Weißrußland zwischen allen Stühlen

in #deutsch4 years ago (edited)

Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!

Weißrußland droht zerrieben zu werden zwischen einer nicht mehr zukunftsfähigen Regierung, einer dilettantisch-ignoranten Hausfrauen-Milchmädchen-Opposition, Kriegstreibern wie Polen als Erfüllungsgehilfen westlicher Umstürzler und den unerfüllbaren Aspirationen seiner Bevölkerung.
Unser Freund Erasmus Konsul analysiert die Lage und weist auf Gefahren für das Land und die Implikationen für andere Staaten hin.
Die EU und speziell Deutschland erweisen niemandem einen Dienst durch die Erweckung illusorischer Hoffnungen in anderen Staaten. Den notorischen Unruhestiftern in Europa und außerhalb muß mit aller Entschiedenheit Einhalt geboten werden. Mit der Entfachung immer neuer Flächenbrände legen sie die Lunte an ein Pulverfaß, woran am wenigsten Deutschland Interesse hat. Seine herrschende camarilla aber ist zu sehr mit den destruktiven Kräften verbunden und zum Teil auch intellektuell überfordert, um die erforderlichen Anstöße geben und Grenzen setzen zu können.

Wird Weißrussland ukrainisiert?

von Erasmus Konsul

In Minsk droht möglicherweise Gefahr: Nämlich dann, wenn es im Gefolge der derzeitige Demonstrationen gegen Staatspräsident Lukaschenko zu dessen Sturz und dann zu einem Frontwechsel des Landes in Richtung Westen kommen sollte. Und: Wenn Moskau irgendwie gegen einen Frontenwechsel in Minsk Richtung Westen vorgehen würde. Da könnte dann über die Ereignisse in Weißrussland möglicherweise eine neue Front gegen Berlin aufgebaut werden, die der Zusammenarbeit mit Russland den endgültigen Todesstoß zufügen würde. So könnte ein pessimistisches Szenario in dieser Hinsicht aussehen.

Deshalb zeigt Kanzlerin Merkel Zurückhaltung bei ihren Stellungnahmen. Natürlich wird es auch in Brüssel teilweise Zurückhaltung geben, da im Fall einer “Ukrainisierung” Weißrusslands mit ersatzloser Zerschlagung der sicher noch weithin existenten post-staatlichen Unternehmensstrukturen die Zeche ja dort bezahlt werden müsste. Aber auch wenn Berlin dann pflichtgemäß finanziell nachschießt, kein Mensch wird die ökonomischen Hoffnungen dieser verwirrten Menschen erfüllen können, die jetzt die Ablösung eines vermutlich etwas starrsinnig gewordenen Autokraten fordern, der ihnen aber andererseits bisher zumindest einen Teil der harten Umstrukturierungskosten erspart hat, die es in Russland und der Ukraine gegeben hat. Die etwas steril wirkenden Stellungnahmen von EU-Politikern gegen Minsk kontrastieren auch mit den eher zahm wirkenden tatsächlich beschlossenen Sanktionen.

Mit dem Unterschied, dass die Opfer für den Seitenwechsel zum sogenannten Westen zumindest in der Ukraine weitgehend perspektivlos geblieben sind und sein müssen, weil natürlich kein Mensch westlich des Bug die Ukraine braucht, außer um vielleicht ihre fruchtbaren landwirtschaftlichen Böden auszubeuten (aber auch das vermutlich bisher nur mit Einschränkungen) und ihre Arbeitskräfte. Weißrussland käme nun in einer Phase Richtung Westen, wo die EU ohnehin genügend Probleme hat. Die Zukunft der Demonstrierenden - natürlich mit Ausnahme einiger Topleute etwa im Informatiksektor - läge also im “Spargelstechen” oder als “Fleischarbeiter” bei Tönies. Aber selbst dagegen könnten sich die Habenichtse an der jetzigen Peripherie der EU wehren, da die Posten ja bereits besetzt sind und die damit verbundenen Arbeitsstrukturen über Werkverträge - nicht nur coronabedingt - unter Kritik stehen. Und: Im Zuge der heraufziehenden Wirtschaftskrise könnte der Arbeitskräftebedarf im Westen ohnehin nachlassen.

Weder für die Ukraine noch Weißrussland gibt es eine wirkliche Perspektive im Westen, die eine Substanzerhaltung in Ökonomie und Wissenschaft ermöglichen würde, also eine eigenständige Entwicklung. Die wäre nur im Verein mit Russland zu erreichen, auch wenn selbst in diesem geographischen Kontext eine Benachteiligung durch periphere Lage zum Tragen käme. Für den “Westen” werden die beiden Länder immer randständig bleiben, nicht zuletzt auch deshalb, weil ihnen ohne Russland Eigengewicht fehlt. Beispiele hierfür sind vor allem Rumänien und Bulgarien in der EU, aber selbst Ostpolen mit seinen großen Abwanderungsverlusten. Halb Polen scheint gefühlsmäßig ohnehin in Wien zu arbeiten.

Andererseits ist fast sicher davon auszugehen, dass die derzeitigen Entwicklungen in Minsk von Polen und Litauen befeuert werden, in der einen oder anderen Form. Die führenden Figuren der angeblichen weißrussischen Opposition sitzen derzeit in Litauen, insbesondere Frau Tichanowskaja, die inzwischen fernsehwirksam auch mit den EU-Staats- und Regierungschefs sprechen durfte. Wer steht eigentlich hinter ihr, wieviel Unterstützung hat sie? Mögen die Rahmenbedingungen für die Wahl Lukaschenkos einseitig gegen die Opposition gerichtet gewesen sein, aber was ist sonst konkret gegen den Ablauf der Wahlen vorzubringen? Was lässt uns schließen, dass Frau Tichanowskaja, die ja in der politischen „Männerwelt“ östlich des Bugs eher eine Ausnahmeerscheinung wäre, wenn man einmal von der höchst korrupten ukrainischen Politikerin Julija Timoschenko absieht, mehr als 10% bekommen hätte. Und wer finanziert und führt hier die Kampagne? Da spricht schon einiges für ausländische Beihilfe, möglicherweise in Zusammenarbeit, sicher aber in Kenntnis der wichtigsten zuständigen “NGOs” der USA.

Allerdings: Inwieweit ein Donald Trump derzeit eine neue Front eröffnen will, neben seinem „Kampf" gegen Peking, muss offen bleiben. Jedenfalls könnte das damit geschaffene Konfliktpotential die Tür für mögliche Arrangements Washingtons mit Moskau im Hinblick auf das Dreiecksverhältnis mit Peking weiter verschließen. Inwieweit Washington oder bestimmte Gruppen und „NGOs" sich damit hinter mögliche - auch den querelles polonaises entspringenden - Aktionen in Richtung Minsk stellen werden oder würden, dürfte somit auch die strategischen Optionen der USA selbst beeinflussen. Das wäre eine Erklärung für Pompeos relativ zurückhaltende Wortwahl, zuletzt in Warschau und vorher schon in Wien zu Nordstrom II.

