Die Reise

in #deutsch5 years ago (edited)

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Es war ein schöner, warmer Frühlingstag im Jahr 2011, in den Nachrichten wurde über Revolutionen, Aufstände und Terrorgruppen berichtet. Man erlebte ein wahres Kontrastprogramm. Auf der einen Seite lebte es sich gut, auf der anderen kämpften Menschen um ihr Recht und Unrecht. Von alledem nicht tangiert, stand ein Verkäufer gelangweilt hinter seinem Tresen. Das Geschäft, in dem er arbeitete, war bekannt für seine Auswahl an Spirituosen. Flaschen jeder Dimension füllten nahezu jeden freien Platz aus, wenn dieser nicht von Tabakwaren oder teurem Nippes beansprucht wurde.
Der Verkäufer dachte träge an die Zigarre, die er am Abend rauchen würde, und war sich noch nicht ganz sicher, welchen Whisky er dazu trinken wollte. Plötzlich wurde sein gemütliches Gedankenspiel von einer Kundin unterbrochen, die den Laden mit beschwingtem Schritt betrat. Nach der üblichen Begrüßungsfloskel überließ er die junge Dame erst einmal sich selbst. Sie schlenderte zwischen den Regalen hin und her und der Verkäufer, so unsanft aus seinem Tagtraum gerissen, beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Ihre Kleidung wirkt etwas alternativ, aber zu neu und sauber, um wirklich alternativ zu sein. Das Gesicht, nett und aufgeschlossen, die Haare wären sicher naturblond gewesen, wurden aber mit Wasserstoff veredelt ... wahrscheinlich eine Studentin. Als sie eine Weile vor dem Regal mit den Miniaturflaschen gestanden hatte und zunehmend mit den Fingern schaute, sah sich der Verkäufer doch genötigt, das Gespräch zu suchen. Vielleicht, dachte er, sucht sie einfach nur ein kleines Geschenk.
Er eröffnete routiniert, vielleicht sogar etwas genervt, das Gespräch.
„Wie kann ich denn weiterhelfen?“
„Ja ich suche mehrere, kleine Wodkaflaschen, aber das ist alles Whisky oder?
„Ah, nein, schauen sie da unten, da ist der Wodka, aber stimmt schon, ist wirklich viel Whisky.“
„Oh, hab ich gar nicht gesehen, cool, danke.“
Der Verkäufer ließ seine Gedanken einmal aufseufzen und probierte das Gespräch nicht sterben zu lassen.
„Soll es denn was Bestimmtes sein? Ist es ein Geschenk?“
„Nee, das ist für mich, ich mach eine längere Reise nach Afrika. Ich hab gelesen, dass Alkohol nach dem Essen desinfizieren soll.“
Er hielt wieder für einen Moment inne und ließ seine Gedanken die schöne Wodkazusammenstellung, die er sich ausgedacht hatte, wegkehren.
„Ich denke, für den Zweck tut es doch der kleine Absolut Wodka, der ist preislich okay und in Plastikflaschen, damit auf der Reise nichts passiert.“
Nach einem kurzen Blick fummelte sie, etwas umständlich, sechs der kleinen Fläschchen aus dem vollgestopften Regal und gab sie dem Verkäufer. Dieser hatte sich in der Zwischenzeit das ganze Szenario noch einmal durch den Kopf gehen lassen und sein Kopf hatte darauf bestanden, dass er doch eine gewisse Verantwortung hatte.
„Sie sollten sich aber nicht zu hundert Prozent darauf verlassen, vielleicht können Sie noch Informationen einholen, wie es in der Region mit Typhus und Cholera steht. Nicht dass Sie dann auf der Reise doch krank werden.“
„Das ist verschieden, das wird eine Rundreise, die ich selber geplant habe.“
Die beiden gingen an die Kasse, er stellte die kleinen Flaschen auf dem Tresen ab.
„Das hört sich richtig spannend an, wo geht es denn überall hin?“
„Also erst mal nach Ägypten da bleiben wir eine Woche und dann geht es weiter immer am Meer entlang.“
„Äh, also über den Sudan, Somalia runter nach Südafrika?“
Ihr Gesicht glänzte im Reisefieber.
„Ja, genau.“
„Und dann Richtung Angola, Elfenbeinküste und Marokko wieder hoch?“
„Ja, das soll total schön sein, voll viel Natur, ich freu’ mich schon richtig drauf.“
Der Verkäufer schwieg, tippte die Preise in die Kasse, nannte den Preis, nahm das Geld entgegen und überreichte den Kassenzettel und das Wechselgeld.
„Also dann, wünsch ich eine gute Reise und passen Sie auf sich auf. Da sind echt ein paar gefährliche Länder dabei.“
Sie strahlte ihn mit großen Augen an.
„Danke, das ist schon okay, ich nehm’ ja eine Freundin mit.“
Die Schultern des Verkäufers sackten entgeistert zusammen, als sie fröhlich das Geschäft verließ.

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