Dreier im Bad. Vorm Spiegel. Eine kleine Phantasophie. Mit Anmerkungen des Verfassers (Comment).

in Deutsch Unplugged3 years ago

Dreier im Bad. Vorm Spiegel.

Neulich war’s mal wieder soweit: One-morning-stand. Mit dabei: Meine Schwester Mnemosyne, genannt Syne. Manchmal auch verspottet als Schuld-und-. Sie ist eine nachtragende Mimose, aber das sage ich nicht weiter. Und natürlich unser ungeliebter Eindringling und heimlicher Gast, El Capitane Nihiliste.

Elcapini musste sich wohl schon in der Nacht etwas vorbereitet haben, so schnell war er in Syne eingedrungen. Sie wimmerte. Aber als ich versuchte, ihn von hinten bei den Eiern zu packen, wandte er sich mir abrupt zu und knurrte: „Träum nicht mal davon. Dich mach ich fertig.“ Dann legte er los:

„Du bist genauso eine Mimöse wie deine nichtsnutzige Halbschwester. Vom Sinn des Lebens hast du keine Ahnung, fantasierst dir alles herbei. Sinngebung! Dass ich nicht lache!“ Er deutete an, dass er das Lachen von Bröckchen meinte, auch bekannt als Reihern. Instinktiv schützte ich meine Blöße. Zu spät, er war schon drin in mir. Bis unter die Schädeldecke spürte ich seine Argumente. „Glauben? Wenn du etwas wirklich glauben willst, dann, dass die Welt schlecht ist. Aber glücklicherweise vergänglich. Das ist doch immerhin ein Trost. Gottheit? Ein Konstrukt der Menschheit. Menschheit? Eine Fehlgeburt der Evolution.“

Statt etwas besseres zu tun, hielt Syne mir von hinten die Augen zu und wisperte in mein linkes Ohr: „Ich muss gleich heulen. Immer wieder nimmst du mir den Kerl weg. Er ist der einzige, der mich…“ Und sie biss so kräftig zu, dass mir die Tränen in die Augen traten. Der Spiegel verschwamm vor meinem Blick, und Elcapini setzte nach: „Es gibt keine Gottheit außer Lanatura. Sie ist in allem, auch in mir. Auch in dir. Auch in Syne. Syne wofür? Es gibt keine Schuld. Wir sind eins. Eins mit ihr, sie mit uns. So war es immer, so wird es bleiben.“

Ich presste die Augen zusammen und auch die Schenkel. Als ich die Augen wieder aufriss, schaute ich im Spiegel die wahre Wirklichkeit. El Nihiliste war ein Gebirgswald-Nebel. Eine Wolke. Syne eine utopisch-tropische Pflanze. Ich ein winziges Licht des Bewusstseins in einem riesigen Dschungel voller Geheimnisse. Aber er hatte meinen Blick bemerkt und lachte niederträchtig: „Chaos! Darf ich bekannt machen?“ Mit Leichtigkeit hob er mich vom Boden hoch, drehte mich im Stehen auf den Kopf, steckte mir gekonnt schlüpfrig seine Faust ins Gedärm und fragte in betont leutseligem Ton: „Soll ich dir zeigen, was ich mit Nietzsche gemacht habe?“

„Du Wicht!“, schrie ich. „Die unbedingte Forderung, die Freiheit des Willens, das umgreifende Band der Vernunft! Die alle willst du ins Vitalächerliche ziehen? Als Triebe zur Macht und deren vergebliche Sublimation? Wo hast du denn dann reden gelernt, du sinnloser Tor?“ Noch mehr hatte ich sagen, schreien, schmettern wollen, doch Elcapini stopfte mir phallisch den Mund, dass es mich würgte, indem er nur raunte: „Niemand redet hier außer dir, und selbst du redest nicht. Du träumst vor dich hin, du hast eine Illuvision, es gibt doch nichts außerhalb deiner betawelligen Hirnströme. Schau in deinen Spiegel!“

