Die lokalen Globalisierungsverlierer gegen globales Bürgertum

in #deutsch6 years ago

https://younggerman.com/2018/12/14/die-lokalen-globalisierungsverlierer-gegen-globales-buergertum/



 Die Ironie der Weltgeschichte entgeht den meisten Bewertern des  Zeitgeschehens heute. Stünden wir mit dem Wissen von heute vor unseren  Vätern und von vor 50 Jahren und würden versuchen ihnen zu erklären,  dass es nach dem Ende des Kalten Krieges keinen Klassen- und  Ideologiekrieg zwischen Kapitalismus und Sozialismus geben würde,  sondern eine ideologische Synergie beider Kräfte, würde man uns wohl für  verrückt erklären. Daher wäre die These, dass der liberale, vor allem  einem rechten Bürgertum zugeordnete Kapitalismus des letzten und  vorletzten Jahrhunderts, sich linker bzw. extrem libertärer Elemente  bedienen könnte, unter damaligen Gesichtspunkten als Idee von  Schwachsinnigen abgetan worden. Die protestantische Ethik (Weber) des  Kapitalismus existiert nicht mehr. Sie bildete jedoch den Unterbau für  für die liberal-kapitalische Gesellschaft des 20. Jahrhunderts in den  USA und auch in Teilen Europas. Ihr Sieg nach dem Ende des Kalten  Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion, war jedoch nicht von  Dauer. Obwohl der klassische Marxismus-Leninismus gescheitert ist (mehr  als einmal!), hat die Ideologie in unterschiedlichsten Formen, heute vor  allem maskiert als eine Version des sogenannten Linksliberalismus,  überlebt. Es hat den Anpassungsschock, die große Katastrophe des  Systemzusammenbruchs überdauert und sich angepasst an die neuen  Verhältnisse. Nur noch besonders harte Ideologen, die aus der Zeit  gefallen sind, halten an den alten Formen von Marxismus-Leninismus fest.  Hingegen hat der sogenannte linke Liberalismus Massentauglichkeit  gewonnen. 


 Dabei hat dieser Liberalismus heute rein gar nichts mehr mit dem  Liberalismus von vor 50 oder 100 Jahren zu tun. Diesen verortet man  heute am rechten bzw. rechtsradikalen/rechtsliberalen Rand des  politischen Spektrums. Was die SPD vor 100 Jahren  sagte(Stichwort: Reichsbanner -Schwarz,Rot,Gold), würde sich heute kein  Politiker der AfD trauen auch nur zu denken. Viele Positionen der in  den 60er Jahren noch extremen Linken, finden sich heute bei den  angeblich gemäßigten Rechten und Zentrumsparteien. Ergo fand eine  ideologische Wanderbewegung statt, die das ursprüngliche  Koordinatensystem, mit dem leider in der Politikwissenschaft immer noch  gearbeitet wird, völlig untauglich für die Analyse gemacht hat. Eine  Menge der Ideen, die in den 1970er Jahren noch zum gesellschaftlichen  Konsens im Westen gehörten, beispielsweise traditionelles Rollenbild von  Mann und Frau, die Achtung von Fleiß und Pünktlichkeit sowie Akzeptanz  der Nation als sinnvollste Einheit, in der soziale Gerechtigkeit und  gesellschaftliche Anstrengung eine Chance auf Entfaltung haben, gelten  heute als überholt. Eine Meinung konträr zum heutigen Hauptstrom zu  vertreten, gilt beinahe schon als Gedankenverbrechen. Selbst die  angeborene Geschlechtsidentität als Basis eines menschlichen Lebens und  einer Persönlichkeit, das Minimum der Biologie, wird nicht mehr  akzeptiert. 

 Dieser Umkehr der Positionen auf dem politischen Koordinatensystem liegt  die Hybridisierung von einem mittlerweile atheistischen Liberalismus  und eines neuen, kulturell definierten Marxismus zu Grunde, der nicht  nur, aber auch von Personen wie Jean-Paul Charles Aymard Sartre, Herbert  Marcuse, Theodor Adorno und Jürgen Habermas usw. geprägt wurde. Diese  neue Synergie hat auch eine neue Klasse als Projektionsfläche ihrer  Ideen. Eine Klasse, die zwar bürgerlich ist und im goldenen Käfig wohnt,  sich aber kulturell nicht über einen tradierten Konservatismus, sondern  über pseudo-religiöse Ideologie von Humanismus und kulturrevolutionärer  Rhetorik definiert. Sie lebt rechts, redet aber links.  Auch ihr Subjekt ist nicht mehr der Arbeiter des eigenen Volkes, der  sowieso eher konservative Positionen vertritt und heute weiter rechts  steht, als das Bürgertum selbst. Das neue Subjekt ist ein globales,  multinationales Proletariat («die Edlen Wilden: Jean-Jacques Rousseau»  ), das ist keinem realen Zusammenhang mehr mit der eigenen Nation oder  dem ursprünglichen Staatsvolk steht. Erkennbar wird dies unter anderem  am raschen Absterben der Sozialdemokratie in Europa, die sich immer auf  die Fahne schrieb (fälschlicherweise), dass sie der Vertreter der  Arbeiterklasse sei, was sie nie wirklich war.  Diese Wahrheit dringt langsam auch zum Wahlvolk durch, das die SPD und  andere Sozialdemokraten im Westen endlich für den kaum versteckten Ekel  abstraft, den dieses linke Bürgertum in Verkleidung genossenschaftlicher  Arbeitervertreter, ihren eigenen (mehrheitlich) weißen Wählern  entgegenbringt


 Die Klasse der Globalisierungsverlierer, gerne auch als  «Dunkeldeutsche» bezeichnet, ist als eigene Klasse zu definieren,  wenngleich nicht alle aus den üblichen Arbeiter- und Bauernfamilien  kommen. Am Beispiel von Frankreich sehen wir es am Aufstand der  Gelbwesten, die in einem guten Beitrag von Sezession treffend als die  Menschen aus dem «peripheren Frankreich» bezeichnet werden. Also all jene, die nicht zu denen gehören, die nicht im 8. Arrondissement  oder in einer schicken Neubauwohnung mit Jugendstilelementen im  Eingangstor in Prenzlauer Berg wohnen. Jene, die sich nicht als  Weltbürgertum betrachten können, weil sie nicht an die Reise nach Bali  oder Tunesien denken, sondern nur daran wie sie die Rechnungen am Ende  des Monats bezahlen können.Populistische (im positiven  Sinne) Parteien, die sich dauerhaft etablieren wollen, müssen einen  starken sozialpatriotischen Flügel haben und sollten nicht den Fehler  begehen, sich nur auf ein elitäres, aber liberakonservatives Bürgertum  zu stützen, das sich demographisch («Deutschland schafft sich ab») auf  dem absteigenden Ast befindet. Langfristiger Erfolg wird nur gelingen,  wenn das tradierte Bürgertum mit den liberalkonservativen Ideen und die  entfremdete Klasse der einstigen Arbeiter, vergrößert und  zusammengefasst als Globalisierungsverlierer, in einer Partei Platz  finden und die Interessen beider Seiten zusammengeführt werden. Kurz:  Die AfD braucht beide Flügel, um abheben zu können. 



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