Wie Ameisen ihren kooperativen Transport koordinieren

in #de-stem6 years ago

Find an english version of this article here.

Heute präsentiere ich euch einen kurzen Review zu einem meiner liebsten Forschungsprojekten aus der Biologie. Dabei dreht sich alle um die Frage ‘wie Ameisen bloß ihr Zeug herumtragen‘.

Ich hoffe, euch bereitet die Klärung dieser durchaus gerechtfertigten wissenschaftlichen Fragestellung ebenso viel Vergnügen wie mir!

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Quelle: pixabay

Zunächst muss ich festhalten, dass kollektive Interaktionen, wie sie zum Tragen großer Lasten benötigt werden, einen hohen Grad an Koordination erfordern und primär beim Menschen und Ameisen beobachtet werden können. Ihr hättet wohl nicht gedacht, dass es eine Fähigkeit gibt, bei welcher Ameisen die Tiere sind, die uns am stärksten ähneln, oder?!

Es ist bekannt, dass in Gruppen lebende Tiere ihre Aktionen koordinieren. Jedoch gibt es über die zugrunde liegenden Mechanismen noch keinen allgemeinen Konsens. Grundsätzlich gibt es verschiedene Vorschläge, welche von Interaktionen mit kurzer Reichweite (einzelne Tiere reagieren nur direkt auf ihre nächsten Nachbarn) bis hin zu weitreichenden Interaktionsmodellen (von großen Teilen einer Gruppe) alles abdecken.

Ein Grund, warum es sehr schwierig ist, die vorgeschlagenen Mechanismen zu validieren, liegt in einem Mangel an möglichen quantifizierbaren Kriterien, welche in Betracht gezogen werden könnten. Für Ameisen und ihren kooperativen Transport hingegen ist dies völlig anders, da hier das kollektive Ziel der Gruppe und damit der Grund für ihre Kooperation gut verstanden ist: 'Bringe das Futter zum Nest.'


Ameisen als Forschungstiere


In der präsentierten Arbeit wurden Ameisen der Spezies Paratrechina longicornis untersucht. Diese können in den verschiedensten Gebieten auf der ganzen Welt gefunden werden. Aviram Gelblum und Mitarbeiter konzentrierten sich auf den kooperativen Transportmechanismus, mit dem Ameisen Materialien und Nahrung in ihr Nest bringen.

Das Experiment:
Sie verwendeten ringförmige Nahrungsmittel oder Gummibänder, die sie in der Nähe von Ameisennestern platzierten. Nach einer Entdeckungs- und der anschließenden Rekrutierungsphase erfolgte der Transport des entsprechenden Objekts zum Nest. Sie filmten die Ameisen, verfolgten ihre Wege, ihr Verhalten, ihre Unterstützung beim Tragen, wann sich welche Ameise vom getragenen Gut wieder loslöste, sowie den Winkel zwischen den einzelnen Ameisen und dem Objekt. Sie untersuchten diese Parameter in Bezug auf die resultierende Bewegung der transportierten Güter.

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Quelle: Axel Rouvin

Die Ergebnisse:
Es wurde gezeigt, dass die mittlere Geschwindigkeit linear mit der Anzahl der tragenden Ameisen ansteigt. Nachgewiesen wurde dies in ihrer Studie zumindest für bis zu max. 15 Ameisen. Interessanterweise hängt die Geschwindigkeit kaum von der Verteilung der Ameisen rund um die Ladung ab. Die Effizienz des Transports steigt mit sinkender Anzahl an Ameisen. Dies ist auf reduzierte Rotationsbewegungen und somit auf eine geringere Energieverschwendung zurückzuführen.

Eine weitere grundlegende Erkenntnis ist, dass ein Transportprozess immer zwei Arten von Ameisen benötigt: diejenigen, die das Objekt anheben und diejenigen, die ziehen. Ein signifikanter Beitrag von schiebenden Ameisen wurde für extrem selten befunden.

Um den Steuerprozess zu erklären, untersuchten sie eine ganze Reihe von Annahmen. Darunter etwa, dass eine einzige, permanent am Objekt befindliche Ameise den gesamten Transportprozess dirigiert. Sie fanden jedoch keine Korrelationen der gewonnenen Daten (Orientierungen, etc.) von 'persistent gebundenen' Ameisen, welche statistisch unterscheidbar zu denen von 'nicht-persistenten' Ameisen waren. Ihre Studie zeigte auch, dass die beobachtete kollektive Bewegung nicht ausreichend durch ein Modell der Schwarmintelligenz erklärt werden kann.


