Tusheti Road: die gefährlichste Straße der Welt?

in #deutsch6 years ago


Nach einem typisch georgischen, sehr sättigenden Frühstück verließen wir die Stadt, voll bepackt mit Lebensmitteln, Trinkwasser, vollen Tanks und 6l zusätzlichem Sprit im Benzinsack. Wir machten uns auf gen Tuschetien, einer angeblich völlig isolierten, wilden und ursprünglichen Region Georgiens, in der es weder Geschäfte noch Tankstellen gibt.

Der 100km lange Weg dorthin führt über den Abano Pass, den höchsten befahrbaren Pass des Kaukasus mit 2950m. Über diese „Tusheti Road“ hatten wir im Vorfeld schon sehr sehr viel gehört und gelesen. Die britische BBC führt die Straße als eine der gefährlichsten Straßen der Welt, auf anderen Hitlisten soll es die drittgefährlichste Straße der Welt sein. Alle, wirklich alle Reisende, die dort waren und uns berichteten, hatten Horrorgeschichten zu erzählen:

  • 12 Stunden Fahrtzeit für 100km
  • Viele Stürze
  • Unglaublich gefährlich
  • Wahnsinnig schwer zu fahren
  • Ganz grobe Steine
  • Sehr steil
  • Unvorstellbar enge Kehren
  • Felsstufen in den engen, steilen Kehren
  • Viel Geröll
  • 5 Flussdurchfahrten
  • Kein Platz für Gegenverkehr
  • 2000m Abgrund

Auch „berühmte deutsche Motorradreisende“ sind auf dieser Strecke mehrmals gestürzt. Ich hörte seit Monaten diese Geschichten und hatte Angst. Angst, den Abhang hinunter zu fallen. Angst, das Fahrkönnen nicht zu haben. Angst, vom Gegenverkehr umgefahren zu werden. Angst, von der Strömung der Flüsse mitgerissen zu werden. Angst, in Steinstufen bergauf zu stürzen. Angst, mit fehlender Leistung in der Höhe mit Pet nicht genug motorisiert zu sein. Angst, nicht genug Benzin zu haben, weil „hier geht es nicht um Verbrauch pro 100km, sondern pro Stunde“. Angst, Angst, Angst!

Jan war der einzige Mensch, der nach jeder Angstgeschichte anderer Reisender sicher wusste, dass wir keine Probleme haben würden. Doch wie sollte ich ihm glauben, da er ja noch nicht da war? Ziemlich aufgeregt ging es die ersten Kehren bergauf. Und komisch, da war kein Problem. Meine anfängliche Verspannung löste sich, aber ich war misstrauisch: da kommt doch ganz sicher noch was? Irgendeine zu hohe Steinstufe, irgendeine zu enge, zu steile Kehre, irgendein zu reißender Fluss, irgendein unpassierbares Geröllfeld?

Es kam: nichts. Ja, die Straße ist sehr steil, ja, es gibt einige Steinstufen, Felsen, Geröllpassagen. Ja, die Kehren sind sehr eng und steil, ja, es geht 2km über die Kante abwärts und ja, man bekommt nasse Füße. Die „Flüsse“ entpuppten sich allerdings als nur 2-3m breite fröhlich sprudelnde Bäche und unsere Fahrtzeit betrug ab Telavi nur 4 Stunden – inklusiver vieler Fotostopps. Die Landschaft entlang der 100km ist atemberaubend schön, der Blick in den 2km tiefen Abgrund verschlägt einem die Sprache, die herbstlichen Farben der Blätter, Blüten, Hagebutten und Vogelbeeren wirken wie ein Gemälde. Wunderschön!

In Omalo angekommen konnte ich immer noch nicht glauben, dass wir diesen Pass tatsächlich so entspannt bezwungen hatten. Wir trafen ein sehr nettes Schweizer Pärchen mit einem Mitsubishi L300 Bus, die auch über die ganzen Gruselgeschichten über die Strecke lachten. Wir verstanden uns auf Anhieb und schlugen gemeinsam unser Nachtlager auf einer Anhöhe auf.