Moskau selbst würde jedenfalls eine “Abwanderung” Weißrusslands nicht so ohne weiteres hinnehmen können. Die beiden Länder sind noch enger miteinander verknüpft als die Ukraine und Russland, da es auch keine religiös-kulturellen Eigenständigkeiten in Weißrussland gibt wie etwa in der Westukraine. Nicht umsonst gab es zur Jahrtausendwende wohl in Moskau ernsthafte Diskussionen, Lukaschenko zum Nachfolger Boris Jelzins zu machen, was mit einer Wiedervereinigung der beiden Länder verbunden gewesen wäre. Bei allen Streitigkeiten mit Russland hat Lukaschenko nie die nationale Karte gespielt, hätte er wohl eben in Weißrussland mangels diesbezüglicher Masse auch nicht tun können. Umso vorsichtiger muss Moskau reagieren, um keine Sympathien zu verspielen. Ein Einsatz russischer Truppen nach innen, gegen Demonstranten, erscheint daher nahezu ausgeschlossen. Vermutlich könnte wirtschaftliche Hilfe eine Rolle spielen, auch wenn Moskau in dieser Hinsicht ebenso wie die EU-Länder nicht in so ganz rosiger Position ist. Denkbar wäre ggf. eine Übernahme der Kontrolle an den Außengrenzen des Landes in Richtung Polen, Litauen und Ukraine durch wen auch immer auf russischer Seite.

Das heißt aber nicht, dass das Verhältnis des Apparatschiks Lukaschenko zu Wladimir Wladimirowitsch Putin immer recht herzlich war. Wir haben es hier mit zwei - fast gleichaltrigen - Typen von Politikern zu tun, die noch in der Endzeit der Sowjetherrschaft geformt wurden, aber ganz generell für den russischen Politikbetrieb nicht untypisch sind. Lukaschenko ist der Typus des „Gubernators" (Gouverneurs) einer russischen Oblast oder eines Kraj, also einer Provinz, polternd und autoritär, scheinbare Geradlinigkeit durchaus mit Hintergedanken vereinend und in den Künsten der byzantinische Machtstrukturen geübt. Aber provinziell. Dagegen der weltgewandte, mehrsprachige Intellektuelle Putin, der natürlich aus den lichten Höhen des Kreml mit einer gewissen Verachtung in die weißrussische Provinz blickt. Gerade die erwähnte Konkurrenz um den Posten des Präsidenten könnte bis heute nachwirken und das Verhältnis der beiden Männer zusätzlich belasten. Außerdem gehört es natürlich zum Spiel, dass die Gouverneure ihren Bewegungsspielraum vergrößern wollen. Und da gibt es Meldungen über Bestrebungen in Minsk, sich vom russischen Ölfluss unabhängiger zu machen, nicht zuletzt um Moskau dann mit dem Preis unter Druck zu setzen. Und das ist nicht der erste Streit dieser Art. Tja, und jetzt muss der gute LuKaschenko bei „WWP“ zu Kreuze kriechen. Die Dinge haben oft viele Facetten.

Bleibt natürlich die Lage in Weißrussland selbst. Man kann nur spekulieren, aber vermutlich ist die jetzige Unruhe auch eine Folge wirtschaftlicher Schwierigkeiten, die eben aus auch aus aktuellen „Holprigkeiten mit Moskau in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit resultieren könnten. Außerdem: In der jetzigen weltwirtschaftlichen Lage wäre das ohnehin nicht verwunderlich. Intern dürfte auch das bereits angedeutete “System” Lukaschenko mit seinen postsozialistisch-planwirtschaftlichen Elementen an seine Grenzen stoßen. Anzeichen dafür gab es schon vorher. Hier wird also der ein oder andere Nachholbedarf bei der Restrukturierung entstanden sein, wie es bei einem - östlich des Bugs durchaus gängigen - durch persönliche Abhängigkeiten und Gruppenstrukturen gekennzeichneten und auf eine Persönlichkeit zugeschnittenen hierarchischen System gar nicht anders sein kann. Sicher werden sich aufstrebende Intellektuelle an diesen Rahmenbedingungen reiben. Umso mehr werden andere um ihre Jobs in den von Lukaschenko geschützten Bereichen fürchten.

Wirtschaftliche Reform kann aber eigentlich ohne personelle Veränderungen kaum gehen. Falls Moskau also das Zepter in der Hand behalten will - und das wird es wollen, wird es auch in diese Richtung Druck ausüben müssen. Da zeichnen sich - vielleicht auch altersbedingt - gewisse Grenzen für Lukaschenko ab. Dies wiegt umso schwerer, weil sich ja der Vergleich mit Wladimir Putin selbst aufdrängt und im Westen bereits jetzt in einschlägigen Medien zirkuliert. Vielleicht kann Lukaschenko WWP nochmals überzeugen, dass er unentbehrlich ist, da an der Peripherie. Aber Moskau wird spätestens mittelfristig handeln müssen, in Verbindung mit verstärkter Hilfe für die weißrussische Wirtschaft an Russland. Die Länder könnten also sogar enger zusammenrücken, aber das wird seinen Preis kosten, zumindest in Moskau. Und wenn nicht dort, dann bei uns…aber das ist eher unwahrscheinlich, die Optionen liegen mehrheitlich nach wie vor in Moskau.

Anlage 1:

https://deutsch.rt.com/russland/105761-lawrow-im-interview-zu-weissrussland-unruhen-geopolitik-offener-kampf-um-postsowjetischen-raum/?utm_source=Newsletter&utm_medium=Email&utm_campaign=Email

RT Deutsch vom 19. 08. 2020

Lawrow im Interview zu Weißrussland und Rolle des Westens: Offener Kampf um postsowjetischen Raum

Der Westen versucht, aktuelle innere Probleme in Weißrussland zur Einmischung in dessen Innenpolitik auszunutzen – im offenen geopolitischen Kampf um den postsowjetischen Raum. Das ist die Ansicht von Russlands Außenminister Sergei Lawrow. Die Rolle der OSZE dabei sei unrühmlich.
Eine Wertung der aktuellen internationalen Lage im Hinblick auf die Geschehnisse in Weißrussland hat Russlands Außenminister Sergei Lawrow in einem Interview an den TV-Sender Rossija in Moskau am 19. August 2020 abgegeben. Er beobachtet, wie westliche Regierungen die internen Probleme Weißrusslands zur Einflussnahme in dessen Innenpolitik auszunutzen versuchen und zieht Parallelen zum Maidan in Kiew. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Angelegenheiten östlich und westlich von Wien jeweils mit zweierlei Maß misst, spiele dabei eine unrühmliche Rolle – dank ihres schwammigen Regelwerks im Hinblick auf Wahlbeobachtungen, welches die westlichen Teilnehmerstaaten jahrzehntelang – wider besseres Wissen und entgegen entsprechenden Vorschlägen aus Russland – partout nicht durch ein verbindlicheres Reglement ersetzt sehen wollen.
Ein Ausschnitt des Interviews folgt hier in deutscher Übersetzung:

