Das Geschlechter-Paradox

in #deutsch6 years ago (edited)

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Amerikanische Frauen haben eine um 15 Prozent niedrigere Chance als Männer, die Position eines Managers zu erreichen. In Schweden ist ihre Chance 48 Prozent kleiner, in Norwegen 52 Prozent und in Dänemark 63 Prozent. Anteilig gibt es in Burma, Oman und Marokko mehr Studentinnen der Naturwissenschaften als in Skandinavien. [1]

Wie kann das sein? Die skandinavischen Länder plus Finnland sind die egalitärsten der Welt. Schweden hat eine selbsterklärt feministische Regierung und fördert seit Jahrzehnten die Gleichstellung von Frauen. [2] Selbst die schwedische Kirche möchte gender-neutral über Gott sprechen. [3]

Warum also haben Frauen ausgerechnet dort schlechtere Chancen, in höhergestellte Positionen zu gelangen?

Der westlichen akademischen Belle Étage ist seit Jahrzehnten unhinterfragtes Dogma, dass Geschlechterrollen anerzogen, mindestens aber durch Einflüsse der sozialen Umwelt geprägt werden. „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“ Dieser Satz Simone de Beauvoirs ist fast siebzig Jahre alt; inzwischen dürfte höchstens das zweifache „man“ der Übersetzung Anstoß erregen; wer den Inhalt anzweifelt, wird des „Biologismus“ geziehen.

Nun zeigen interkulturelle Studien, dass messbare Geschlechterunterschiede ausgerechnet in den Ländern am größten sind, die am ehesten (mindestens!) gleiche Bedingungen für Frauen wie für Männer schaffen – im europäischen Norden. Das gilt für Eigenschaften der Persönlichkeit, wie Hang zu Depressionen (Frauen) und Psychopathie (Männer). Es gilt für Fähigkeiten wie sich Orte zu merken (Frauen) und mentale Objekt-Rotation (Männer). Und es gilt für Interessen an Personen (Frauen) und an Strukturen (Männer). [1]

Das Phänomen heißt „Geschlechter-Paradox“, und, nein, es gibt noch keinen Wikipedia-Artikel dazu. Aber ein Buch. [4] Teil des Paradoxons sind die eingangs aufgeführten Unterschiede der Lebenswege; je egalitärer die Gesellschaft, umso eher machen Männer Karriere.

In der DDR wurden Frauen „Traktorist“, sie arbeiteten mit Maschinen und in Fleischereien. Das müssen sie jetzt nicht mehr, und sie tun es immer weniger. [5]

Die Erklärung: Wenn man alle gleich behandelt, wenn alle Wege offen stehen, können Menschen ihren Neigungen folgen, und umso eher zeigen sich genetische Prädispositionen in den beobachtbaren Resultaten.

Wie macht man Karriere? In grober Verkürzung: Man vernachlässigt so ziemlich alles andere und verbringt viele Jahre lang 60 Stunden pro Woche am Arbeitsplatz. Man hat Spaß daran, als der Bessere dazustehen, Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen. Was würdest du sagen, für wen das charakteristisch ist – Männer oder Frauen?

Ein weiteres typisch männliches Paradigma ist „Spezialisierung“, Fokus auf ein bestimmtes Gebiet, durchaus auch ein abseitiges. Der Briefmarkensammler mag dabei Fanatismus an den Tag legen und sich umfassendes Wissen aneignen – Karriere machen wird er nicht und fällt daher nicht auf. Aber der sich für KI begeisternde IT-Spezialist wird aufsteigen, denn irgendwo gibt es den für ihn maßgeschneiderten Job, den gerade er unter Tausenden kann. Und der fällt auf, in der Meute seinesgleichen nämlich; IT-Konferenzen sind „sausage fests“.

Frauen sind eher „Generalisten des Lebens“; ihr Blick auf die Welt ist nicht Laserstrahl, sondern Flutlicht. Der Beruf ist wichtig, aber er ist nicht alles; es gibt die Familie, Kinder, die Freunde. Und der Job sollte mit Menschen zu tun haben, unter möglichst vielfältigen Aspekten. Nun, so wird frau Sozialpädagogin, Psychologin, Ärztin. Und gar nebenbei Mutter, man denke! Darunter sind anspruchsvolle Tätigkeiten, aber wenig Spezialistentum. „Multitalent für vielfältige Aufgaben gesucht, attraktives Einstiegsgehalt, gute Aufstiegs-Chancen“ – diese Stellenanzeige wird man kaum finden.

Disclaimer: Die beiden letzten Absätze beschreiben Mittelwerte. Es gibt Männer, die sich mehr für Menschen als für Dinge interessieren. Und es gibt Frauen, die Lust haben, sich mit Mikroprozessor-Architektur zu beschäftigen. Ihnen allen sollten die Wege offen stehen, die sie sich erwählen. Wenn sie wenige sind – nun, dann ist das so.

Wenn die Gesellschaft uns werden lässt, was wir werden wollen, so wie die skandinavische, dann muss sie damit klar kommen, dass wir statistisch Unterschiedliches wollen. Und wenn eine noch so verankerte Ideologie behauptet, es gäbe die Unterschiede nicht, dann ist das aktuell schlecht für die Gesellschaft und langfristig schlecht für die Ideologie.

Hier eine Reportage von Harald Eia, Unterhaltungskünstler und, was gern unterschlagen wird, Soziologe. Aus ihr lässt sich lernen; sogar Englisch und Norwegisch.

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