeit wird der Begriff der Phobie im politisch-agitatorischen Jargon gerne verwendet: Wer sich in irgendeiner Form zu einem der hip-modernen Themen kritisch oder skeptisch äussert, wir als einer Phobie erlegen bezeichnet. Das Wort Phobie entstammt der griechischen Sprache, das Wort φόβος (Phobos) bedeutet Furcht [1]. Gemäss der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten ICD-10 handelt es sich bei einer Phobie um eine Angststörung [2], welche für eine verbesserte Lebensqualität behandelt werden sollte. In einer bei der deutschsprachigen Wikipedia zu findende Liste von Phobien, werden die echten Angsterkrankungen mit sozialen und kulturellen Phänomenen vermischt.

Beispiele für soziokulturelle "Phobien" sind etwa

  • die Homophobie [4], die eine Abneigung gegen homoerotisch orientierte Menschen beinhaltet. Der Begriff wird für Leute benutzt, die tatsächlich vor allem aus religiösen Motiven gegen solche Menschen vorgehen, aber auch für solche, die nichts gegen diese Menschen haben, aber ihnen etwa die Ehe verweigern wollen, da eine gleichgeschlechtliche Beziehung im Gegensatz zu einer klassischen Frau-Mann-Beziehung nicht fruchtbar bezüglich menschlichen Nachwuchses sein kann

  • die Xenophobie [5], eine Abneigung gegen Fremde. Griechisch ξένος (xenos) bedeutet Fremder. Auch hier wird je nach Bedarf das Etikett für wahnsinnige Rassenideologen, die Menschen fremder Herkunft pathologisch hassen, aber auch für ganz anständige, zurückhaltende Menschen verwendet, die Fremden gegenüber erst skeptisch oder etwas reserviert auftreten, aber nicht aus einer bösen Absicht heraus, sondern weil das vorsichtige Vorgehen ihrer Natur entspricht.

  • die Islamophobie [6], ein weiterer Begriff, der im politischen Kampf verwendet wird. Einerseits für Menschen, die in jedem Muslim einen Feind zu erkennen glauben, unabhängig davon, wie dieser seinen Glauben lebt und wie er mit Andersgläubigen umgeht. Andererseits auch für Menschen, die den Islam deswegen kritisch sehen, weil sich dessen Lehre nicht auf Spiritualität und individuelle Lebensgestaltung beschränkt, sondern auch hinsichtlich der Gesellschaftsform oder bei den Essgewohnheiten klare Vorstellungen beinhaltet, die mit westlichen Gesellschaften nur beschränkt kompatibel und teilweise auch objektiv nicht auf der Höhe der Zeit sind. Wer sich in dieser Hinsicht Klarheit oder ehrliche Klarstellungen von einflussreichen Muslimen erhofft, kann bereits als latent islamfeindlich bezeichnet werden, da man den Islam nicht als Ganzes akzeptieren möchte. Soweit mir bekannt, wurden Frauen im Iran, die nach der islamischen Revolution die Haare nicht bedecken wollten, auch als Islam- und Revolutionsgegner bezeichnet, so als ob die religiöse Ernsthaftigkeit vorwiegend von äusserlichen Symbolen abhängig wäre.