Ich war enttäuscht von Tuschetien. Die Region soll wild und rau sein, jedoch sah es dort aus wie im Schwarzwald: Hügel, Nadelwälder, Kühe und Schafe. Die schroffen Berge mit schneebedeckten Zinnen im Hintergrund in Dagestan und die 1800m Höhe passten nicht ganz in den Schwarzwald, aber grundsätzlich hatte ich mir die Landschaft ganz anders vorgestellt. Außerdem gab es vollen Ausschlag auf dem Handy: LTE Netz! Sieht so eine wilde, abgeschottete Region aus? Das gibt’s noch nicht mal im Schwarzwald! Überall, in jedem Hang waren kleine Dörfer, Siedlungen oder Gehöfte. „Einsam“ war da gar nichts. Die Region wird nur im Sommer bewohnt und mittlerweile scheint der Tourismus vor der Viehwirtschaft die Haupteinnahmequelle. Ich hatte mir Tushetien so ähnlich vorgestellt wie die wilde, unberührte und raue Landschaft einige Kilometer weiter östlich im Lagodekhi Nationalpark und ich war enttäuscht.

In der Nacht regnete es, am Morgen zog ein Gewitter über uns hinweg, während des Frühstücks tröpfele es wieder. Eigentlich wollten wir zwei Tage bleiben, doch die Wettervorhersage hatte sich deutlich verschlechtert: zwei Tage Dauerregen. Wir beschlossen, den Rückweg anzutreten. Der Regen hatte in meinem Kopf wieder Kopfkino ausgelöst: was, wenn der Regen Geröll auf die Passstraße gespült hat? Was, wenn der Regen die Straße wegbrechen lassen hat? Was, wenn der Regen zu tiefen Auswaschungen geführt hat? Was, wenn die Kehren bergab zu steil sind? Was, wenn ich im Schlamm mit den abgefahrenen Reifen über die Kante in den Abgrund rutsche?

Wir fuhren los und schon wie bei der Herfahrt, passierte: nichts. Der Herzschlag blieb ruhig und es machte sogar Spaß, uns auf dieser grandiosen Straße Kehre um Kehre nach oben und dann wieder nach unten zu schrauben, die Motorräder bergab über Steinkanten hoppeln und über Geröll laufen zu lassen. Ja, der Regen hatte den Zustand der Straße deutlich verschlechtert und sie war teilweise schlammig. Aber trotz meiner abgefahrenen Reifen war auch das kein Problem, alles entspannt!

Das Problem war in meinem Kopf entstanden, weil alle anderen ein Problem mit dieser Strecke hatten. Weil sie ihre Stürze und ihr Scheitern auf die Strecke schieben und nicht auf ihr mangelndes Fahrkönnen zurückführen. Weil ich mein eigenes Fahrkönnen falsch einschätze, wenn „berühmte Motorradreisende“ oder „gestandene Männer“ von ihren Problemen, Stürzen und Schwierigkeiten erzählen. Ich nehme mir fest vor, mir in Zukunft solche Geschichten nur noch lächelnd anzuhören, aber nicht in Kopfkino zu verwandeln! (Und meinem Mann zu glauben, wenn er sagt, dass wir kein Problem haben werden…).

Das Schweizer Pärchen hatte uns am unteren Ende des Passes heiße Quellen empfohlen, in denen man in einem eigenen Becken mit Ausblick in die Berge in heißem Quellwasser badet. Das wollten wir auch! Für 6,50€ bekommt man ein eigenes Badezimmer mit Bergblick, so luxuriös schön! Eine Stunde lagen wir faul im Becken und ließen das schwefelige Quellwasser um uns herum prickeln, denn der leichte Gehalt an Kohlensäure führte zu vielen kleinen prickelnden Luftbläschen! Leider führte das Wasser auch zu Verfärbungen an unseren Eheringen, sie wurden rotgolden (statt Weißgold) und mein Silberschmuck wurde schwarz.

