✅N A R Z I S S M U S & die Selbstpsychologie (ein zunehmend modernes Störungsbild?) TEIL #1

in #deutsch5 years ago


Endnoten finden sich in Klammern und am Ende des Posts. Sie dienen zu einem besseren und vertieften Verständnis. oder aber geben eine spezifische Quelle an.


1. Einleitung


Die hier vorliegende Arbeit richtet ihren Fokus auf eine Thematik, die bei näherer Betrachtung und in Bezug auf unsere moderne Erfolgs- und Leistungsgesellschaft eine größere Brisanz denn je aufweist. Die Rede ist vom Narzissmus in seiner pathologischen Form; einer Selbstliebe und Ich-Bezogenheit, die gestört sind. ―
Wenn wir dieses Phänomen der übersteigerten Selbstliebe in Augenschein nehmen, so kommen wir unweigerlich zu dem Schluss, dass es sich hierbei nicht nur um einen Leidensdruck handelt, den der Einzelne für sich empfindet, weshalb ihm sein Leben in verschiedener Art und Weise erschwert wird, sondern dass es sich vielmehr um ein Phänomen handelt, das in allen möglichen Bereichen in Erscheinung tritt, wo Interaktion zustande kommt, denn der Narzissmus ist in diesen Tagen kein Einzelfall mehr, sondern in seiner mehr oder minder pathologischen Form zur Regel erhoben. In seiner Allgegenwärtigkeit spiegelt er sich in den medialen Welten, den Festlichkeiten diverser Gemeinschaften und der damit ver-bundenen Zelebration der Koketterie, den Beziehungsmustern familiärer Strukt-uren, den erotischen Beziehungen, der Arbeitswelt und sogar im Rahmen der Spiritualität, wobei bei all dem besonderes Augenmerk auf die Produktionsver-hältnisse und deren Kräfte zu legen ist, die der zeitgemäße Gesellschaftscharakter verlangt. Es sei dabei nur kurz an Fromm und seine Auslegung des Marketing-Charakters erinnert.

Was aber genau ist der Narzissmus? Wo liegt sein Leidensdruck für das Individuum? Wo liegen die Grenzen zwischen Gesundheit und Pathologie und wie ist seine Psychogenese zu betrachten? Inwiefern spielen unsere Nebenmenschen, angefangen mit unseren Eltern bis hin zu Lehrern und anderen Bezugspersonen eine Rolle? Wie sieht die Symptomatik eines Betroffenen aus und wie wirkt sie auf unser Verhalten mit anderen Menschen ein? ― Um diese Fragen beantworten zu können, wollen wir die Selbstpsychologie von Heinz Kohut zurate ziehen, der im Anschluss an Sigmund Freud und einige andere Vertreter der Psychoanalyse einen beachtlichen und bemerkenswerten Beitrag zu dieser Thematik geleistet hat. So wird im ersten Teil der Arbeit der Versuch unternommen, Kohuts Selbst-psychologie in ihren bedeutendsten Punkten zu erläutern, um anschließend das Krankheitsbild des Narzissmus zu beleuchten. Der letzte Teil widmet sich in sehr gedrängter Form den wichtigen Richtlinien zur Behandlung.

Dabei kann aufgrund der profunden Thematik dem Anspruch der Vollständigkeit in keinster Weise Rechnung getragen werden, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Vielmehr wird in dieser Arbeit der Versuch unternommen, einen Einblick in eine psychoanalytische Perspektive zu geben, die gerade im gesamt-gesellschaftlichen Kontext sehr interessant ist und uns näher bringen kann, warum z.B. im Bereich der Suchtproblematik Menschen versuchen mit Substanzen, Sex bzw. mit stofflichen und nichtstofflichen Suchtmitteln, ihre innere Leere zu füllen.