Abgesehen von der Ukraine, gibt es mit Weißrussland nun einen weiteren Konfliktpunkt. Inwieweit werden die USA und die EU Ihrer Ansicht nach die politische Situation in Minsk aktiv beeinflussen, intervenieren und Druck ausüben? Haben Sie vielleicht dieses Thema sogar heute bereits in einem Gespräch mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas angesprochen?
Ja, auch darüber haben wir gesprochen, denn was in Weißrussland geschieht, beunruhigt uns sehr. Wir sind besorgt über den Versuch, die internen Schwierigkeiten, mit denen Weißrussland, das weißrussische Volk und die Führung jetzt konfrontiert sind, dafür auszunutzen, um sich von außen in diese Ereignisse und Prozesse einzumischen – nicht nur, um sich einzumischen, sondern um den Weißrussen jene Ordnung aufzuzwingen, die äußere Akteure für sich selbst als vorteilhaft erachten. Niemand macht einen Hehl daraus, dass hier von Geopolitik die Rede ist, über den Kampf um den postsowjetischen Raum. Wir haben diesen Kampf auch in den früheren Entwicklungsphasen der Lage nach dem Ende der Sowjetunion gesehen. Das letzte Beispiel ist selbstredend die Ukraine.
Bei dem, was wir jetzt aus den europäischen Hauptstädten vernehmen – vor allem aus den baltischen Staaten (Litauen, Estland), aber auch aus Polen, dem Europäischen Parlament –, geht es nicht um Lukaschenko, um Menschenrechte und Demokratie. Das dreht sich alles um Geopolitik. Es geht gerade um jene Regeln, die unsere westlichen Partner im täglichen Leben auf unserem Kontinent und in anderen Teilen der Welt einführen und umsetzen wollen.
Es gibt einen internationalen Rechtsrahmen, an den es sich beim Festlegen der eigenen Einstellung zu den Ereignissen in diesem oder jenem Land zwingend zu halten gilt. Wenn in diesem Fall die Nachbarn von Weißrussland Mängel in der Art und Weise sehen, wie die Wahlen organisiert wurden – so ist erstens Weißrussland ein souveräner Staat. Es gibt dort eine Verfassung, Gesetze und Verfahren, die man auf der Grundlage dieser Gesetze unbedingt in Gang setzen muss, um die Ergebnisse des Wahlprozesses in einem bestimmten Wahllokal oder auch allgemein anzufechten oder infrage zu stellen.
Zweitens: Wenn wir uns alle von unseren Verpflichtungen leiten lassen, so hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR, engl. ODIHR). Eine seiner Aufgaben ist die Beobachtung nationaler Wahlen in den OSZE-Teilnehmerstaaten. Dies ist in den Verpflichtungen festgehalten, die von ausnahmslos allen Staaten dieser respektablen Organisation unterzeichnet wurden. Nun wird uns gesagt, dass die Verstöße während des Vorwahl- und Wahlkampfes offensichtlich waren, dass sie von freiwilligen Beobachtern, in sozialen Netzwerken, in Videoclips und so weiter dokumentiert wurden. In diesem Büro selbst, das Wahlen beobachten soll, erklärt man, man sei nicht nach Weißrussland gereist, weil man die Einladung zu spät erhalten habe. Dies ist – gelinde gesagt – eine Unwahrheit, denn die einzige Verpflichtung besteht für Weißrussland – wie für jeden anderen OSZE-Mitgliedstaat auch – darin, "internationale Beobachter zu den nationalen Wahlen einzuladen".
Das BDIMR verfolgt unterschiedliche Ansätze für die Wahlbeobachtung einerseits östlich von Wien, im postsowjetischen Raum, und andererseits westlich von Wien, insbesondere in den Vereinigten Staaten. An bestimmte Orte werden 800 Leute entsandt, an bestimmte andere Orte 12 Personen, und an bestimmte dritte Orte – gar niemand. Beispielsweise hat das Büro in einige baltische Länder mehrmals keine Beobachter entsandt – obwohl Hunderttausende von Menschen in Estland und Lettland des Wahlrechts beraubt sind, weil sie [dort] den für die Europäische Union beschämenden Status von "Nichtbürgern" haben. Seit vielen Jahren schlägt Russland gemeinsam mit seinen GUS-Partnern vor, ein für alle Mal Regeln der Wahlbeobachtung festzulegen, die für alle verständlich sein sollten – sodass feststeht, wann eine Einladung verschickt werden sollte, wie viele Beobachter als Teil der Vorfeld-Gruppe entsandt werden und wie viele aber – von Pro-Kopf-Berechnungen ausgehend – unmittelbar zur Wahlbeobachtung entsandt werden. Man antwortete uns mit Ablehnung – und den größten Eifer dabei zeigten gerade jene Länder, die jetzt lautstark erklären, das Büro sei nicht in der Lage gewesen, die Wahlen zu beobachten, weil es nicht dazu eingeladen worden wäre. Als die Entwicklung solcher Kriterien abgelehnt wurde, wurde uns gesagt, dass die "Zweideutigkeit" und "Flexibilität", die dieses Amt innehabe, den "goldenen Standard" darstelle und dass es diesen ("goldenen Standard") in jeder Hinsicht zu pflegen gelte. Es bedarf keiner Erklärung, dass eine solche "Zweideutigkeit", wie sie sich in den Funktionen des Büros erhalten konnte, nur für einen Zweck notwendig ist: um sie nach Gutdünken derer zu manipulieren, die das Rückgrat seiner Belegschaft stellen. Und das Rückgrat der Belegschaft stellen dort gerade Mitglieder der NATO und der Europäischen Union. Wenn sich das Büro von dem leiten ließe, worauf sich die Mitgliedsstaaten tatsächlich geeinigt haben, hätte es sich daher nicht "in Pose stellen" dürfen, und auch nicht "Ihr habt uns zu spät gerufen!" sagen dürfen. Sie hätten hinfahren und beobachten sollen – dann hätten sie mehr Grundlage gehabt, die Verstöße zu melden, die sie jetzt auf jede erdenkliche Art aufblähen.

Das Obige bedeutet nicht, dass die Wahl perfekt war. Natürlich nicht. Dafür gibt es eine Menge Zeugenschaft. Dies wird auch von der weißrussischen Staatsführung anerkannt, die versucht, in einen Dialog mit den Bürgern zu treten, die gegen die ihrer Meinung nach erfolgte Verletzung ihrer Rechte protestieren. Ich würde einfach jedem davon abraten, diese Situation in Weißrussland (und sie ist kompliziert) dafür auszunutzen, einen normalen, von gegenseitigem Respekt geprägten Dialog zwischen den Behörden und der Gesellschaft zu untergraben, oder ihn provokativ zu gestalten. In Videomaterialien und in sozialen Netzwerken sehen wir unverblümt provozierende Aufrufe. Wir sehen Versuche, die Gesetzeshüter zu provozieren – auch durch den Einsatz brutaler Gewalt gegen sie. Ich hoffe sehr, dass die Weißrussen – wie auch alle Freunde Weißrusslands im Ausland (denn ihrer gibt es viele) – in der Lage sein werden, ihre eigenen Angelegenheiten zu klären – und sich nicht von diejenigen an der Leine führen lassen, die dieses Land nur dafür brauchen, geopolitischen Raum zu erschließen und die altbekannte destruktive Logik "entweder seid ihr mit Russland oder ihr seid mit Europa" zu fördern.
Sie erinnern sich: In den Jahren 2004 und 2014, als es in der Ukraine jeweils zum "Maidan" kam, brachten viele Beamte der EU-Mitgliedstaaten gerade diese "Entweder-oder-Logik" zum Ausdruck. Wenn jetzt von "Vermittlung" die Rede ist – Vorschläge dazu hören wir aus Litauen und Polen; jemand meinte, die OSZE solle als Vermittler fungieren –, so fordere ich alle, die solche Ideen vorbringen, dringend dazu auf, dies nicht am Mikrophon zu tun, sondern [diese Ideen] direkt an die Weißrussen und allen voran an die weißrussische Landesführung [heranzutragen]. All diejenigen, die sagen, dass diese Vermittlung der einzige Ausweg aus der gegenwärtigen Situation ist, ermahne ich[: Sie sollen] nicht vergessen, wie unsere westlichen Kollegen im Jahr 2014 während des "Maidan" in Kiew "vermittelt" haben. Damals "vermittelten" angesehene Vertreter der Europäischen Union und erzielten Vereinbarungen. Doch wir alle erinnern uns, was daraus geworden ist. Ich bin überzeugt, dass das weißrussische Volk aus seiner eigenen Weisheit die gegenwärtige Situation selber regeln kann. Ich sehe keinen Mangel an Dialogbereitschaft auf Seiten der Regierung. Ich hoffe, dass auf Seiten derjenigen, die aus dem einen oder anderen Grund mit dem Wahlergebnis unzufrieden sind, die gleiche Bereitschaft gezeigt wird.