Nach dem Bad gab es vom Bademeister noch heißen Tee und Melone, richtig Wellness mitten im Berghang! Wir durften in der Nähe unser Zelt aufbauen und kochten mit Wasser vom Wasserfall Abendessen, bevor es wieder tröpfelte. Wir gingen früh zu Bett und ließen uns vom Rauschen des Wasserfalls in den Schlaf lullen…

Nach dem Frühstück waren es nur noch 6 oder 8 Kehren bis zur Talsohle, wir rechneten mit einer kurzen Fahrtzeit bis zur „Zivilisation“. Doch wir gerieten in einen Stau. Seit drei Tagen waren wir nun auf der Passstraße unterwegs und jeden Tag haten wir eine Schafherde beobachtet, die von drei Schäfern zu Pferd über den Pass ins Tal getrieben wurden. Und nun hatten wir etwa 300 Schafe vor uns. Weil es die Schafe überhaupt nicht gestört hat, dass wir versucht haben, die Herde zu überholen oder mittendurch zu fahren, haben wir „Wollknäule schubsen“ gemacht, indem wir den Schafen im Schritttempo vorsichtig mit dem Vorderrad immer wieder in den Hintern stupsten, damit sie Platz machten. Durch den Regen waren sie wirklich Perwollweich und sauber gewaschen, die hoppelnden Wollknäule!

Im unteren Bereich des Passes kam uns eine Holländer auf einer neuen Africa Twin entgegen. Er hielt an und lachte, weil er und ich denselben Helm trugen. Er wollte von mir wissen, wie die Straße sei. Was sollte ich sagen? „Wenn Du richtig fahren kannst, macht es Spaß“ oder „ganz schlimm, nahezu unfahrbar“? Ich beschränkte mich auf „Wir waren in Omalo“ und „es ist etwas nass“ und zeigte auf den Schlamm, der überall an Pet klebte. Ich werde sicherlich keine Schauergeschichten über die Strecke erzählen und damit anderen Leuten Angst einjagen, so wie sie es mit mir gemacht haben! Die „Tusheti Road“ ist ein wunderschöner, ganz besonderer Bergpass in toller Landschaft. Tushetien selbst hat uns nicht überzeugt, der Pass jedoch ist jeden Kilometer wert!

Und hier das Video zur Tusheti Road. Seht selbst, was das für "Helden" sind, die diese Straße zur "drittgefährlichsten Straße der Welt" machen...

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Vielen Dank für einen tollen Reisebericht und atemberaubende Bilder. Das ist schon Abenteuer pur. Liebe Grüße Alexa

Hört sich nach einer sehr spannenden Strecke an ;)
Diese Geschichte zeigt mal wieder, dass man sich lieber ein eigenes Bild macht. Denn nicht nur die Wahrnehmung verschiedener Menschen unterscheidet sich, sondern auch die Erfahrungen und Erzählungen ;)
Beste Grüße aus Norwegen
Sarah

Genau. Wir sind gerade von einer Strecke gekommen, da seien die Pfützen "tischkantentief". Nach der Story habe ich wirklich nur noch gelächelt, statt mir wieder vor Angst in die Hosen zu machen. :-) Man lernt dazu: weg hören, selbst hin fahren, selber gucken.

Grandiose Bilder und interessanter Text.

Und ja, Gefährlichkeit ist auch subjektiv und wenn ich ängstlich + verkrampft an eine Sache heran geht steh ich mir oft selbst im Weg.

Ich bin verkrampft an die Straße ran gegangen, weil mir alle anderen Angt gemacht haben. "Weil sie ihre Stürze und ihr Scheitern auf die Strecke schieben und nicht auf ihr mangelndes Fahrkönnen zurückführen." Statt ehrlich zuzugeben "ist die Straße zu stark, bin ich zu schwach", (frei nach "Fishermans friend"), machen solche Leute lieber anderen Angst. Ist doch doof...

It seems like an amazing road for motor-biking adventure!

This story has been featured in our post Deutsch #1 - Featured Stories Of The Day and upvoted by @steemcuration voting trail. Congratulations, @travelove!

Thanks - not only for motorbikes, 4WD love it as well!

Tolle Bilder und bestimmt eine sehr interessante Erfahrung nur leider war mir der Post zu lange um Ihn komplett zu lesen. Werde das vll noch nachholen, danke fürs teilen!

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