Nun aber will ich dazu kommen, warum ich überhaupt einen Artikel über Phobien schreibein wollte. Bei der Lektüre des Buches Ecocide in the U.S.S.R - Health and Nature under Siege (Ökozid oder Umweltzerstörung in der UdSSR - Gesundheit und Natur im Belagerungszustand) des Demographen Murray Feshbach [7] las ich im Kapitel 7 über die Nuklearkatastrophe in Tschernobyl vom 26. April 1986 den Begriff der Radiophobie [8], zu deutsch Strahlenangst. Im Zuge dieser Katastrophe mussten Menschen umgesiedelt werden, es brauchte Menschen für das notdürftige erste Aufräumen brauchte es Arbeitskräfte und auch für den weiteren Betrieb der weiteren Reaktoren brauchte es Menschen. Die in unmittelbarer Nähe gelegene Stadt Pripyat wurde aufgegeben und eine Ersatzstadt namens Slawutytsch erbaut. Bis 1988 wurde auf dem Gelände der Kernkraftwerke Tschernobyl [13] (51.387901 N, 30.104597 O) an zwei neuen Reaktorblöcken 5 und 6 weitergebaut. Diese wurden jedoch nicht fertiggestellt. Der Reaktorblock 1 wurde bis 1996 weiterbetrieben, Block 2 bis 1993 und Block 3 ging als letzter im Jahr 2000 vom Netz. Das Kraftwerksgelände war also mindestens bis 2006 nicht verwaist. Alle Reaktoren waren vom graphitmoderierten und als nicht besonders sicher geltenden Typ Siedewasser-Druckröhrenreaktor RBMK [14] (Реактор Большой Мощности Канальный, transkribiert Reaktor Bolschoi Moschtschnosti Kanalny, zu Deutsch etwa Hochleistungs-Reaktor mit Kanälen).

2017-11 - Chernobyl from Pripyat.JPG
Der Unglücksreaktor Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl von der verwaisten Stadt Pripjat gesehen [15].

Natürlich war Tschernobyl nicht der einzige Ort in der Sowjetunion, an dem eine hohe Strahlenbelastung vorlag. In der Umgebung der Kerntechnischen Anlage in Majak [16] oder dem Testgelände Semipalatinsk [17] in Kasachstan litten auch viele Menschen unter den Belastungen. Die Bevölkerung konnte man wegen der auftretenden Probleme kaum in vollem Umfang unterrichten, da die Probleme im fundamentalen Widerspruch zu anderen staatlichen Direktiven standen und wie erwähnt auch Arbeitskräfte weiter benötigt wurden. Auch wollte man sicher nicht die immer noch halbwegs vorhandene Loyalität der Bevölkerung auf unter Null sinken lassen. In ganzem Umfang wurden die Folgen der Strahlenbelastung auch nicht ermittelt, die prekäre Lage des Landes erschwerte es zusätzlich, für Umweltthemen überhaupt weitere Ressourcen zu bekommen.

Deswegen wurde teilweise auch behauptet, die Menschen, die entweder einmalig sehr hoher oder dauerhaft signifikanter Strahlenbelastung ausgesetzt waren, litten unter Symptomen von Stress, der nicht zuletzt auch von einer irrationalen Angst herrührte. Man sollte verstehen, dass gerade die einfache Landbevölkerung und auch sonst eigentlich alle, die nicht im kerntechnischen oder naturwissenschaftlichen Bereich tätig waren, von der Radioaktivität und Kerntechnik keine Ahnung vom Thema hatten. Das Aufkommen grosser Angst vor der unsichtbaren, extremen Gefahr war eindeutig nachvollziehbar. Trotzdem wird jeder Organismus, wenn radioaktiver Strahlung ausgesetzt, einem tatsächlich grossen Stress ausgesetzt. Nicht jede Art von Radioaktivität wirkt genau gleich, aber insgesamt ist radioaktive Strahlung von hochenergetischer Natur, sie wirkt ionisierend und zerstört deshalb lebendige Zellen ziemlich effektiv. Den tatsächlich von zu hoher Strahlenbelastung betroffenen Menschen, akut oder chronisch, andrehen zu wollen, sie litten nur ein wenig unter Stress oder unter ihrer Angst, fühlt sich für mich sehr unangenehm an.

Der deutsche, im alternativmedialen Bereich tätige Analyst Alexander Benesch hat in seinen Videos über Russland immer wieder erwähnt, dass Aberglauben und Naturreligiöses bis hin zur Esoterik ziemlich stark verbreitet ist, was eine "gute" Basis sein dürfte, um sachlich diskutieren zu können. Während der Perestrojka in den 1980er Jahren wurde den Menschen das Protestieren bekanntlich sukzessive erlaubt, aber es war ohnehin klar, dass für echte Änderungen keine Ressourcen vorhanden waren.