Anlage 2:

TELEPOLIS vom 24. August 2020

Belarus in der Sackgasse

von Tomasz Konicz

Einige Hintergrundinformationen zu der existenziellen Krise eines postsowjetischen Fossils
Seit 1994 amtiert der ehemalige Sowchosendirektor Alexander Lukaschenko als Präsident der
Republik Belarus, doch nun scheint seine Zeit nach einem guten Vierteljahrhundert abzulaufen.
Das Regime in Minsk steht angesichts andauernder Proteste und der Streikwelle in Staatsbetrieben mit dem Rücken zur Wand, wie die Ankündigung von Verfassungsänderungen und die Hilfsgesuche Lukaschenkos gen Moskau illustrieren.
Ein Aufrechterhalten des bisherigen Status quo scheint nicht mehr möglich, Belarus wird sich
somit im Gefolge der nun tobenden Auseinandersetzungen verändern - auf die eine oder andere
Art. Der konkrete Verlauf der Kämpfe vor Ort, wie des geopolitischen Tauziehens zwischen
Russland und der EU, werden den Charakter des nun einsetzenden Transformationsprozesses
bestimmen.
Die Sanktionen der EU gegen Belarus, die Nichtanerkennung des Wahlausganges durch Brüssel - diese konfrontativen Aktionen Europas kontrastieren mit einer raschen Wiederannäherung zwischen Minsk und Moskau. Putin ließ Lukaschenko, der sich bislang hartnäckig gegen eine Vertiefung der russisch-belarusssichen Union sträubte, zu Beginn der Proteste weitgehend allein. Das Kalkül des Kremls bestand darin, Lukaschenko zu schwächen, um hiernach bei Verhandlungen weitgehende Konzessionen erringen zu können.
Der bedrängte belarussische Staatschef spielt wiederum die propagandistische Karte einer
westlichen "Farbenrevolution", sodass die derzeitigen Streiks und Proteste zu einer von Ausland gestreuten, westlichen Intervention erklärt werden - inklusive der Mobilisierung von Armeeeinheiten im Westen des Landes. Zudem hat Lukaschenko die Freilassung von 33 russischen Söldnern angeordnet, die kurz vor den Wahlen nahe Minsk verhaftet worden sind. Den Männern wurde vorgeworfen, einen prorussischen Umsturz, eben eine russische "Farbenrevolution" in Belarus anzetteln zu wollen (Geheimdienstspiele: Die unglaubliche Geschichte der 33 russischen Söldner in Belarus).
Putin wiederum gab seine öffentliche Zurückhaltung auf und warnte eindringlich vor äußeren
Versuchen, sich "in innere Angelegenheiten der Republik Belarus einzumischen", was zu einer
weiteren Eskalation der Lage beitragen könne. In einer offiziellen Erklärung nach einem Telefonat zwischen dem Kremlchef und Kanzlerin Merkel hieß es zudem, Russland und die EU hofften auf eine baldige Normalisierung der Lage in Belarus.

Die geopolitische Sackgasse
Wohin die Reise gehen soll, machte eine offizielle Erklärung des Kremls deutlich, die von Beistand im Rahmen der "Prinzipien des Vertrages über den Unionsstaat" sprach, den Russland und Belarus in den 90ern abgeschlossen haben. Der Kreml erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, einer Art eurasischer GegenNato, in der sich etliche postsowjetische Republiken zusammengeschlossen haben, um dem Vordringen der Nato begegnen zu können. Damit macht Moskau klar, dass nennenswerte Unterstützung nur bei der Forcierung des Unionsstaates zwischen beiden Ländern zu erwarten sei.
Belarus müsste somit mittelfristig in der russischen Föderation aufgehen und seiner staatlichen Souveränität verlustig gehen.
Für Lukaschenko würde dies mit einem massiven Machtverlust im zentralistischen politischen
System Russlands einhergehen, er würde faktisch zu einem Provinzgouverneur degradiert. Deswegen hat sich Minsk in den vergangenen Jahren nach Kräften gegen den Verlust staatlicher Souveränität gewährt, der mit der Realisierung des 1996 ins Leben gerufenen Unionsstaates einherginge. Und es ist genau dieser Konflikt zwischen dem russischen Vereinigungsdruck und belarusischen Souveränitätsbestrebungen, der den Kern des Konfliktes und der zunehmenden Spannungen zwischen beiden Ländern bildete. Ironischerweise hat anfänglich gerade Lukaschenko dieses Projekt in der Spätphase der umnachteten Regentschaft Boris Jelzins forciert, da er sich Hoffnungen machte, diesen zu beerben.
Lukaschenko versuchte in den vergangenen Jahren, die staatliche Souveränität seines Landes durch eine klassische geopolitische Schaukelpolitik zu erhalten, indem er sich gegenüber dem Westen öffnete und etwa Deals über die Lieferung von Energieträgern mit den USA abschloss, um so die russischen Bestrebungen, durch Lieferstopps Öl und Gas als geopolitische Waffe zu benutzen, zu unterlaufen. Faktisch lief diese Strategie Lukaschenkos darauf hinaus, das autoritär geführte Belarus als einen Pufferstaat zwischen dem Westen und Russland zu positionieren - und sich so selber an der Macht zu halten.
Diese geopolitische Schaukelpolitik beruhte auf der Annahme, dass der Westen diese Position
Lukaschenkos in "seinem" Land akzeptieren würde, da sie mit einer objektiven Schwächung Russlands einherginge, aus dessen geopolitischen Orbit nach der Ukraine auch noch Belarus
entweichen würde. Die derzeitigen Demonstrationen und Streiks, wie auch die Sanktionen der EU, machen dieses Kalkül nun hinfällig: Lukaschenko spielte umgehend die antiwestliche Karte, um die Proteste zu einer Nato-Verschwörung zu deklarieren und eine rasche Annäherung an Moskau einzuleiten.
Lukaschenkos Schaukelpolitik hat sich somit erschöpft. Damit scheint das Ende der faktischen Unabhängigkeit der Republik Belarus gewiss - und dies wird gerade durch die konfrontative Rhetorik im Westen befördert, die mal wieder mit einer selektiven Wahrnehmung von Menschenrechtsverletzungen arbeitet.