Das Grauen befiel mich, als ich es tat. Im Spiegel erblickte ich Augen, die leer liefen. Meine eigenen Augen. Ein wohliges Selbstmitleid schaute mir zu beim Verlust meiner Sehkraft. Syne kroch mir unter meine Haut, räkelte sich wohlig und melancholisch, hob meine linke Hand und schrieb mit meinem kleinen Finger auf das Glas. Während ich es zu lesen versuchte, wusste ich schon, dass sie meinen Namen schrieb. Mit dem Blut aus meinem linken Ohrläppchen schmierte sie die Buchstaben hin. Kurz bevor ich erblindete, sah ich noch, dass die meisten seitenverkehrt waren. Nur A und O blieben, wie sie waren. Aus dem X formte sie ein V oder U.

Da fiel mir Barni ein, mein Lieblingsnihilist, der mir auch einen Biss weit das Ende des Alphabets hatte verdrehen wollen, und mit dunkelblinden Augen sah ich jenes Gedichtlein vor mir, welches ich ihm zur Antwort gegeben hatte:

[Okay, sorry, ich finde es gerade nicht. Stattdessen setze ich hier ein anderes Textlein rein, was sich thematisch ungefähr passend anfühlt. Für mich. Im Moment.]

„Kinnwall“ Kürpflicht

Ich höre
Tu was du kannst
Und ich höre
Tu was du willst

Ich frage
Kannst gleich willst plus vermagst
Und ich frage
Willst gleich kannst und möchtest

Ich frage
Willst von dem was du kannst
Kannst von dem was du willst
Und ich spüre diese
Schnittmengen als Willkür ohne Kannpflicht
Ich kann was ich will und
Ich will was ich kann
Als Vollkommenheit einer Allmacht

Ich höre frage spüre
Also schrumpfe ich
Zurück in die Falten
Meiner eigenen Haut
Suche zum Tuwas
Einen Ja-Funken
Stehe einfach auf
Hebe keine Welt zurück
In ihre Angeln
Gehe einfach einen Schritt
Einen einzigen
Einen
Ein
Zi
Gen

(ty-ty 2015)


Ich musste über mich selber lachen und fand darin meinen Glauben wieder. Wieso war ich nicht eher darauf gekommen – noch war ich nicht verloren! Weder an Synes Mimosen-Welt noch an Sofies abgeleitete Denk-Welt noch an die Diktatur des Nihihihi. Unter der Dusche erholte ich mich nach und nach vom morgendlichen Dreier, zog mir einen Bademantel über und legte mich behutsam neben meine sanft schlafende Gefährtin. Die unbedingte Forderung wartete auf mich. Wie jeden Tag. Geduldig. Die Freiheit des Willens kommt aus dem Entschluss, nicht aus der Willkür, flüsterte ich mir zu.


DSC_0357.JPG

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Ich musste 2 1/2 x lesen und so einiges nachschlagen. Ich spüre immer noch die Denkvibrationen im Hirn. Am Ende sagst Du: "Die Freiheit des Willens kommt aus dem Entschluss, nicht aus der Willkür..."

Da denke ich dann wieder darüber nach, was hat mich zum Entschluss gebracht und sind dies wirklich eigene Anteile oder sitzen da noch andere an meinem Ohr und flüstern leise herum? Nun, herzlichen Dank, jetzt brauche ich ein wenig leichte Musik und einen Kaffee. Saludos

 3 years ago 

Hachja, mir kommen bei sowas auch immer gleich Gedichte an den halb geschließerierten ÄugelEinen vorbei gezogeriert, ja, ein Phänomen , .. .

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 3 years ago 

Anmerkungen:

  1. Es geht hier um das Ich selbst, keine anderen Personen sind gemeint. Es geht um die Auseinandersetzung mit der eigenen Mimosigkeit und dem eigenen Nihilismus.
  2. Der mehr sachliche Post zum selben Thema folgt vielleicht noch.

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 3 years ago 

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