Muss Demokratie wirklich Diktatur auf Zeit sein ?

in #deutsch5 years ago

Dies ist eine Frage, die ich mir stelle nachdem ich die Art & Weise der Wahlen hier auf Steemit kennengelernt habe.
Momentan ist es (in Deutschland) ja so, dass man einen neuen Bundestag wählt und die gewählten Repräsentanten dann vier Jahre machen können was sie wollen, also eigentlich eher eine Diktatur auf Zeit als eine wahre Demokratie.
Da wäre es doch eine interessante Idee z.B. bei der nächsten Bundestagswahl 2021 seine Stimme online abgeben zu können, so dass diese gespeichert würde und man sie jederzeit ändern könnte, z.B. wenn einem die Regierungsarbeit der gewählten Partei nicht gefällt oder man auch eine andere Partie gut findet.

Aus meiner Sicht wäre dies wirklich gelebte Demokratie, man könnte die Zusammensetzung des Bundestages ja wöchentlich gemäß dem aktuellen Stand ändern (z.B. Stand Sonntag Abend 18:00 Uhr = Zusammensetzung für die folgende Woche Montag bis Sonntag). Die Politiker müssten sich dann ständig um die Bürger kümmern und nicht nur alle vier Jahre einen kurzen Wahlkampf führen.

Zu guter Letzt würde eine Bundestagswahl, die ja mit hohen Kosten verbunden ist und auch die Umwelt belastet, man denke nur einmal an die vielen Millionen Stimmzettel, dadurch überflüssig, denn es wäre ja ständig Bundestagswahl.

Was denkt ihr darüber ?
Findet ihr den Vorschlag gut ?
Habt ihr andere (bessere) Ideen ?

Sort:  

Was denkt ihr darüber ?

Die Idee hat durchaus ihren Reiz, aber es gibt auch stichhaltige Gegenargumente.

Einer der Gründe, weshalb China so erfolgreich ist, liegt m. E. darin, langfristige strategische Pläne umsetzen zu können. Sind die Ziele einmal gefasst werden sie konsequent umgesetzt, selbst wenn sich so ein Projekt über viele Jahre erstreckt (chinesisches Raumfahrtprogramm, die Entwicklung eigener Passagierjets, große Bauprojekte etc.).

Ich habe den Eindruck, dass sich Politiker hier in Deutschland oft nicht mehr wirklich trauen, zu einmal gefassten Entschlüssen zu stehen, wenn sie bemerken, dass sich die Stimmung im Volke dreht.
Jetzt könnte man natürlich sagen "Ja und, genau so soll es doch auch sein! Wenn dem Volk etwas nicht mehr gefällt wird es eben nicht gemacht!"
Prinzipiell ist dieser Standpunkt nachvollziehbar, aber man denke an das Gerangel um den Atomausstieg (das ist nur ein Beispiel unter vielen möglichen). Beschloss die rot-grüne Regierung bereits 2001 einen möglichst raschen Umstieg auf alternative Energiequellen, wurden im Jahr 2010 von CDU und FDP die Laufzeiten der Atomkraftwerke wieder verlängert. Nach dem Unglück von Fukushima wurde dann der endgültige Ausstieg beschlossen.
Egal ob man einen möglichst schnellen Atomausstieg nun befürwortet (so wie ich) oder nicht, ist ein ständiges Hin und Her auf jedenfalls kontraproduktiv: Wenn man aussteigt, sollte das in konsequenter Weise erfolgen, samt flächendeckender Installation leistungsstarker Stromspeicher und dem Aufbau der nötigen Stromleitungsinfrastruktur. Setzt man dagegen auf Atomkraft, sollte man auch darin konsequent sein, die Sicherheit verbessern und den technologischen Fortschritt vorantreiben.

Bei allen Vorteilen, die es mit sich bringt, Regierungen abwählen zu können, wirken sich daraus resultierende mangelnde Zielstrebigkeit und fehlender Mut, sich langfristig positiv auswirkende Pläne umzusetzen, sofern sich vorübergehender Widerstand formiert, häufig negativ aus.

Edit: Mir fällt dazu an dieser Stelle gerade noch der auf das Schachspiel bezogene Spruch Kasparovs "Lieber ein schlechter Plan als gar keiner." ein.

Dieses Problem, keine langfristigen Ziele mehr umsetzen zu können, könnte bei Realisierung deines Vorschlags (häufiges Politiker auswechseln) noch deutlicher zutage treten ...

Natürlich stünde meinen Bedenken auf der Positivseite der Vorteil besserer Kontrolle der Politiker (und ihren Leistungen) durch den Wähler gegenüber ...