Die ökonomische Sackgasse
Die Spannungen mit Moskau, das verstärkt auf die Realisierung Unionsvertrages insistiert, haben Belarus an seiner empfindlichsten ökonomischen Stelle getroffen. Einer der wichtigsten Devisenbringer des osteuropäischen Landes, sozusagen sein "Geschäftsmodell", beruhte darauf, billiges russisches Öl in den belorussischen Raffinerien zu verarbeiten und dann zu Weltmarktpreisen zu verkaufen.
Belarus erhielt den Energieträger zu dem russischen Inlandspreis gerade im Rahmen des Unionsvertrages, dessen weitgehender Implementierung sich Lukaschenko zunehmend verweigerte. Der Kreml ging deswegen dazu über, die weitere Lieferung des günstigen Energieträgers von Fortschritten bei der Realisierung der Union abhängig zu machen, was Belarus - in Wechselwirkung mit dem Fall der Ölpreise aufgrund des aktuellen Krisenschubs - in eine ökonomische Krise stürzte: Die Raffinerien des Landes sind nicht mehr ausgelastet, wobei das aus den Westen und von den USA aufgekaufte Rohöl schlicht zu teuer ist, um langfristig das belarussische "Geschäftsmodell" der Weiterverarbeitung von Energieträgern profitabel betreiben zu können.
Dabei befindet sich die von Staatsbetreiben geprägte Ökonomie des osteuropäischen Landes
seit Jahren in einer Stagnationsperiode, sodass das durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum in Belarus in der vergangenen Dekade weniger als ein Prozent betrug, was - neben den Verfehlungen Lukaschenkos bei der Pandemiebekämpfung - zum gegenwärtigen Aufschwung der Opposition maßgeblich beitrug.
Die Regierung in Minsk sieht sich nicht nur mit fehlenden Deviseneinnahmen und mit einem
wachsenden Haushaltsloch von umgerechnet 700 Millionen US-Dollar konfrontiert, sondern
auch mit der Aussicht eines Staatsbankrotts, der immer wieder diskutiert wird. Das Land ist
nicht nur von billigen russischen Öllieferungen abhängig, es stellt mit Verbindlichkeiten von rund 7,5 Milliarden US-Dollar auch den größten Auslandsschuldner Russlands dar.
Jenseits der Weiterverarbeitung von Energieträgern und einigen Betreiben aus dem MilitärischIndustriellen-Komplex sind die belarussischen Staatsbetriebe auf dem Weltmarkt kaum konkurrenzfähig. Der russische Binnenmarkt, wo 41 Prozent der belarusssichen Exporte fließen, spielt weiterhin die dominante Rolle in der Handelsstatistik des osteuropäischen Landes, dessen Bruttoinlandsprodukt noch immer nicht wieder den Stand vor dem letzten Krisenschub 2008 erreicht hat.
Insofern ähnelt die Krise, in der sich nun Minsk befindet, durchaus der hoffnungslosen ökonomischen Lage der Ukraine am Vorabend von Putsch, Intervention und Bürgerkrieg. Das ökonomische Fundament staatlicher Souveränität, eine ausreichende Verwertung von Kapital in der warenproduzierenden Industrie, ist nicht mehr gegeben, sodass wirtschaftliche und politische Verwerfungen den Staat destabilisieren, die sozialen Spannungen verschärfen - und Interventionen möglich machen.

Perspektiven: Russische Staatsoligarchie oder Frischfleisch für Tönnies & Co.?
Der Unterschied zur Ukraine besteht aber offensichtlich darin, dass die derzeitigen Proteste in
Belarus nicht vom Westen finanziert oder organisiert werden. Die westliche Intervention in Kiew stützte sich auf rechtsextreme westukrainische Gruppierungen, die als die antirussische und militante Speerspitze des Umsturzes fungierten. Solche Gruppen sind in Belarus in nennenswertem Ausmaß nicht zu finden, da es im gesamten Land - trotz der von Lukaschenko geförderten Ausbildung einer eigenen Identität - keine antirussischen Bevölkerungsgruppen oder -schichten gibt.
Überdies gilt es zu bedenken, dass die große autoritäre Welle in den meisten postsowjetischen Ländern schon nach 2004 nach dem Ausbruch der westlich finanzierten "orangen Revolution" in der Ukraine samt den folgenden "Farbenrevolutionen" anrollte, als alle Regimes der Region sich bemühten, jegliche offenen Gesellschaftsbereiche und demokratischen Nischen endgültig zu schließen, um westlichen Interventionen keine Angriffsflächen zu bieten. Es ließe sich gar argumentieren, dass die Orangene Revolution maßgeblich zur autoritären Formierung im postsowjetischen Raum beigetragen hat.
Der belarussische KGB hat unermüdlich daran gearbeitet, dass westliche Einflussnahme in oppositionellen Zirkeln kaum Wirkung entfalten konnte - und er dürfte von der Wucht der Demonstrationen und Streiks überrascht worden sein, die von der ökonomischen Misere und der politischen Stagnation und Perspektivlosigkeit angefeuert werden.
Die Proteste erreichten ihre Wirkung nicht so sehr durch die Mobilisierung der disparaten Opposition, die einzig von der Feindschaft gegenüber Lukaschenko zusammengehalten wird, und in der durchaus national-belarussische Kräfte agieren, sondern vor allem durch die Streiks der Arbeiterschaft. Diese Streikwelle fand nicht in dem kleinen privaten Sektor statt, sondern gerade - auch in Reaktion auf die Gewaltexzesse der Polizeikräfte - im Staatssektor des Landes, den der frühere Sowchosendirektor Lukaschenko als das Rückgrat seiner Herrschaft betrachtete. Es sind "seine" Leute, die nun streiken und den Präsidenten ausbuhen. Lukaschenko kann derzeit nur noch auf Zeit spielen und hoffen, dass die Proteste sich angesichts der Krise totlaufen und er sein Land in geordneten Bahnen abwickeln und in einen russischen Unionsstaat überführen kann.
Die Tragik der streikenden Arbeiter in Belarus besteht nun darin, dass auch sie selber gewissermaßen ein Fossil sind. Sie streiken für ihre eigene Abwicklung, da die historische Nische, in der sie als ein - durch billiges russisches Öl finanziertes - Rudiment der untergegangenen Sowjetunion existieren konnten, nun zu verschwinden droht. Im Kleinen spielt sich hier das Drama ab, wie es die polnische Gewerkschaft Solidarnosc am Beginn des Zerfalls des real existierenden Staatssozialismus aufführte. Die Arbeiterklasse, die damals, in den 80er Jahren, gegen Preissteigerungen demonstrierte, ist längst Geschichte, die Danziger Werft wurde weitgehend abgewickelt.
Innerhalb des spätkapitalistischen Weltmarktes bieten sich den Lohnabhängigen in Belarus somit nur noch miese Optionen. Ungefiltert dem Weltmarkt bei einer etwaigen - inzwischen eher unwahrscheinlichen - Westintegration ausgesetzt, dürfte ein Großteil der hauptsächlich für den russischen Markt produzierenden belarussischen Staatsbetriebe das Schicksal der Danziger Werft teilen.
Die Lohnabhängigen der Republik Belarus würden sich dann in einer ähnlichen Lage wie ihre
ukrainischen Klassengenossen wiederfinden, die massenhaft als Tagelöhner im Billiglohnsektor der EU schuften - und gewissermaßen als Frischfleisch für Unternehmer wie Clemens Tönnies dienen.
Ein Aufgehen der Republik Belarus im russischen Unionsstaat könnte hingegen das langsame
Siechtum des belarussischen Staatssektors eventuell prolongieren, doch würde er zum Objekt der Verteilungskämpfe der russischen Staatsoligarchie, die ihre Unfähigkeit zur Modernisierung der Wirtschaft unter der Regentschaft Wladimir Putins eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.