Der Begriff der Radiophobie, muss ich leider zugeben, war aber keine Erfindung der Sowjetunion, sondern tauchte bereits vorher stellenweise auf, etwa im Zuge der ersten Nuklearwaffentests und nach den Nuklearwaffeneinsätzen in Japan.

Ich selber gehörte unter Vorbehalten eigentlich stets zu den Fans der Nukleartechnik. Die pure Leistungsfähigkeit, aus wenig Material Leistung im Gigawattbereich generieren zu können, fasziniert mich, auch wenn nur die Reaktoren selbst wirklich faszinierend sind, der Kraftwerksteil ist eine Dampfturbine. Die Vorbehalte betreffen drei Bereiche:

  1. wohl dank der militärischen Herkunft der Technologie hat man sich vor allem zu Beginn kaum mit den anfallenden Abfällen auseinandergesetzt und sogar teilweise solche im Meer entsorgt, obwohl seit langem bekannt ist, dass Schwermetalle, wenn einmal im Wasser gelöst, sehr gut bioakkumuliert werden. In Fettgeweben.
  2. die Gewinnung des hochgiftigen Schwermetalls Uran [18] ist wie andere Formen des Bergbaus umwelttechnisch eher bedenklich. Dazu fällt, solange das Isotop Uran-235 angereichert werden muss, eine grosse Menge an Uran-238 als Abfall an. Diesen Abfall in Munition zu verwenden, ist üble Umweltverschmutzung, da Uran-238 nicht nur schwach radioaktiv, sondern vor allem ein hochgiftiges Schwermetall ist. Alle mir bekannten Uranverbindungen werden mit sehr giftig gekennzeichnet, im Labor bedeutet das Handschuhpflicht und Arbeiten unter dem Abzug, herumjunken damit sollte man tunlichst vermeiden.
  3. der Katastrophenfall als ein bereits mehrfach geschehenes Ereignis ist zu gross, um akzeptabel zu sein. Damit entsteht Schaden, für den bei weitem keine Haftung übernommen werden kann. Allerdings kam es bei den grossen Nuklearunfällen auch zu Aneinanderreihungen von menschlichem Versagen, die Schuld ist also nicht allein bei der Technik zu suchen.

Trotz dieser Vorbehalte zweifle ich im Unterschied zu vielen keineswegs an der Beherrschbarkeit der Technik, hunderte im täglichen Einsatz stehende Reaktoren beweisem das, nicht nur in grossen Kraftwerksgebäuden, sondern auch in mobilen Einheiten, wie etwa Schiffen, Flugzeugträger, Eisbrecher und U-Boote. Ich leide also nicht unter Nuklear- oder Strahlenphobie, allerdings ist für mich klar, dass diese Technik weder in die Hände von ahnungslosen Bastlern gehört, noch zur Herstellung von Nuklearwaffen verwendet werden sollte.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Phobie
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Angstst%C3%B6rung
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Phobien
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Homophobie
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Fremdenfeindlichkeit
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Islamfeindlichkeit
[7] Ecocide in the USSR - Health and Nature under Siege. Murray Feshbach und Alfred Friendly Jr., 1992 https://archive.org/details/ecocideinussrloo00mart
[8] https://en.wikipedia.org/wiki/Chernobyl_disaster
https://de.wikipedia.org/wiki/Nuklearkatastrophe_von_Tschernobyl
[9] https://en.wikipedia.org/wiki/Radiophobia
https://de.wikipedia.org/wiki/Strahlenangst
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Tschernobyl
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Prypjat_Stadt
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Slawutytsch
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Tschernobyl
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/RBMK
[15] This work has been released into the public domain by its author, Jason Minshull. This applies worldwide. It was found on page [8]
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Kerntechnische_Anlage_Majak
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Atomwaffentestgel%C3%A4nde_Semipalatinsk
[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Uran

