Meine Erfahrung mit "Dvorak": Tippen ist nicht schreiben

in #text7 years ago (edited)

Im Sommer 2015 saß ich in einer Universitätsbibliothek. Oben, in der lichtdurchfluteten dritten Etage zwischen langen Bücherregalen, quälte ich mich durch eine Hausarbeit aus dem Seminar “Antike Geschichte”. In der Hausarbeit befasste ich mich mit Geschichte der Juden im ptolemäischen Ägypten. Klingt spannend, ich weiß. So spannend, dass ich mich damals entschied eine neue Fähigkeit zu lernen, die mir beim Schreiben helfen sollte. Ich wollte schneller mit dem zähen Text vorankommen. Ich lernte ein neues Zehn-Finger-System, auch “Dvorak” genannt.
Die Buchstaben deutscher Tastaturen sind nach dem Qwertz-Prinzip angeordnet. Benannt nach der Zeichenfolge, oben links auf der Tastatur neben dem Tabulator. Ich las damals im Internet, dass die Qwertz bzw. die englische Qwerty-Tastatur ineffektiv sei. Immerhin wurde dieses Layout für Schreibmaschinen des 19. Jahrhunderts entwickelt, damit sich die mechanischen Anschläge hinter den Buchstaben nicht gegenseitig in die Quere kamen. Die Ingenieure platzierten deshalb die am häufigsten verwendeten Zeichen soweit auseinander wie es ging.
Ein gewisser August Dvorak erkannte den Unsinn dieser veralteten Tastaturbelegung bereits im 20. Jahrhundert. Die sich verharkenden Buchstaben hatte sich längst technisch erübrigt, doch die Qwerty-Tastatur war inzwischen die weltweite Norm. Dvorak wollte dies ändern und sortierte die Buchstaben neu. Hätte er nur gewusst, dass er mir damit im Jahr 2015 das Leben erschweren würde.
In Dvoraks System befinden sich die am häufigsten benutzten Buchstaben in der mittleren Reihe, die sonst mit ASDF beginnt. Sein Layout erschien mir damals derart logisch, dass ich statt Hausarbeit zu schreiben, einfach das neue Zehnfingersystem lernte. Natürlich überzeugten mich auch ein paar Blogposts und YT-Videos. Ich verbrachte ungefähr zwei Wochen mit dem Üben. Das Schreiben war holprig und es fraß mehr Konzentration als eigentlich notwendig. Irgendwie schaffte ich es trotzdem die Hausarbeit mit dem Dvorak-System zu Ende zu bringen. Es dauerte deutlich länger als geplant, die Note lag unter meinem Schnitt, doch ich glaubte etwas für`s Leben gelernt zu haben.
Doch Dvorak zu lernen, um nicht schreiben zu müssen, war der erste große Schritt in eine Abwärtsspirale. Seit diesem Zeitpunkt kostete mich der Weg zur Tastatur immer eine kleine Überwindung, obwohl ich Dvorak relativ schnell blind beherrschte. Ich bin wirklich schneller als je zuvor, doch die methodische Verbesserung nahm mir die Leichtigkeit beim Schreiben. Ich glaubte sogar, ich würde das Schreiben hassen. Doch wie der Schriftsteller Truman Capote einmal meinte: “That’s not writing, that’s typing”. Zu Schreiben heißt kreativ zu sein, zu denken und sich auszudrücken. Dieses Spiel wollte ich effektiver machen, was absurd ist. Denken und Kreativität zu optimieren ist als ob man einem Pferd einen Verbrennungsmotor aufsattelt, damit es schneller wird.
Doch in den Jahren nach meinem Dvorak-Intensivkurs setzte sich dieses Muster fort. Jedesmal wenn eine wichtige Aufgabe anstand, beschäftigte ich mich mit technischen und methodischen Verbesserungen, statt mit der Aufgabe an sich. Prokrastination eben. Ein fataler Fehler. Entscheidend ist die Aufgabe anzufangen, und sie nicht durch angebliche Optimierung zu vermeiden.
Jetzt, in diesem Moment, schreibe ich auf meinem neuen Laptop. Ein Chromebook, wirklich schick. Natürlich suchte ich im Netz nach dem Dvorak-Layout, doch dann traf es mich: Wieso erneut eine Barriere zwischen mich und das Schreiben stellen. Warum nicht einfach lostippen, so wie mir die Finger gewachsen waren? Das habe ich mit diesem Text das erste Mal seit über zwei Jahren getan und es fühlt sich an, wie Freiheit.
Also, achtet auf eure vermeintlichen Selbstoptimierungen. Möglicherweise verschleiern sie nur das Aufschieben der wichtigen Dinge in eurem Leben.

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