Anlage 3:

Neue Zürcher Zeitung vom 20. August 2020

Die Wut der Jungen springt auf die Arbeiter über.
Weissrusslands Gesellschaft und das starre, sowjetnostalgische Regime sind auseinandergedriftet.

von Markus Ackeret, Moskau

Schätzungsweise 200 000 Weissrussinnen und Weissrussen füllten am Sonntagabend den riesigen Minsker Unabhängigkeitsplatz. Die Hauptstadt blieb nicht die Ausnahme: In allen grösseren Städten des Landes protestierten Tausende gegen den Autokraten Alexander Lukaschenko. Vor einem Jahr noch schien im politisch unfreien, apathisch wirkenden Weissrussland die Vorstellung irrwitzig, Menschen könnten sich in lange Schlangen stellen und selbst in Kleinstädten zu Tausenden einer zufälligen Oppositionskandidatin wie Swetlana Tichanowskaja zujubeln. Was ist in dieser Gesellschaft geschehen, die nun laut nach Wandel ruft?

Klar ist: Aus dem Nichts kommt die Unzufriedenheit mit Lukaschenko und seinem aus der Zeit gefallenen politischen und wirtschaftlichen System nicht. Das Bild vom sauberen, aufgeräumten Land mit den anspruchslosen und nach einem möglichst ruhigen Leben trachtenden Bewohnern ist schon länger überholt. Auf der einen Seite entwickelte sich Minsk zur lebenswerten Hauptstadt mit Anziehungskraft für ausländische Besucher, und die in einem Minsker Hightech-Park aufgeblühte IT-Industrie ist weltweit anerkannt.

Ermüdet vom Autoritarismus

Auf der anderen Seite weckte gerade das bei der jüngeren, über die Grenzen hinausblickenden Generation die Ambition zu mehr: mehr gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung, mehr Entfaltungsmöglichkeiten, Freiheit und Prosperität. In den vergangenen Jahren fiel es immer mehr Universitätsabsolventen schwer, eine passende Stelle zu finden. Hunderttausende von Weissrussen arbeiten im Ausland. «Das Entscheidende ist: Die Weissrussen sind es einfach leid, in einem undemokratischen System zu leben, wo es keine echten Wahlen gibt, keine Meinungsäusserungsfreiheit, wo es nicht möglich ist, mit dem System nicht einverstanden zu sein», meint die junge weissrussische Politologin Katerina Schmatina vom Belarusian Institute for Strategic Studies in Minsk.

Das Gefühl, mental und in vielen Bereichen der Arbeit und des Alltags im 21. Jahrhundert zu leben, aber von einem in den achtziger oder allenfalls neunziger Jahren steckengebliebenen Langzeitherrscher mit sowjetischen Idealen autoritär regiert zu werden, mag in Minsk und den grossen Städten besonders ausgeprägt sein. Die Vorstellungen der in Kleinstädten und Dörfern lebenden Weissrussen, die lange neben den Arbeitern der grossen staatlichen Industriebetriebe Lukaschenkos Rückgrat bildeten, wurden aber auch immer weniger erfüllt. Die Videos des Bloggers Sergei Tichanowski, der für die Präsidentschaft kandidieren wollte und stattdessen im Gefängnis landete, zeigten deren Sicht auf die Welt: Oft ist sie ebenfalls geprägt von einer Sowjetnostalgie, die sogar noch das übertrifft, was der weissrussische Staat in die Gegenwart hinübergerettet hat.

Félix Krawatzek vom Berliner Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (Zois) untersucht seit längerem die Stimmung unter jüngeren Weissrussen. Bei der jüngsten Umfrage vom Juni stellten er und seine Kolleginnen eine deutliche Zunahme der Politisierung fest – 80 Prozent gaben an, an der Präsidentschaftswahl teilnehmen zu wollen. Was gerade unter Jungen bis anhin als irrelevantes Bestätigungsritual gegolten hatte, erschien nun plötzlich wichtig. Die Politisierung habe im Frühjahr begonnen, sagt Krawatzek: «Sie ist eng verbunden mit dem Covid-19-Kontext, als plötzlich viel mehr im Familien- und Freundeskreis über Gesellschaft und Politik gesprochen wurde.»

Die Ignoranz gegenüber der Pandemie durch Lukaschenko hinterliess tiefe Spuren in der weissrussischen Gesellschaft. Schmatina hebt den Zynismus des Regimes im Umgang mit der Bedrohung hervor, darunter die Vertuschung des wahren Ausmasses und die Bestrafung von Ärzten, die sich kritisch äusserten. Die Bürger hätten den Eindruck eines in dieser Lage nutzlosen Staates erhalten. Das habe sich auf den Wahlkampf ausgewirkt. Dort traten erstmals seit langem für die Opposition keine «Pappkameraden» auf, wie Krawatzek sagt, sondern glaubhafte Kandidaten, die als echte Alternative zum Amtsinhaber erschienen.

Gleichwohl war Krawatzek davon überrascht, wie anhaltend sich die Wut über die Wahlfälschung auf den ganz besonders von der weissrussischen Jugend getragenen Protest übertrug. Noch in jüngsten Umfragen hatten lediglich 2 bis 4 Prozent der jungen Weissrussen gesagt, sie würden an Protesten teilnehmen. Die erdrückende Mehrheit habe sich vor den Konsequenzen gefürchtet und sei ohnehin der Ansicht gewesen, es bringe nichts, sich aufzulehnen. Das habe sich schlagartig geändert und auch andere Generationen ins Spiel gebracht. Eltern und Grosseltern seien nicht bereit gewesen, angesichts der enthemmten Gewalt gegenüber ihren Kindern und Enkeln und der Berichte über Folter und Misshandlungen in den Gefängnissen gleichgültig zu bleiben. Erst recht habe sich das daran gezeigt, dass sich Arbeiter an den Protesten beteiligten.

Sosehr derzeit politische Forderungen im Raum stünden, so sehr gehe es den Unzufriedenen um sozioökonomische Fragen. Davon ist Krawatzek überzeugt. Unter den Jungen stand zumindest in den Zois-Umfragen die politische Mitbestimmung nicht im Vordergrund, die Verbesserung des Lebensstandards aber sehr wohl. Dies treibe auch die Bewohner der kleineren Städte an. Auch die Arbeiterschaft in den grossen Betrieben, die jetzt mit Streiks liebäugle, haben trotz sowjetisch anmutenden Verhältnissen durchaus prekäre Arbeitsbedingungen, die von deren Wohlverhalten abhingen.

Hüter des Sowjeterbes

Inwieweit es eine «schweigende Mehrheit» gibt, die durch die Protestierenden nicht repräsentiert wird, vermögen weder Schmatina noch Krawatzek zu beurteilen. Schmatina erwähnt die sehr hohe Wahlbeteiligung, die sogar dazu geführt habe, dass die Wahlzettel nicht ausreichten, und die präzedenzlose Mobilisierung seit dem Wahltag. Krawatzek weist aber auch darauf hin, dass die Einheit der Protestierenden fragil sei. Derzeit hätten sie einen Gegner, der sie eine. Sobald es um inhaltliche Fragen gehe, werde es zu Brüchen kommen.