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Zufälliges, cooles Bild von Ameisen.
Quelle: pixabay


Das Kern-Ergebnis


Im Gegensatz zu Ameisen, welche aktiv am Transportprozess beteiligt sind, sind freie Individuen gut über die korrekte Richtung zum Nest informiert. Immer wenn solche Ameisen beginnen sich am Transport der Ladung zu beteiligen, lenken sie diese so, dass die Genauigkeit des Transports erhöht wird. Diese Ameisen-Anhefte-Prozesse wurden hinsichtlich ihres temporären Informationseintrages untersucht:

'Quantitativ konnten wir nachweisen, dass Ameisen innerhalb der wenigen Sekunden, die ihrer Anhaftung folgen, ungefähr 0,5 Bits Richtungsinformation in das System einbringen. [...] Dieser kausale Effekt impliziert, dass neu beteiligte Ameisen eine einflussreiche Rolle spielen. Der Peak in der Richtungsgenauigkeit [...] impliziert, dass bereits länger tragende Ameisen weniger informiert sind als neue. Die schnelle Verschlechterung der Genauigkeit nach ihrem anfänglichen Anstieg zeigt, dass obwohl neu angebundene Ameisen einen vorüber-gehenden positiven Einfluss haben, ihr Richtungswissen nach der Anhaftung schnell abnimmt.' - übersetzt aus Ref. [1]

Diese Beobachtungen können wie folgt erklärt werden:

Ameisen verlassen sind nicht stark auf ihre Sehkraft, sondern vielmehr auf die Wahrnehmung über ihre Antennen, welche durch das getragene Gut aber stark beeinträchtigt wird.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Transportprozess auf einer Gruppe von Ameisen beruht, welche das zu tragende Objekt sowohl anheben als auch bewegen. Dann kommen neue Ameisen hinzu und steuern die Bewegung der ganzen Gruppe. Natürlich reagieren die anderen beteiligten Ameisen, um die kurzfristige positive Wirkung der neuen Ameise so gut wie möglich zu verstärken. Nach einigen Runden des Ablösens und Anbindens einzelner Ameisen erreicht die ganze Ameisengruppe zusammen mit dem getragenen Gut ihr Nest.


Das Forscherteam stellte mit ihrem Paper auch zwei Videos zur Verfügung. Diese sind durchaus hilfreich, um ihr experimentelles Setup zu verstehen:

https://media.nature.com/original/nature-assets/ncomms/2015/150728/ncomms8729/extref/ncomms8729-s2.mov
‘Ein kurzer Clip zum kooperativen Transport. Die Bewegungsverfolgung beinhaltet sowohl die Position (blauer Punkt), die Orientierung des transportierten Gutes sowie von einzelnen Ameisen (nicht markiert) und die Bewegungen aller Ameisen (markiert durch verschiedene Farben). Die Ameisen wurden entweder als tragende (gelbe Zahlen) oder als freie Ameisen (weiße Zahlen) klassifiziert.‘ - übersetzt aus Ref. [1]

https://media.nature.com/original/nature-assets/ncomms/2015/150728/ncomms8729/extref/ncomms8729-s3.mov
‘Relokationstest: Dieses Video zeigt beispielhaft eine Re-positionierung/Versetzung von Ameisen und ihres Transportgutes. Während die Ameisen das Objekt in Richtung ihres Nestes schufen, wurde das Transportgut inklusive der daran hängenden Ameisen mit Hilfe einer Pinzette angehoben und entlang der Transportroute zurückversetzt. Nach der Versetzung verließ nur eine von fünfzehn tragenden Ameisen ihre Position, während alle anderen sofort ihre ursprüngliche Richtung zum Nest fortsetzten.‘ - übersetzt aus Ref. [1]


Für weitere Details und informative Grafiken empfiehlt sich die unten als Ref. [1] angegebene frei zugängliche Literaturstelle.

Ebenso stehe ich gerne auch direkt für Fragen in den Kommentaren nach bestem Wissen und Gewissen zur Verfügung!