Der Vollständigkeit halber die beiden Links, in denen das unter [7] erwähnte Buch auch Thema ist:
Geographie 006 - Entwicklung von Ländern, Beispiel Russland/UdSSR - Teil 1. @saamychristen, 22. September 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/geographie-006-entwicklung-von-laendern-beispiel-russland-teil-1
Geographie 007 - Entwicklung von Ländern, Beispiel Russland/UdSSR - Teil 2. @saamychristen, 26. September 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/geographie-007-entwicklung-von-laendern-beispiel-russland-udssr-teil-2


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Trotz der allgemeinen Sozialisierung zur Atomphobie bin auch ich ein Fan der Technik. Allerdings frage ich mich, warum aus den Gau Zwischenfällen nicht gelernt wird und bei bestehenden und geplanten Reaktoren einfache bautechnische Sicherheitsmassnahmen getroffen werden, mit denen im Extremfall die Auswirkung auf die Umwelt reduziert werden können. Zwei Beispiele:

  1. In Fukuschima und ich meine auch in Tschernobyl wurden Eiswände im Boden angelegt, damit verstrahltes Grundwasser nicht abfliessen kann. Warum baut man die notwendige Infrastruktur nicht jetzt schon bei allen Reaktoren ein? Relativ zum Gewinn einer KKW Großanlage ist es nicht allzu teuer, die notwendigen Löcher zu bohren und Rohre zu verlegen.

  2. Radioaktivität wird bekanntlich durch Materie aufgehalten. Mal besser, mal schlechter. Warum also häuft man nicht standardmässig einen Wall um bestehende Anlagen, der mindestens so hoch ist, wie der Reaktorkern plus ein paar Meter. Da es sich dabei um reine Erdbewegungen handelt und um KKWs meist Platz ist dürfte auch das nicht so teuer sein. Idealerweise könnte man auf der Spitze des Walls Halterungen anbringen, um das ganze im Fall der Fälle schnell einen Sarkopharg zu verwandeln wie es in Tschernobyl gemacht wird.

Das sind nur zwei Dinge, aber es gibt mit Sicherheit noch dutzende sinnvolle Massnahmen, die man treffen könnte ohne die Investition sauer werden zu lassen. Auch etwa das Zugangsproblem könnte gelöst werden mit Hilfe von Sichtachsen, die sich leicht entfernen (oder wegsprengen) lassen. Dann braucht man nur ein starkes Fernglas und keine Roboter, um einen Blick auf die havarierte Anlage zu werfen.

Die Frage ist: Fehlt es am Willen? Am Geld und an der notwendigen Technik liegt es jedenfalls nicht. Ich bin mir aber sicher, dass viele Menschen besser schlafen würden, wenn es solche Massnahmen gäbe.

Danke für den Kommentar!

Für mich ist es eines der Kernärgernisse, wenn mit verhältnismässig geringen Investitionen viel verbessert werden könnte, es aber nicht getan wird. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung stünde man besser da, es gäbe mehr Dialog und die Menschen rundherum wüssten vielleicht wieder mehr über Technik. Deswegen ist es sicher eine gute Sache, wenn man sich allgemein Gedanken zum Thema macht.

Da ich nie Teil solcher Gremien war, kann ich nicht wirklich beantworten, woran es liegt, dass sinnvolle Massnahmen nicht ausgeführrt werden. An der Konkurrenzfähigkeit scheitert es bei diesem krass beschnittenen und regulierten Energiemarkt wohl eher nicht.

Vorschlag 1 ist sicher einigermassen einfach umzusetzen, wie sehr die Infrastruktur unter einer Katastrophe leiden würde, lässt sich aber kaum abschätzen. Vorschlag 2 auch. Allerdings würde das Material die Strahlung nur in der Seitwärtsbewegung hemmen, nach oben wäre alles offen wie ein Schlot.

Mir erschienen, aus dem was ich gelesen habe, beide Havarien in Tschernobyl und Fukushima vermeidbar.

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