Das betrifft die politische Ausrichtung ebenso wie wirtschaftliche und soziale Fragen. Die sowjetischen Gesellschaftsvorstellungen, in denen in einzelnen tragenden Berufskategorien – Arbeiter, Bauer, Lehrer, Ärzte – gedacht wird, sind in Weissrussland noch lebendig. Der Staat Lukaschenkos sieht sich, wie Félix Krawatzek sagt, als Hüter des Sowjeterbes, das wegen der furchtbaren Geschichte dieses Landstrichs im Zweiten Weltkrieg hier besonders verankert sei.

Aber es scheint, als sei die Ausrichtung auf das sowjetische Erbe nur für die politischen Eliten und ältere Bürger noch wichtig, während sie für Jüngere an Bedeutung verliere. Laut Krawatzek orientiert sich die Jugend an Europa. Die Zahl derer, die eine engere Beziehung zur EU wünschten, steige; der Anteil derer, die den «Unionsstaat» mit Russland verwirklichen wollten, sinke. Der Protest in den Strassen Weissrusslands ist frei von Fragen geopolitischer Ausrichtung. Aber an Russland kommt das Land ohnehin nicht vorbei – Sowjetnostalgie hin oder her.

Anlage 4:

TELEPOLIS vom 20. August 2020

Welches Haus für Belarus?

von Harald Neuber

Droht das Land im neuen Kalten Krieg zerrieben zu werden? Und welche Perspektiven hätten es bei einer Zuwendung zum Westen? Ein Vergleich
Der massive Widerstand gegen den mutmaßlichen Wahlbetrug in Belarus hat nun auch diejenigen westlichen Akteure auf den Plan gerufen, die sich bereits in der Ukraine und Georgien für einen Regime-Change eingesetzt haben. Die Proteste drohen damit vor dem Hintergrund des neuen Ost-West-Konfliktes von pro-europäischen Kräften vereinnahmt zu werden, während Russland erwartungsgemäß dagegenhält.
So kam, während EU-Außenminister am Mittwoch dieser Woche in Brüssel eine gemeinsame Linie gegenüber der Führung von Präsident Alexander Lukaschenko berieten, der französische Aktivist und Publizist Bernard-Henri Lévy in Wilna mit der belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja zusammen - "dem Gesicht der Opposition gegen den Tyrannen Lukaschenko", wie er auf Twitter schrieb.
Nun ist Lévy nicht irgendwer: Der Meinungsmacher und Anteilseigner der Tageszeitung "Liberatión" ist ein glühender Verfechter sogenannter Farbenrevolutionen in Osteuropa.
2008 schon forderte Lévy in einem offenen Brief an Angela Merkel und den damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy die Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Nato. Auf dem Höhepunkt der Maidan-Revolte in der Ukraine 2014 dann plädierte er in einem weiteren Aufruf für die Unterstützung des Aufstandes durch die EU. Die Tugenden des Widerstands, die den Geist Europas ausmachten und die General de Gaulle geführt hätten, "diese Tugenden habt ihr in diesen blutigen Tagen mit Leben erfüllt", schrieb er damals in dem Text, der in deutscher Übersetzung in
der FAZ erschien: "Ich verneige mich vor eurem Mut und sage euch noch freudiger als zuvor: Willkommen in unserem gemeinsamen Haus!"

Beispiel Ukraine
So weit, so gut. Doch welches Zimmer haben die Ukrainer in diesem Haus bezogen?
Gut sechs Jahre nach dem "Euromaidan" ist die Ukraine ein von Armut und Korruption zerfressenes Land, der Territorialkonflikt im Osten bleibt ungelöst. Alle Versuche der EU, die Oligarchen- und Vetternwirtschaft zu durchbrechen, sind krachend gescheitert.
Den ersehnten politischen und wirtschaftlichen Anschluss an die EU hat Kiew nie gefunden, die historischen Bande zu Russland indes gekappt: Der Handel mit dem östlichen Nachbarn ist von 38 Milliarden US-Dollar in 2013, dem Jahr vor dem MaidanAufstand, auf 11,7 Milliarden US-Dollar eingebrochen. Die einst 44 Milliarden US-Dollar Handelsvolumen mit der EU wurden nie mehr erreicht. Die Ukraine hat heute vor allem ein Exportgut: Arbeitsmigranten für die EU, Frauen bleibt die Perspektive als "Gebärmaschinen" für kinderlose westliche Paare. Der zaghafte Aufschwung fußt vor allem in der Etablierung des Landes als verlängerte Werkbank im erweiterten EuroWirtschaftsraum, etwa bei der Produktion von Kabelbäumen für die EU-Autoindustrie oder der Textilfertigung. Die Armut könnte, so die Prognose des UN-Kinderhilfswerks Unicef, die 50-Prozent-Marke durchbrechen.

Beispiel Georgien
Das Versprechen von Wohlstand und Aufschwung hat sich mit der Zuwendung zum Westen auch hier nicht erfüllt. Seit dem Ende der Sowjetunion durchlebte das Land zwei Kriege und eine andauernde wirtschaftliche Stagnation. Zwischen 1995 und 1997 stieg das Produktionsvolumen auf etwa 30 Prozent des Niveaus zu Sowjetzeiten. Heute liegt die Armutsrate trotz leichter Verbesserung immer noch bei gut 14 Prozent, gut 19 Prozent leben - vor allem auf dem Land - in extremer Armut.
Wie wenig nachhaltig die Wirtschaft ist, zeigt sich in der Corona-Krise, die das Land mit dem Zusammenbruch des Tourismus hart getroffen hat. Die Nahrungsmittelversorgung ist nach wie vor nicht gelöst. Kein Wunder, dass die georgische Autorin Iunona Guruli eine düstere literarische Bilanz zieht.

Kein gesamteuropäisches Haus
Die Liste ließe sich fortsetzen. Auch das uns nahe Wirtschaftswunderland Polen kämpft mit den Schattenseiten der Neoliberalisierung im Zuge der Eingliederung in die EU-Wirtschaftsordnung.
Ein "gesamteuropäisches Haus" aber, wie es Michail Gorbatschow noch 1989 vor dem Europarat skizzierte, ist nie errichtet worden. Und auch Belarus droht im neuen Kalten Krieg zwischen Russland und den Nato-Staaten zerrieben zu werden. Dabei hätte das Land die Chance, eine gesamteuropäische Perspektive im Gorbatschowschen Sinne zu finden. Ob Oppositionsführerin Tichanowskaja dazu willens ist?