Euer,
mountain.phil28

Referenzen:

  1. A. Gelblum, et al. Ant groups optimally amplify the effect of transiently informed individuals, Nature Communications, 2015, 6 (7729)
  2. T. J. Czaczkes, F. L. W. Ratnieks Cooperative transport in ants
    (Hymenoptera: Formicidae) and elsewhere
    . Myrmecol. News, 2013, 18, pp. 1–11 (2013).
  3. S. Berman, Q. Lindsey, et al. Experimental Study and Modeling of Group Retrieval in Ants as an Approach to Collective Transport in Swarm Robotic Systems Proc. IEEE, 2011, 99, pp. 1470–1481
  4. I. D. Couzin, J. Krause, et al. Collective memory and spatial sorting in animal groups J. Theor. Biol., 2002, 218, pp. 1–11.
  5. M. Ballerini, et al. Interaction ruling animal collective behavior depends on topological rather than metric distance: evidence from a field study Proc. Natl Acad. Sci. USA, 2008, 105, pp. 1232–1237
  6. S. B. Rosenthal, et al. Revealing the hidden networks of interaction in mobile animal groups allows prediction of complex behavioral contagion Proc. Natl Acad. Sci USA, 2015, 112, 201420068
Sort:  

Da darf man doch spekulieren, ob die Ameisen noch auf den nach ihnen benannten Straßen erfolgreich transportieren, wenn das letzte Relikt menschlicher Autobahn schon wieder vom Urwald überwuchert wurde.

Ein pfiffiges Völkchen!

Haha! Ja ich würde sagen, die Chancen dafür stehen nicht besonders schlecht! 😅

Wirklich toller Beitrag! Es ist immer bewundernswert gewesen, was für Lasten unsere kleinen Tierchen tragen können. Was ich noch nicht wusste ist, dass Ameisen durchaus logische Handlungen vollziehen. Damit meine ich das tragen und ziehen von Gegenständen.

Liebe Grüße
John B.

Danke fürs Lesen und Kommentieren! Freut mich das er dir gefallen hat! Ja, diese Arbeitsteilung und gegenseitige Unterstützung ist echt cool.

LG,
mountain.phil28

Ameisen sind echt faszinierende Lebewesen, v.a. natürlich, weil sie durch ihre Kooperation Dinge schaffen, denen man so kleinen Insekten absolut nicht zutrauen würde.

Richtig :)
Cool und strong. Wenn sie noch kuschelig wären, wären sie echt coole Haustiere. 🤗

super recherchiert. Hatte das auch schonmal gelesen dass es gar nicht so emergent ist, hält sich aber hartnäckig der Mythos
Ameisen lassen einen den begriff "natürlich" auch etwas fehlplatziert dastehen. Wenn man sieht wie sie Blattläuse halten, ihnen die Flügelenden stutzen (wie in Mastbetrieben üblich), wie sie Pilze kultivieren und dann noch die riesigen 3meter hohen Termiten Türme die einfach mal das Landschaftsbild genauso "stören" wie ein Wolkenkratzer die Dünenlandschaft.

Stimmt. Da gibt's echt ein paar kuriose Parallelen. 😅

Klasse, echt interessanter Artikel! Das ist wirklich immer total spannend zu beobachten, wie die Ameisen ihren Transport bewerkstelligen.

Schau mal @magicquokka

Danke fürs Lesen, Weiterleiten und begeisterte Kommentieren. So was freut einen immer sehr! 🤗
LG,
mountain.phil28

Sehr gerne :)

Cooler Artikel. Man sieht das die kleinsten Tiere ein Vorbild für die Menschen sein können.

Ich habe mich schon des öfteren gefragt, wie die Kleinen sich da beim Schleppen koordinieren...
Man sieht es ja, wenn nur wenige Arbeiterinnen sich an einem großen Objekt versuchen, wie schnell sie von der Richtung abkommen...

Wirklich grandioser Beitrag, schön kompakt und überaus interessant!
Schreibt über Ameisen? Erstmal folgen^^

Liebe Grüße,
Gabs

Freut mich, dass es dir gefallen hat!

Ja, ich schreibe über alles mögliche Naturwissenschaftliche, dass mich begeistert. im Gesamten ergibt das eine recht bunte Mischung. Sollte hoffentlich immer wieder Mal was für deinen Geschmack dabei sein. 🤗

LG,
mountain.phil28

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