Vielen Dank für Deinen sehr konstruktiven Kommentar. Ich gebe eine Sache zu bedenken: In allen Aktiengesellschaften oder auch allen eingetragenen Vereinen finden jährlich Versammlungen statt, wo die Aktionäre bzw. die Vereinsmitglieder den Aufsichtsrat (der bei einer Aktiengesellschaft den Vorstand bestimmt) bzw. Vorstand abwählen können. Trotzdem sind Unternehmen und Vereine oft sehr viel zielstrebiger als unsere Politiker. In allen eingetragenen Vereinen ist es sogar so, dass ein Teil (dies ist von Verein zu Verein unterschiedlich, aber immer deutlich weniger als 50%) der Mitglieder eine außerordentliche Mitgliederversammlung erzwingen kann bei der dann auch der Vorstand abgewählt werden kann. Also es gibt in Aktiengesellschaften und auch Vereinen viel mehr Möglichkeiten der Aktionäre / Vereinsmitglieder Einfluss zu nehmen als in der Politik.

Ich sehe zwei große Probleme.

  1. Digitale Wahlen lassen sich leicht manipulieren.

Es ist um Welten leichter eine digitale Wahl zu manipulieren als bei einer klassischen Papierwahlen.

  1. Starke Fluktiuationen

Das Problem, wenn sich der Bundestag alle sieben Tage neu zusammensetzt ist die Regierungsbildung. Es braucht Zeit eine Regierung aufzustellen, sich in die Materie einzuarbeiten und ein Gesetz oder sonstiges Vorhaben durch alle Instanzen zu bringen. Eine gewisse Beständigkeit erlaubt es auch langfristige und ausgewogene Entscheidungen zu treffen.
Stellen wir uns z.B. vor, es wird an einer Regelung für die Krypto-Besteuerung gearbeitet und an einem Gesetz das eine intelligentere Steuerung des , nach drei Wochen ist die Bevölkerung mit dem groben Vorhaben einer Geschwindigkeitsbegrenzung unzufrieden und wählt die Regierung ab. Am Ende agiert die Regierung nicht mehr, sondern reagiert nur noch und Internationale Partner und Unternehmen scheuen sich vor Investitionen und Kooperationen, da man nie weiß wer nächste Woche an der Macht ist.

Digitale Wahlen lassen sich leicht manipulieren.

Mittels Blockchaintechnologie dürfte dieses Problem lösbar sein (das Wahlgeheimnis bliebe durch Pseudonymisierung gewahrt).

Zu 1: Bei klassischen Wahlen gab es auch bereits genug Manipulationen. Ich stelle es mir eher schwer vor ein Ergebnis zu manipulieren, wenn ich jederzeit meine Wahlentscheidung ändern (und somit auch einsehen) kann. Bei einer klassischen Wahl weiß ich nicht was mit meinem Stimmzettel passiert nachdem ich ihn in die Urne geworfen habe - wird er ausgezählt (auch für die Partei die ich angekreuzt habe) ? Geht er vielleicht verloren oder wird weggeworfen ? Wie will ich das kontrollieren ?

Zu 2: Dies ist natürlich Spekulation, aber ich denke, dass sich die wöchentlichen Fluktuationen stark in Grenzen halten, da wird mal ein Sitz hin- und hergeschoben, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Partei 100 Sitze in einer Woche gewinnt oder verliert. Vielleicht wird dann endlich auch einmal die tatsächlich bei der Wahl erzielte Mehrheit eine Regierung bilden und nicht wie bei vielen Landtagswahlen eine Minderheit, z.B. Hessen CDU 27,0% + Grüne 19.8% = 46,8%, d.h. 53,2% haben gültig etwas anderes gewählt oder Bayern CSU 37,2% + Freie Wähler 11,6% = 48,8%, d.h. 51,2% haben gültig etwas anderes gewählt um nur einmal die letzten beiden Landtagswahlen zu nennen. Dies sind noch nicht einmal die außergewöhnlichsten Beispiele, so haben in NRW CDU und FDP z.B. sogar nur 45,6% und bilden die Regierung.

Zu 1. : Sie fallen nur auf. Wenn man glaubt das die Wahlhelfer betrügen, kann man jederzeit an der Auszählung teilnehmen, ein Recht das aber wenige Bürger wahrnehmen.
Das große Problem daran, wenn man jederzeit seine Wahlentscheidung einsehen kann, ist das dadurch die Wahl nicht mehr Geheim ist, wodurch ein wichtiger Grundsatz unseres Systems nicht mehr gelten würde.
Außerdem haben elektronische Systeme eine viel höhere Anfälligkeit für Wahlmanipulationen, es gibt gute Gründe warum sie in Deutschland nicht verwendet werden, in diesem Zusammenhang hoffe ich zwar das sich die Blockchain als ein Hilfsmittel für eine Lösung einsetzen lässt aber von einem sicheren System sind wir weit weg.

Zu 2. kommt später eine Antwort, muss noch ein paar Quellen durcharbeiten für meine Antwort.

"Sie fallen nur auf. Wenn man glaubt das die Wahlhelfer betrügen, kann man jederzeit an der Auszählung teilnehmen, ein Recht das aber wenige Bürger wahrnehmen."