Anlage 5:

TELEPOLIS vom 19. August 2020

Belarus, der Bundespräsident und die Opposition

von Jörg Tauss

Wladimir Putin und Alexander Lukashenko, hier am 24. Juni in Moskau, sind schon länger überkreuz.
Die unübersichtliche Situation in Weißrussland wird nicht klarer, führt man sich Stellungnahmen der deutschen Politik vor Augen. Einig ist man sich sicher bezüglich der Verurteilung von Gewalt gegen Protestierende Amtsinhaber Aljaksandr Lukaschenka bzw. Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko
(Bundeskanzlerin Merkel: Er ist noch immer da.), seit 26 Jahren Präsident des Landes zwischen NATO-Staaten und Russland, beging wohl einen schweren politischen Fehler, für die Wahl keine Wahlbeobachter der OSZE einzuladen.
In früheren Wahlen, als er gegen eine zerstrittene Opposition sicher im Sattel saß, war das nicht der Fall. So erreichte er vor zehn Jahren und von ausländischen Wahlbeobachtern unbestritten, rund 79% der Stimmen. Hinter die 80% vom 9. August dieses Jahres darf man also getrost Fragezeichen setzen. Dennoch ist "er noch immer da", wie Kanzlerin Merkel nüchtern konstatierte. Auch das Ergebnis seiner Herausforderin Swetlana Tichanowskaja, welche diese Zahl ebenso für sich beansprucht und daraus aus dem litauischen Exil heraus Anspruch auf das Präsidentenamt erhebt, ist mit derselben Berechtigung zu hinterfragen.
Die Zufriedenheit in der Bevölkerung mit Lukaschenko ist dessen ungeachtet zweifellos gesunken. Neben dem Abnutzungseffekt des Autokraten, der längst den Nimbus des gütigen Landesväterchens verloren hat, dürften weitere Gründe hinzukommen.
Einer davon heißt Corona. Das Virus existierte in der Vorstellungswelt des Allmächtigen in Belarus nicht. Eines Machthabers, der per Dekret selbst Kleinigkeiten bestimmt. Geht jedoch etwas schief, sind alle schuld.
Ausgewechselt wird aber stets die untere Ebene. Nie aber der Inhaber des höchsten Staatsamts mit der Deutungs- und Entscheidungsmacht zu gleichfalls Allem und Jedem. So liegen für ihn eben keine Corona - Fälle in den Krankenhäusern, sondern einfache "Lungenkranke". Das ist zwar nicht falsch, aber eben nicht einmal die halbe Wahrheit. Ein Notarzt, der öffentlich an dieser "Wahrheit" zweifelte, wurde entlassen.
Dagegen regte sich öffentlicher Protest. Unterschriften wurden gesammelt.
Erstmals bei einer Präsidentenwahl bildeten sich auch an vielen Orten Menschenschlangen zur Abgabe von Unterschriften für Oppositionskandidaten. Die Menschen verlieren trotz Drucks ihre Angst. Denn leicht verliert man im östlichen Nachbarstaat Polens den Job oder gar die Freiheit.

Die Abhängigkeit von Belarus
Dennoch ist vieles anders geworden im Staate Lukaschenka. Die Ökonomie läuft im Vergleich zu früheren Jahren schlechter. Ein Grund ist das Thema Energie. Putin ist im Gegensatz zu vielen landläufigen Meinungen keineswegs der gute Kumpel und Schutzpatron des Herrschers in Minsk. Moskau ist durch ihn seit Jahren eher genervt, obgleich Belarus ökonomisch und energiewirtschaftlich eng auf Russland angewiesen ist.
Lukaschenka versuchte dennoch, Putin durch Energieverträge mit Polen und mit dem Kauf US-amerikanischen Öls zu erpressen. Diese Strategie ging gründlich schief. Die Energieeinigung im Februar dieses Jahres brachte nicht den von ihm erhofften belarussischen Erfolg, russisches Gas zu dortigen Inlandspreisen kaufen zu können. Der Gaspreis bleibt 2020 unverändert bei rund 127 US-Dollar. Ausgesetzt sind auch die Gespräche über Millionen Tonnen zollfreien Öls.
Das bedeutet einen herben wirtschaftlichen Verlust für Belarus. Von 2017 bis 2019 hat Belarus in Form von sechs MillionenTonnen zollfreien Öls noch Kompensationen erhalten, die der Staatshaushalt dringend benötigte und die jetzt fehlen.
Daher lesen sich Forderungen der belarussischen Opposition, die ökonomischen Verbindungen mit Russland zu kappen, als solche aus einer anderen Welt, in welcher die Realität ausgeknipst wird. Sie will zurück zu Zöllen und zur Kündigung sämtlicher Abkommen mit Russland. Dies hätte für Belarus verheerende Folgen.
In diese Wunde legt Lukaschenka bereits die Finger und betont die "Unbegründetheit" der Forderungen. Genüsslich betont er, das "Zollabkommen" existiere infolge der eurasischen Union nicht mehr. Und hat Recht damit. Der nationalistische Maßnahmenkatalog entpuppt sich an vielen Punkten als Geplapper.

Die Sprachenfrage in Belarus
Gefährlicher für die selbst ernannten Wahlgewinner sind auch deren sonstige Forderungen, die bevorzugt in englischer Sprache veröffentlicht werden. Nicht auf Russisch, das die große Mehrheit der Belarussen als Muttersprache spricht. Selbst Lukaschenka, so wird kolportiert, beherrscht die Sprache der nationalen Minderheit nicht.
Um so undurchdachter erscheinen die von der Opposition geforderten "Maßnahmen bis 2021". So will man Russisch als Amtssprache völlig absetzen. Russischsprechende Behörden und Beamte sollen betraft werden. Das gesamte Erziehungssystem, vom Sekundarbereich bis hin zu den Universitäten, sei zu "belarussifizieren". Ebenso Bücher, Medien, Kultur und Religion. Das aber ist der Stoff des Maidan in der Ukraine, der zum Bürgerkrieg führte.
Aus diesem Grund sollte eigentlich erwartet werden, dass westliche Politiker aus dieser Erfahrung lernen. Umso erstaunlicher, dass der deutsche Bundespräsident laut Reuters die Forderungen der belarussischen Opposition "unterstütze".
Dies hat Steinmeier in dieser Form, zwar nicht gesagt, sondern "lediglich" die Polizeigewalt nach Bekanntgabe der "Wahlergebnisse" verurteilt. Allerdings weicht der Bundespräsident beharrlich der Frage aus, wie er denn zur Reuters-Überschrift steht.
Welche Forderungen der Opposition will er unterstützen, wie und weshalb? Als ehemaliger Außenminister, der eng in den Maidan-Putsch verstrickt war, sollte ihm die Antwort doch leicht fallen. Wir fragen weiter nach. Denn ein klares Dementi der Reuters-Meldung gibt es noch immer nicht.

Gibt es eine Lösung?
Die Beantwortung dieser Frage liegt ungeachtet der Steinmeiers eher im Westen, wo sonst der Schlüssel in Moskau liegt. Allein ein Blick auf die Karte zeigt, dass Russland nie und nimmer Amerikaner und amerikanische Kurzstreckenraketen an der belarussisch-russischen Grenze, knapp 500 km westlich von Moskau entfernt, akzeptieren könnte. Und der Forderung nach Schließung russischer Militäreinrichtungen in Belarus geostrategisch nie und nimmer nachkommen wird. Sollten NATO und EU analog zur Ukraine davon träumen, wäre dies ein gefährlicher Traum. Und wohl ohne jede Übertreibung eine Gefahr für den Weltfrieden. Russland hat gelernt, westlichen Zusicherungen zu misstrauen.
In Bezug auf die Person Lukaschenka wäre die Problemlösung einfacher. Die Klärung von Verfassungsfragen und OSZE-überwachte Wahlen könnten seinen Hals nochmals retten. Entweder im Amt oder mit ehrenvollem Abgang. Mit Gezündel ist dies aber nicht erreichbar. Deshalb wird man mit ihm reden müssen. Ob man den Herrn mag oder nicht.
Ginge es dem Westen tatsächlich "nur" um Demokratie und Freiheit könnte er sich
damit anfreunden. Zu befürchten ist allerdings, dass wieder einmal der Wunsch nach
"Regime change" ohne die Frage eines "was kommt danach?" dahinter steckt.

Anlage 6:

https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/gastkommentar-putin-will-bei-belarus-kein-risiko-eingehen/ar-BB18cgne

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