2. Einführung in Kohuts Selbstpsychologie


Heinz Kohuts Theorie über das Selbst entstand in den 60iger und 70iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und gilt insofern als einflussreich als er mit seiner Einführung der Selbstpsychologie eine Ganzheitspsychologie und Neukon-zeptualisierung in der Psychoanalyse begründet. ―

Während Freud in seiner psychoanalytischen Strukturtheorie (1) am Konzept des Ich arbeitete, wo es um die Erhellung der Hintergründe des psychischen Erlebens und dessen Qualität ging; also letztendlich um die Funktionszusammenhänge des seelischen Apparates und dessen Mechanismen, widmete sich Kohut demgegenüber in seinen Forschungen der Empathie und Introspektion, die er hinsichtlich Methodik als basale Elemente sah, weil psychologische Erklärung für ihn immer mit Einfühlung und Innenschau im Konnex steht, sei es als Methode der Daten-gewinnung, als Definierung des psychologischen Arbeitsfeldes oder als Erfahrungsnachvollzug und dem damit verbundenen Einblick in die vorliegende Selbst-Struktur des jeweiligen Patienten.

Im Verlauf seiner Arbeit muss er notgedrungen feststellen, dass der bisherige Rahmen psychoanalytischer Theorien nicht genügt und seine Erkenntnisse nicht unterbringen zu seien. Was daraus entsteht, ist eine neue Auffassung des Selbst und dessen Entwicklung, wodurch sich der Psychoanalytiker fortan gezwungen sieht, zwei Systeme anzuerkennen, die komplementär sind und sich bedingen. Es handelt sich dabei einerseits um das Konzept des Selbst, das den »Mittelpunkt des psychologischen Universums des Individuums« (2) kennzeichnet, die physikalische sowie die psychologische Realität umfasst und in seiner Essenz nicht erkennbar ist. Auf der anderen Seite steht eine Psychologie, »in der das Selbst als ein Inhalt eines psychischen Apparates gesehen wird.« (3) ―

Was sich daraus ergibt, ist die bereits oben genannte ganzheitspsychologische Perspektive innerhalb der Psychoanalyse, wo man den Menschen zwar unter den Gesetzmäßigkeiten von Lust und Unlust als einen Kriegsschauplatz feindlicher Triebe und Impulse sehen kann, er sich aber allen verschiedenen inneren Formen der Willensunterwerfung oder Richtungsbestimmung zum Trotz, grundsätzlich als eine ganze Person erlebt. Kohut schreibt demgemäß die folgenden Worte: »Immer, wenn wir einen Menschen beobachten, der nach Lust strebt oder rachsüchtige oder destruktive Zwecke verfolgt (oder der mit diesen Zielen in Konflikt steht oder sich ihnen widersetzt), ist es möglich, ein Selbst auszumachen, das zwar Triebe (und /oder Abwehrmechanismen) in seiner Organisation enthält, jedoch zu einer über-geordneten Konfiguration geworden ist, deren Bedeutung über die der Summe ihrer Teile hinausgeht.« (4) ―

So stellt das Selbst ein organisierendes Prinzip dar, dem die bisher als primär erachteten Triebe unterstellt sind und welches einem sich selbst innewohnenden Imperativ folgt, eine kohäsive; d.h. zusammenhaltende Struktur zu bilden.

Beim Gedanken eines Selbst, das als zentrale und organisierende Größe menschlichen Seelenlebens aufgefasst wird, stellt sich die Frage, ob dieses Selbst von Geburt an rudimentär vorhanden ist, oder ob es sich erst im Laufe der Zeit bildet und dafür bestimmte Entwicklungsschritte notwendig sind. ― Kohut beantwortet diese Frage insofern, als es für ihn den Anschein mache, dass ein Baby aufgrund seiner Reaktionen auf die Umwelt ein solches Selbst habe, jedoch sei im Einklang mit den Befunden er Neurophysiologie anzunehmen, »daß das neuge-borene Kind keinerlei reflektives Bewußtsein seiner selbst haben kann, daß es nicht fähig ist, sich selbst, und sei es noch so schemenhaft, als eine im Raum kohärente und in der Zeit dauernde Einheit zu erfahren, die Ausgangspunkt von Antrieben und Empfänger von Eindrücken ist.« (5)