Also dazu wollte ich doch sofort etwas sagen: Es liegt mir sehr fern zu sagen, dass die (ehrenamtlichen) Wahlhelfer betrügen würden. Ganz sicher sind das zu 99,99% ehrliche Leute, aber die 0,01% die bleiben können im Zweifelsfall auch eine Wahl (wenn es knapp ist) entscheiden. Bei uns im Nachbarort z.B. hat bei der letzten Bürgermeister der amtierende Bürgermeister mit einer einzigen Stimme Vorsprung gewonnen, da wären schon zwei unter den Tisch fallen gelassene Stimmzettel für den anderen Kandidaten wahlentscheidend. Selbstverständlich will ich jetzt aber nicht sagen, dass dort irgendetwas passiert wäre - ich hoffe (und denke), dass alles korrekt abgelaufen ist und die eine Stimme Vorsprung (wohl seine eigene) eben der Unterschied war, der entschieden hat.

"Das große Problem daran, wenn man jederzeit seine Wahlentscheidung einsehen kann, ist das dadurch die Wahl nicht mehr Geheim ist, wodurch ein wichtiger Grundsatz unseres Systems nicht mehr gelten würde."

Das ist eine Aussage von Dir.
Ich sehe es eher als Frage, also kann man sicherstellen, dass eine Wahl auch dann geheim ist wenn sie elektronisch gespeichert wird ?
Ich meine es gibt durchaus schon viele Stellen wo Daten gespeichert werden und diese geheim bleiben (sollen). Z.B. hat der Staat (aber auch Krankenkassen, Rentenversicherungsträger o.ä.) einiges über mich gespeichert was (hoffentlich) geheim bleibt.
Aber Du hast natürlich Recht wenn Daten vorhanden sind ist es immer die Frage, ob so etwas geheim bleiben kann oder ob doch irgendjemand (illegal) darauf zugreift. Dieser Punkt ist beim Wahlzettel natürlich sicherer, wobei theoretisch auch dort eine Kamera irgendwo versteckt sein könnte, die aufnimmt was die Leute ankreuzen. Also man muss sich auch bei einer klassischen Wahl darauf verlassen, dass die Geheimhaltung funktioniert.

Die Entwicklung des Wahlsystems, das wir jetzt haben, hat ja schon im 19. Jahrhundert (oder sogar im 18.?) begonnen. Da sind also schon einige Konstellationen durchlaufen worden.
Auch läßt Du außen vor, daß es nicht nur eine Legislative, sondern auch eine Judikative gibt.
Viel inhaltliche Vorarbeit wird von Stabsmitarbeitern gemacht. Vielleicht sollte man eher diese ab und zu austauschen? Nee, eigentlich auch nicht. Wie sehr so ein Verhalten den Regierungsapparat schwächen kann, sieht man an den USA.
Ein Bundestagsmandat zu haben, bedeutet mehr als das Herumsitzen bei Debatten, Gremien, Teamsitzungen, darüber haben einige jüngere Politiker gebloggt (oder sich mal einen Tag filmen lassen).

Ich traue Wahlcomputern auch nicht.

Ja damals gab es keine Möglichkeit eine Wahl Papierlos durchzuführen.
Es sollte ja kein Wahlcomputer im klassischen Sinne sein, sondern eine Plattform auf der man wählen kann und die Wahlentscheidung revidieren kann, wenn man feststellt, dass diejenigen die man gewählt hat einen doch nicht so vertreten wie man es gewünscht oder geglaubt hat. Ich denke auch nicht, dass eine enorme Zahl ständig ihre Wahlentscheidung ändern würde, sondern die große Masse würde einmal wählen und das dann ewig stehen lassen denke ich.

Die parlamentarische Demokratie (Diktatur auf Zeit) ist ein Kompromiss bzw. ein Etikettenschwindel.

Echte Demokratie mit wirklichem Mitspracherecht würden die Machthaber (die Wirtschaft und mit Ihnen die Superreichen) in keinem Land der Welt zulassen. Selbst die Schweiz mit ihren gelegentlichen Volksentscheiden, wird doch schon misstrauisch beäugt.

Ich habe vor Kurzem mal folgendes geblogt: https://steemit.com/deutsch/@gernfried2000/parlamentarische-demokratie-soziale-marktwirtschaft-eckige-kreise

liebe Grüße
gernfried2000

Danke für Deinen Kommentar !
Werde mir Deine Beitrag auch gleich mal durchlesen und vielleicht meinen Senf dazu geben.
Ja die Schweiz ist vorbildlich was direkte Demokratie angeht.
Ein gutes Beispiel ist die Schweizer Bundesbahn. Wenn die etwas braucht muss sie nicht irgendwo hin betteln gehen, sondern sie bringt das als Volksentscheid ein und die Erfahrung zeigt, dass die Bahn bei allem was sie beantragt sehr große Zustimmung erfährt und zumeist mehr als 70% der Schweizer der Bahn gerne die Mittel zur Verfügung stellen. Das führt z.B. dazu, dass in der Schweiz fast jeder Bahnhof besetzt ist und man dort auch mal auf die Toilette gehen kann, was man hier in Deutschland ja nur bei den größten Bahnhöfen noch tun kann.

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