Alle Menschen werden Brüder
Vor einiger Zeit führte ich hier auf Steemit eine kleine Diskussion mit einem anderen Steemit-Mitglied. Ich schrieb, dass ich an so etwas wie ein Weltbürgertum glaube und erntete leider Unverständnis. Die erweiterte/fortgesetzte Idee dieser Vorstellung wäre der Weltgeist. Das gemeinsame Streben in eine vernünftige Richtung. Der gute Wille. Oder wie man es auch immer ausdrücken oder sich vorstellen möchte. Welche Worte man dem gibt, halte ich für nicht so wichtig.
Jedenfalls spüre ich diesen Geist/Willen immer besonders dann, wenn ich Orchestermusik höre und v.a. sehe. Jedes Orchestermitglied hat sein Instrument und seine Noten. Aber was es als Ganzes damit verkörpert, geht weit über seine Individualität hinaus. Die Musiker haben sich dazu verabredet, an diesem Tag, zu dieser Stunde gemeinsam an einem Werk zu arbeiten, das in vielen Fällen (ich denke zum Beispiel an Beethoven’s 9. Sinfonie) wie der 1. Artikel des Grundgesetzes eine eingebaute Ewigkeitsklausel hat.
Können die Menschen Brüder werden? Über ihre eigenen Befindlichkeiten hinwegsehen und ihren Geist auf das große Ganze einstimmen? Ich glaube daran, dass es zumindest jedem möglich ist, einen Hauch, eine Ahnung dieser Möglichkeit wahrzunehmen und möchte eine kleine Übung vorschlagen. Wer sehr strikt im Alltag eingebunden ist, wer nicht weiß, was ich meine, aber trotzdem nach einem Hochgefühl sucht, das ihn über Alltägliches hinwegträgt, der möge jetzt bitte weiterlesen :)
Die Übung besteht genaugenommen aus zwei Teilen. Als erstes (ich finde diesen Teil leichter als den zweiten) kann man versuchen, in eine Art meditativen Zustand zu geraten (zum Beispiel kurz vor dem Einschlafen). Jetzt versucht man mit allen geistigen Ressourcen, die man besitzt, so intensiv wie möglich an alles zu denken, was es gibt. Ob man versucht es zu fühlen oder vor dem geistigen Auge zu sehen ist eigentlich egal. Es geht um die Wahrnehmung. Die bleibt natürlich ein Versuch, aber er endet vermutlich damit, dass der Gedanke an das eigene Selbst zurücktritt und man sich dennoch nicht klein, sondern groß fühlt.
Gerade Letzteres verdeutlicht, dass wir alle Teil von etwas Großem sind. Was auch immer das ist.
Als nächstes versucht man so intensiv wie möglich an den eigenen Wesenskern zu denken. In diesem Moment ist es also völlig ok, sich gedanklich zum Zentrum der Welt zu machen. Finde den Punkt in dir, auf den all dein Streben, dein Denken, dein ganzes Sein zurückgeht. Das Unverrückbare. Meiner Meinung nach ist das Gefühl, das sich nach einer Weile einstellt, mit dem der ersten Übung vergleichbar.
Sind beide, also „das große Ganze“, das wir in der ersten Übung anvisieren, mit dem Wesenskern, den wir in der zweiten Übung anvisiert haben, eventuell identisch? Oder gehen sie ineinander über? Sitzen sie an derselben Quelle? Eine spannende Frage, auf die ich leider keine Antwort weiß.
Was ich jedoch weiß, ist, dass Synchronizitäten auf dieser Welt real sind und das wir gut daran täten, unsere Wahrnehmung für sie zu schärfen und bewusster an ihnen zu arbeiten. Außerdem glaube ich an das Weltbürgertum. Krishnamurti spricht in Vollkommene Freiheit darüber, wie bzw. dass wir uns mit jedem anderen Weltbürger solidarisch erklären sollten und ich finde, das ist einer der edelsten Gedanken, den man sich nur vorstellen kann.
Noch bevor ich von Krishnamurti wusste und das erste Buch von ihm las, formulierte ich in meinem kleinen Büchlein (Antikes Denken - ein Gegenentwurf zum dualistischen Denken) einen ähnlichen Gedanken und plädierte dafür, nicht zwischen sich und den anderen Menschen zu unterscheiden. Das ist sicher nicht exakt das, was Krishnamurti meinte, und es führt, falsch verstanden, leider auch dazu, dass man sich nicht mehr genügend von anderen abgrenzt. Es sollte klar sein, dass es bei diesem Gedanken darum geht, sich permanent der normativen Gleichwertigkeit aller Menschen bewusst zu sein. Nicht als Forderung, sondern als Gewissheit.
Sprach Remarque von "Als wäre alles das letzte Mal.", gibt es auch ein Lebensgefühl des "Als wäre alles das erste Mal." Es die Sensibilität für die anderen, eine besondere Fähigkeit der Wahrnehmung, die uns zu lebendigen Sternen macht. Was ich damit meine? Dasselbe, was ich mit der beschriebenen Übung bezwecke. Ich habe das bereits in diesem Gedicht formuliert.
Wir können unsere Gedanken wie einen Stern weit außerhalb unseres Selbst projizieren. Doch die Wahrheit ist, dass wir über diesen Stern auf uns selbst zurückblicken. Ein mächtiges Tool, mit dem wir viel üben sollten. Wie die Sterne, sind auch die Gedanken immer und ewig da. Wir sind also nie allein. Wenn wir sie nur lange genug betrachten, sprechen bzw. wirken sie auf uns zurück.
der ewig ist,
ist nur ein Augenblick.
Du siehst es nur noch nicht.
Ja sie können, wenn sie nur wollen!
Alle Menschen-Brüder und Schwestern die "wollen" treffen sich jetzt bei "FangtAn"
Ich auch, aber die Mehrheit der Gesellschaft leider nicht.
Diesen Gedanken kenne ich nur zu gut und hatte ihn auch nur allzu oft. Wir können uns zwar viele (echte, im Sinne von in der Realität "machbare") Utopien vorstellen, diese resonieren aber leider nicht in einem breiten Feld, was natürlich wichtig wäre. Die Schwierigkeit für das Individuum besteht darin, dieses Stadium eben gerade nicht als gegeben anzunehmen.
In jeder Jahreszeit, besonders im Herbst, verraten uns die Verwandlungsprozesse in der Natur, dass es auch ein anderes Leben gibt. Diesem Gedanken galt auch das letzte Zitat meines eigenen Gedichtes oben im Beitrag: Ein Stillstand, der ewig ist, ist nur ein Augenblick. Erst, wenn wir mit unserem Wesen unsere Bindung an den Faktor Zeit überwinden, ist der Geist frei für die Wahrheit, dass Zustände bzw. Umstände nicht absolut bindend sind.
Danke für diese wunderbare gute-Nacht-Geschichte :-)