Die Umgebung; in der Regel die Eltern; würden ihm zufolge die spätere Selbst-Bewusstheit des Kindes vorwegnehmen und es aufgrund von Form und Inhalt ihrer Erwartungen in spezifische Richtungen zu lenken beginnen. Sie spiegeln das Kind und werden von Kohut in dieser Funktion als Selbstobjekte benannt. Dieser Begriff gilt fortan für alle Umweltpersonen, die so erlebt werden, als wären sie ein Teil des eigenen Selbst. In den Interaktionen mit den Selbstobjekten macht das Kind seine Selbstobjekterfahrungen, welche beim Studium der Ätiologie psych-ischer Störungen so interessant und hinsichtlich therapeutischer Interventionen notwendig sind, um die jeweilige Störung zu kurieren. Dazu später mehr. ―

Vorerst ist wichtig zu verstehen, dass zu Beginn des Lebens eine sehr intensive Beziehung bzw. Bindung zwischen der Mutter und dem Kind entsteht, wo das Kind die pflegende Mutter wie seine eigene Hand erlebt und beide dem Anschein nach in Form einer differenzierten Einheit verschmolzen sind. Freud sprach hierbei vom primären Narzissmus, wo in den ersten Wochen und Monaten »zunächst eine Objektliebe zur Mutter vorhanden sei.«6 und diese in triebpsych-ologischer Terminologie gesprochen mit narzisstischer Libido besetzt wird.

Nach Kohut wird hier dieses Gleichgewicht des primären Narzissmus durch die Begrenzungen der mütterlichen Fürsorge gestört und das Kind ersetze die vorherige Vollkommenheit »(a) durch den Aufbau eines grandiosen und exhibitionistischen Bildes des Selbst: das Größen-Selbst; und (b) indem es die vorherige Vollkommenheit einem bewunderten, allmächtigen (Übergangs-) Selbst-Objekt zuweist: der idealisierten Eltern-imago.« (7)

Dies bedeute, dass das Kind im Laufe der Zeit erkennen muss, dass es sich bei der Mutter um ein unabhängiges Wesen handelt und es nicht seiner magischen Kontrolle untersteht, was bei ihm Verunsicherung und Frustration auslösen würde. Die infantile Omnipotenz wird im Zuge der Frustrationen durch umwandelnde Verinnerlichung des Selbstobjekts allmählich moduliert und um die Desillusion-ierung und den Ablöseprozess aus dem symbiotischen Zustand zu kompensieren, schreibe das Kind seine illusionären Allmachtsgefühle einerseits dem eigenen Selbst zu und andererseits der elterlichen Objektrepräsentanz.

Das daraus entstehende Größen-Selbst und das idealisierte Elternimago sind demnach Transformationen des primären Narzissmus und entstehen durch die um-wandelnden Verinnerlichungen, die aus den Selbstobjekterfahrungen resultieren, wodurch sich in bipolarer8 Weise am Ende das Selbst entwickelt.

Sofern die Selbstobjekterfahrungen positiv und angemessen sind; d.h. wenn die Reaktionen der Selbstobjekte fördernd sind, kann sich ein intaktes, vitales und kohäsives Selbst bilden, wo der Mensch das Gefühl hat, ein unabhängiges Zentrum eigener Initiative und Wahrnehmung zu sein. Dafür bedarf es der einfühl-enden Spiegelung und sichtlichen Freude seitens der Mutter, wenn es um die Omnipotenz und die exhibitionistischen Aktivitäten des Kindes geht. Kohut sprach in diesem Zusammenhang davon, dass man den Glanz im Auge der Mutter sehe und dass der Mensch Anerkennung und Bewunderung brauche. Vielmehr könne der Mensch »in einem psychologischen Milieu, das nicht empathisch auf ihn reagiert, ebensowenig psychologisch überleben wie physisch in einer Atmo-sphäre, die keinen Sauerstoff enthält.« (9) ―

Sind die Reaktionen also ungenügend, z.B. wenn keine optimale mütterliche Empathie gegeben ist, die fundamental für die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls ist; und um dieses geht es Heinz Kohut in entscheidendem Maße, so spricht man infolgedessen von einem Selbst das fragmentiert (10) oder fragil ist. In anderen Worten könnte man sagen, dass aus einem unter Anführungs-zeichen normalen und gesunden Narzissmus (11) ein pathologischer wurde und die narzisstische Homöostase; also die Regulation des Selbstwertgefühls, die sehr stark von der narzisstischen Zufuhr abhängig ist, gestört ist.


