Die Plastiksoldaten

in #deutsch5 years ago

https://younggerman.com/2019/01/28/die-plastiksoldaten/



 Gastbeitrag von Emil M. – Dresdner, Mitte 30. Diente bis 2018 als Soldat der Bundeswehr. 


 Kennen Sie die Plastiksoldaten aus dem Spielregal? Bestimmt tun Sie  das. Fast jeder Junge hat sie mal in der Hand gehabt. Sie sind meistens  grün oder grau, die Konturen sind ein wenig unscharf und die Gesichter  ziemlich zerknirscht. Ihre Uniformen sind fantasievolle Anlehnungen an  reale Soldaten, zeigen aber in der Regel weder Dienstgrade noch  nationale Symbole. Sie sind geschichtslose Figuren aus Kunststoff, die  für drei Euro pro Tüte im Sonderangebot in der Restekiste verkauft  werden. Ihre grünen Gesichter blicken stumm ins Nirgendwo und warten  darauf, dass sie in einer Rümpelkammer Staub ansetzen.2018 hatten  wir ausländischen Besuch in unserer Kaserne. Soldaten der NATO, die mit  bunt dekorierter Truppenfahne und Gesang geschlossen durch unsere  Kaserne marschierten. Sie hatten eine sehr individualisierte Uniform,  die die Tradition ihres Regimentes darstellte. Zu sehr will ich hier  nicht ins Detail gehen, um die Anonymität und meine Funktion dort und  damals zu verschleiern. Wenn Sie jedoch eine Vorstellung von den  britischen oder italienischen Regimentern haben, haben Sie eine gute  Ahnung wovon ich spreche. Im Gespräch mit den ausländischen Soldaten  erfuhr ich, dass die Mitglieder des Regiments eine militärische  Tradition pflegen, die Jahrhunderte zurückreicht und ungebrochen über  den Zweiten Weltkrieg, den Ersten Weltkrieg und bis in die  napoleonischen Kriege hineingeht. Ein ganzes Universum der miltärischen  Geschichte konzentrierte sich in dieser Einheit, deren heutige  Mitglieder eine lange Tradition gerne und freudig fortführten. 


 Ein Jahr zuvor war ich in Georgia, USA, wo ich einen Freund und  US-amerikanischen Kameraden besuchte, den ich im Einsatz kennengelernt  hatte. Ein Einsatzsanitäter, der vielen Menschen dort das Leben gerettet  hat. Ich bekam einen Einblick in die gut aufgebauten  Reservistenkameradschaften in den USA, die Clubhäuser für Veteranen, sah  Fotos von den Kasernen und von der Militärschule seines Sohnes, wo jede  Wand nicht nur mit Rüstungen europäischer Ritter verkleidet ist,  sondern glorreiche Panoramen vergangener Siege und großer Schlachten  zeigt. Die historische Bildung des Sohnes sei umfassend, wurde mir  erklärt.  Die Bilder vom jungen Mann in der militärischen Ausgehuniform  waren sehr schön anzusehen. Dass der Sohn lateinamerikansicher Migranten  in einer nordamerikanischen Armee diene, stört das Selbstverständnis  der Armee dort nicht. Denn die individuellen Heldentaten  lateinamerikanischer Soldaten in den Streitkräften der USA, genau wie  die aller anderen ganz unabhängig von ihrer Herkunft, sind großteils  bekannt. Die Kadetten befassen sich ausgiebig mit der Geschichte ihrer  Armee, ihres Landes und auch anderen Nationen. 


 Kurz vor meinem Dienstzeitende leerten sich unsere Kasernen und die  meist über viele Jahrzehnte hinweg gepflegten Vitrinen. Im Rahmen eines  Bildersturms blieb meines Wissens kein einziges Gebäude der Bundeswehr  vor den eifrigen Fingern der MAD-Kameraden verschont, die in Kooperation  mit den Kasernenkommandanten dann dafür sorgten, dass so gefährliche  und höchst bedenkliche Ausstellungsstücke wie Spielzeugmodelle von  deutschen Panzern des Zweiten Weltkrieges oder Rotkreuzfahnen aus der  Zeit von 1944-45 abgehangen und teilweise der Vernichtung zugeführt  wurden. Beim Gang durch meine Dienststelle, denn nichts anderes ist es  heute, standen die sowieso schon graublauen und weißen Hallen der  Kaserne größtenteils leer. Hier und da hängen einige Fotos von  gemeinsamen Aktionen im Verbund mit der NATO oder UN aus den Einsätzen  der Bundeswehr bis zum Jahr 1990. Eine Geschichte vor 1980, selbst die  Ära der deutschen Teilung, ist kaum noch zu finden. Die martialischeren  Poster dieser Zeit, die bei zwei Kameraden aushingen, wurden auf Drängen  des Zugführers ebenfalls abgehangen. 


 Der Kameradschaftsraum wird kaum noch betreten und dient lediglich  als Abstellkammer für sportliche Andenken älterer Herren, die zu den  hier dienenden Soldaten kaum noch einen Bezug haben. Am 03. Oktober des  Jahres gab es ein kurzes Antreten, bevor man uns in den Dientschluss  schickte. Ein Kamerad machte den Vorschlag, dass man vielleicht zum  Abschluss gemeinschaftlich noch die Nationalhymne singen könnte. Dazu  kam es nicht. Der Kompaniechef hatte es eilig und erklärte sich damit,  dass er seine Tochter abholen wolle. Wir haben dann nicht gesungen und  wurden mit einem lockeren «Bis Morgen Kameraden!» verabschiedet.Ich habe gerne bei der Bundeswehr gearbeitet. Der  Job war angenehm und  entspannt in den allermeisten Situationen. Die  Kollegen sprachen in angemessener Umgangssprache, waren aneinander  ansonsten mehrheitlich desinteressiert und die übergeordnete Führung  hatte bis auf einige Hauptmänner und andere Dienstgrade in der mittleren  Ebene sowieso nur die übliche Verachtung für die Angestellten übrig.  Viel anders als ein Job in der freien Wirtschaft ist das eben auch  nicht. Nur mit dem Unterschied, dass Geringqualifizierte sehr gut und  Hochqualifizierte relativ schlecht bezahlt werden. 

 Aber als «Dienst» würde ich das einfach nicht bezeichnen. Weder ist  dieser Dienst von der Mehrheit der Bevölkerung gewollt, noch kann man  ihn als einen solchen bezeichnen. Er hat weder Ethos noch Mystik.In  den Jahren habe ich mich mehr wie ein Plastiksoldat der Armee XY in  ZULU-CHARLY-Land gefühlt, als wie ein Dienender der Bundesrepublik  Deutschland. 

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