Buchbesprechung: Der philosophische Glaube (Karl Jaspers)

Der philosophische Glaube (Karl Jaspers)

„Während Dämonologie und Menschenvergötterung einen Glaubensersatz bringen, heißt die offene Glaubenslosigkeit der Nihilismus. Er wagt es, aufzutreten ohne Verkleidung. Alle Glaubensinhalte sind ihm hinfällig geworden, alle Auslegungen der Welt und des Seins hat er als Täuschung entlarvt, alles ist ihm bedingt und relativ, es gibt keinen Boden, kein Unbedingtes, kein Sein an sich. Alles ist fraglich. Nichts ist wahr, alles ist erlaubt.“ (S. 103/104)

Diese Worte fielen 1947 in einer Philosophie-Vorlesung in Basel. Es war die fünfte von sechs Vorlesungen zum Thema „Der philosophische Glaube“, verfasst und vorgetragen von Karl Jaspers. Als Buch wurde diese Vorlesungsreihe erstmals publiziert in 1948, bis heute gibt es davon mehrere Auflagen. Mir liegt eine Taschenbuchausgabe vor aus dem Jahr 2012, damals angeboten zum Preis von 8,99 € (heute 12,00 €).

Gelesen habe ich die eingangs zitierten Sätze allerdings schon gut zehn Jahre früher, denn sie sind auch enthalten in einem Jaspers-„Lesebuch“, welches mich bereits länger beschäftigte; darüber ein andermal.

Im Zusammenhang mit dem Vorher und Nachher von Jaspers’ Ausführungen wurde mir klar, dass Nihilismus eine Art Tumor, ein Krebsgeschwür in meinem Denken ist. Er nährt sich nicht etwa nur aus trüben Stimmungen und depressiven Anwandlungen, sondern auch aus Mutlosigkeit und Frustration, aus vergeblichem Bemühen, Sinn zu stiften. Er nährt sich aus dem Versuch, mich selbst zu immunisieren gegen das Virus der Hoffnungslosigkeit. Und nicht zuletzt nährt er sich daraus, dass es mir schwer fällt, mein Nicht-Wissen zu akzeptieren, es zwar mit Wissen ein wenig durchdringen zu können, aber als Nicht-Wissender leben zu müssen. Da scheint es einfacher, all das für Illusion zu halten.

Wie ich auf Karl Jaspers aufmerksam geworden bin, durch wen oder wodurch, das weiß ich nicht mehr. In den Neunzigern des vorigen Jahrhunderts (klingt cool, oder?) hatte ich mich – von der germanistischen Linguistik her kommend – mit Sprachphilosophie beschäftigt, mit der Sprechakt-Theorie, mit Wittgenstein und mit Habermas. „Herrschaft durch Sprache durch Herrschaft über Begriffe“, ein politisches Thema, stand teilweise dahinter. Aber mehr noch mein ureigenstes Interesse am Zusammenhang von Sprache und Welt. So etwas führt eigentlich eher in die Semantik, Semiotik und Erkenntnistheorie, doch von dort kam ich gerade her. Vermutlich hat mich Karl Poppers „Offene Gesellschaft und ihre Feinde“ dann auf Kant und von dort auf Jaspers gebracht. „...Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit…“!

Unter diesen Wahlspruch der Aufklärung lässt sich so ziemlich das ganze Lebenswerk von Karl Jaspers stellen. (Ich kenne davon nur etwa ein Viertel, aber es gibt ja Gewährsleute, die da einen gesamten Überblick haben.) Mag im achtzehnten Jahrhundert eine kirchlich-religiös geprägte Weltanschauung dem Projekt der Aufklärung, der Selbstbefreiung aus überkommenen Meinungen, in den Weg getreten sein, so ist es seit dem neunzehnten Jahrhundert zunehmend und im zwanzigsten Jahrhundert kräftig die mehr oder minder reflektierte Glaubenslosigkeit, welche aus dem Scheitern der Ideologien und Weltbilder hervorging.

Dieser Glaubenslosigkeit hält Jaspers den „Philosophischen Glauben“ entgegen. In sechs Kapiteln, ehemals Vorlesungen, zusammen 136 Seiten Text (recht kleinen Drucks) umfassend, entwickelt Jaspers seine Philosophie unter dem Aspekt des Glaubens.

„Der philosophische Glaube ist für Jaspers gleichsam die Sinnbasis der menschlichen Existenz. Man würde Jaspers missverstehen, wenn man den philosophischen Glauben bloss als eine kontemplative Einstellung angesichts von erlebten Krisen- und Grenzsituationen auffassen würde.“
https://jaspers-stiftung.ch/de/karl-jaspers/der-philosophische-glaube

Die sechs Vorlesungen stehen unter folgenden Kapitel-Überschriften, die ich hier wiedergebe, um den Gedankengang ein wenig durchscheinen zu lassen:

Erste Vorlesung: Der Begriff des philosophischen Glaubens
Zweite Vorlesung: Philosophische Glaubensgehalte
Dritte Vorlesung: Der Mensch
Vierte Vorlesung: Philosophie und Religion
Fünfte Vorlesung: Philosophie und Unphilosophie
Sechste Vorlesung: Die Philosophie in der Zukunft

Mein Eingangs-Zitat stammt wie bereits erwähnt aus der fünften Vorlesung, „Philosophie und Unphilosophie“. Die Wortschöpfung „Unphilosophie“ halte ich für bemerkenswert und aufschlussreich.

Hier gebe ich noch einen kleinen Passus aus einem Roman, in dem ich zum ersten Mal bewusst mit dem Nihilismus konfrontiert worden bin, weil er so klar und deutlich charakterisiert auftritt:

„Schau mal“, gurgelte die Morla, „wir sind alt, Kleiner, viel zu alt. Haben lang genug gelebt. Haben zu viel gesehen. Wer so viel weiß wie wir, dem ist nichts mehr wichtig. Alles wiederholt sich ewig, Tag und Nacht, Sommer und Winter, die Welt ist leer und ohne Sinn. Alles dreht sich im Kreis. Was entsteht, muss wieder vergehen, was geboren wird, muss sterben. Hebt sich alles auf, das Gute und das Böse, das Dumme und das Weise, das Schöne und das Hässliche. Ist alles leer. Nichts ist wirklich. Nichts ist wichtig.“

(Michael Ende, Die unendliche Geschichte, S. 59)

Zum Abschluss der Link zu dem herausragenden Wikipedia-Artikel über Karl Jaspers und sein gesamtes Werk (keine leichte Kost, da sehr komprimiert):
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Jaspers

Und hier geht es zum Buch:
https://www.piper.de/buecher/der-philosophische-glaube-isbn-978-3-492-30017-9

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