ENDNOTEN:

(1) Dem Begriff der Struktur liegt die Annahme zugrunde, dass das psychische Geschehen, der Fluss der Bewusstseinsinhalte und das Aufeinanderfolgen von Erlebenssequenzen und Verhaltensabschnitten nicht in zufälliger Weise passieren. Sie entsprechen vielmehr einer Regelmäßigkeit, die charakteristisch für das jeweilige Individuum erscheint, weshalb der intrapsychischen Struktur eine bestimmte Konstanz innewohnt. Im allgemein-psychologischen Sinn ist die Struktur die Art, wie die verschiedenen Teile zusammenhängen und ein Ganzes ergeben, aber auch eine Gliederung des psychischen Organismus (vgl. Strukturmodell) oder auch das was wir als Charakter bezeichnen. Hier trägt der Begriff der Struktur immer ein Adjektiv mit sich, weshalb man z.B. von einer depressiven Struktur spricht. Generell ist der Strukturbegriff sehr weit gefasst.

(2) Heinz Kohut. Die Heilung des Selbst. S. 299
(3) Heinz Kohut. Die Heilung des Selbst. S. 12
(4) Heinz Kohut. Die Heilung des Selbst. S. 93
(5) Heinz Kohut. Die Heilung des Selbst. S. 95
(6) Stavros Mentzos. Neurotische Konfliktverarbeitung. S. 91
(7) Heinz Kohut. Narzißmus. S. 43

(8) Bipolar insofern, als sich die Konzeptualisierung der Struktur in einem Spannungsbogen ergibt, der aus den grundlegenden Strebungen und Ambitionen sowie den grundlegenden Idealen, Werten und Zielen besteht, wo sich das Selbst mit seinen angeborenen Talenten und Fähigkeiten selbst zu äußeren und auszudrücken versucht.

(9) Heinz Kohut. Die Heilung des Selbst. S. 255

(10) Unter der Bezeichnung „fragmentiert“ versteht die Psychoanalyse ein bestimmtes Ausmaß an Regression (das Zurückfallen auf frühere kindliche Stufen der Triebvorgänge), die von Symptomen subjektiven Unbehagens begleitet sind und sich in Übertragungen äußert.

(11) Narzissmus wird hier einerseits als Schutz- bzw. Abwehrvorgang verstanden, wo ein Rückzug vom Objekt hin zum Selbst stattfindet und der alle Tendenzen, Phantasien und Befriedigungen miteinschließt, die auf das eigene Selbst gerichtet sind. Dies bedeutet eine Vermehrung der libidinösen Besetzung des Selbst. Andererseits meint Narzissmus das System des Selbst; d.h. alle Bedürfnisse und Mechanismen, die bei der Selbstentfaltung und Regulation des Selbstwertgefühls beteiligt sind. Dabei werden auch Ereignisse narzisstisch genannt, die Erhöhung oder Erniedrigung des Selbst bewirken und ebenso die daraus resultierenden Affekte. (vgl. Mentzos)


ENDE TEIL #1


Literaturverzeichnis

Heinz Kohut. Narzißmus. Eine Theorie der psychoanalytischen Behandlung narzißtischer Persönlichkeitsstörungen. Titel der Originalausgabe: The Analysis of the Self. A Systematic Approach to the Psychoanalytic Treatment of Narcissistic Personality Disorders. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main. 7. Auflage 1990

Heinz Kohut. Die Heilung des Selbst. Titel der Originalausgabe: The Restoration oft he Self. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main. 1. Auflage 1979

Mentzos, Stavros. Neurotische Konfliktverarbeitung. Einführung in die psycho-analytische Neurosenlehre unter Berücksichtigung neuer Perspektiven. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt. 17. Auflage. 2000

Peter Fonagy & Mary Target. Psychoanalyse und die Psychopathologie der Entwicklung. Klett-Cotta Verlag. 2. Auflage 2007


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Sehr interessanter Text, danke.

Eine Sache, die ich aber hinterfrage (wenn du erlaubst), ist folgende Hypothese:

der Narzissmus ist in diesen Tagen kein Einzelfall mehr, sondern in seiner mehr oder minder pathologischen Form zur Regel erhoben.

Würdest du das wirklich so sagen und worauf stützt du die Annahme, die Gesellschaft als gesamtes wäre pathologisch narzistisch?
Bzw. ist Pathologie in der Psychologie nicht einfach nur eine besonders große Abweichung von der Norm, und die Norm definiert sich über den Schnitt der Gesellschaft? D.h. ist in einer Gesellschaft ein vormals "pathologisches" Muster zur Regel geworden, wäre das dann doch gar nicht mehr als pathologisch zu betrachten, da es ja die neue Normalität wäre?

Hey @sco - gute und verdammt berechtigte Frage!

Der Text ist schon etwas älter und ich würde ihn inzwischen etwas anders schreiben und formulieren. Was Pathologien generell betrifft, ist es immer schwierig Kategorien zu machen; Menschen zu etikettieren und eine Diagnose zu stellen. Die pathologischen Kategorien sind immer nur Modelle und Landkarten - niemals das Land selber.

De facto geht es letztlich eigentlich um einen inneren verspürten Leidensdruck bzw. eine Lebensqualität, die durch die Symptomatik eingeschränkt ist usw. -- soweit wäre der Ansatz der gängigen psychiatrischen und psychologischen Auffassung.

Ich denke, ich habe das zu wenig differenziert und muss daher richtig stellen, dass ich mich mehr auf die Anschauungen von Erich Fromm, Konrad Lorenz und Viktor Frankl berufe, die das "Pathologische" doch wohl in vielen Kontexten weitläufiger gebraucht haben und in ihrer Sozial- und Kulturkritik von einer zunehmenden Entfremdung innerer Ressourcen, der Natürlichkeit, Spontanität, des Seins-Modus, etc. ausgehen. Der Leidensdruck wird dabei nicht immer so bewusst wahrgenommen... sehr wohl aber eine innere Leere; und auch klassische Symptome, die diese Leere durch verschiedene Mittel zu füllen versuchen. Es kann auch nicht schwarzweiß betrachtet werden, denn die Graustufen sind vielfältig; mal sind stärkere Tendenzen gegeben, mal sind leichtere Formen von Pathologie vorhanden.

D.h. ist in einer Gesellschaft ein vormals "pathologisches" Muster zur Regel geworden, wäre das dann doch gar nicht mehr als pathologisch zu betrachten, da es ja die neue Normalität wäre?

Wenn man es mit Fromm betrachtet, der ja von einer "Pathologie der Normalität" spricht, ist eben diese unsere neue Normaliät (seit des Aufbruchs des Industriezeitalters und dessen Religion) sehr wohl als eine Patholgie zu betrachten, da sie den Menschen von sich selbst zunehmend entfremdet hat. Die Konsequenzen und verschiedenen Charakterorientierungen, die sich daraus ergeben, zu erläutern würde zu weit führen... aber wenn es dich interessiert, würde ich dir das Buch "Haben oder Sein" empfehlen.

Ich poste aber in der nächsten Zeit noch einige andere Artikel, auch neuere, die alles ergänzen und mehr Aufschluss geben werden. Außerdem wird dieser Artikel mit den restlichen Teilen dann auch verständlicher.


Letzten Endes ist jedenfalls so: Nur weil etwas als "normal" betrachtet wird, heißt es noch lange nicht, dass es nicht pathologisch sein kann oder seine Krankheitswertigkeit verliert. Wichtig ist die Frage, was machen die gesellschaftlichen Umstände mit den Familien/Individuen & Gemeinschaften; wie zeichnet es sich im psychischen Innenleben, in der Mentalität, im Verhalten ab; und wie äußert sich eventuell ein Leidensdruck bzw. wie steht dieser in Verbindung mit den Umständen.

Wichtig ist, nicht vor dem Offensichtlichen Halt machen; und den Blick hinter die Fassade zu wagen, was ja letztlich der Anspruch psychoanalytischer Gesellschaftskritik (inkl. aller verschiedenen Tiefen- & Höhenpsychologien) ist.

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