Der Geiger Teil3

in #deutsch6 years ago

Der Geiger.JPG

Teil1
Teil2
Nach diesem Tag wurde Hadrian noch in so mancher Nacht wach und meinte ein Wimmern oder ein leises Scharren aus der Richtung des Gottesackers zu hören, doch jedes Mal, wenn das passierte, ließ er sich vom besseren Teil seines Gewissens beruhigen.
Severin der lange in Trauer versunken war erholte sich langsam wieder und so wie der Sommer Einzug hielt, kehrte auch Severin seinem Gram den Rücken. Das Dorf glänzte in voller Pracht, die Blumen blühten und das Getreide spross golden über die Äcker. Die Bauern waren voller Eifer daran die Früchte ihrer Arbeit zu hegen und zu pflegen, als sich das Mitsommerfest näherte. Die neu gewonnene Lebensfreude und auch die Erleichterung über den wiedergekehrten Wohlstand wollten am Tag des Festes einfach überschäumen. Die Ausgelassenheit war so groß, dass sich niemand, selbst der Pfarrer nicht, an den fahrenden Leuten störte, die in das Dorf gekommen waren. Genau so wenig fiel es den Bewohnern auf, dass sie die ersten ihrer Art waren, die sich nach diesem einen Tag in das Dorf wagten. Einzig ein Wagen, der von zwei Ziegen gezogen wurde, erregte etwas Aufsehen. Der Wagen war schmal und flach, das Verdeck war aus schwarzem Samt mit einer dünnen Goldborte versehen. Man hielt die Karre jedoch für einen Teil der Aufführung, der man später beiwohnen wollte, und schenkte ihm daraufhin eher wenig Beachtung.
Der Großbauer hatte die Aufgabe übernommen, nach dem Rechten zu sehen. Voller Vorfreude war er dabei gewesen für Speisen und Getränke zu sorgen, und das Schmücken des Marktplatzes zu überwachen. Darum galt auch der erste Trinkspruch dem guten Severin, als das Fest langsam aber sicher begann. Die Musikanten des fahrenden Volkes begannen zu spielen, anfangs eine langsame und schöne Melodie, die sich aber zu immer neuen, reißerischen Höhenflügen anstachelte bis sich das ganze Volk, vom Pfarrer bis zum Stallburschen, auf der Tanzfläche tummelte. Das Tanzbein wurde immer ungehemmter geschwungen, jeder tanzte mit jedem, ausgelassener konnte die Stimmung nicht sein, als sich ein leises Flirren unter die treibende Melodie legte. Das Flirren erfasste erst nur die Tänzer in der Nähe der Musikanten, breitete sich aber sehr schnell auf der Tanzfläche aus. Von diesem unmelodischen Halbton gepackt sahen sich die Leute verwirrt um, um die Ursache dieses Geräusches zu erkunden. Das Flirren schwoll an und lies nun eine Melodie erkennen, die so unglaublich war, dass Jung und Alt wie versteinert standen. So traurig, so schön, so aufreizend und frisch, verführerisch und abstoßend, immer lauter und eindringlicher.
Stumm traten die Musikanten zur Seite und der Karren, gezogen von zwei Ziegen rollte langsam aus dem Schatten, auf ihm saß eine vermummte Gestalt und spielte auf einer seltsam anmutenden Fiedel. Die Finger der Gestalt waren auf eine weise verkrümmt, dürr und knöchern, dass man es kaum für möglich hielt, dass sie dieses Instrument zu spielen vermochten. Doch sie huschten immer schneller auf den Seiten entlang. Gefangen in den Weiten der Melodie und dem befremdlichen Anblick ihres Urhebers bemerkten die Leute nicht, dass sich ihre Gliedmaßen langsam zur Musik bewegten. Was erst ein Kopfnicken oder Klopfen mit dem Fuß war, wurde zum großen Erstaunen der Besitzer der Extremitäten, bald immer wilder und unkontrollierter, bis sich das gesamte Dorf wie toll gebärdete. Mit größter Verzweiflung versuchte man die Arme und Beine wieder unter Kontrolle zu bringen, doch ohne Erfolg. Ein Stoßgebet des Pfarrers an den Heiligen Sankt Veit gellte zum Himmel, doch unerbittlich riss die Musik an Muskeln und Sehnen. Wie aus der Tiefe eines Grabes hörte man eine kehlig, tiefe Stimme einen Sprechgesang anstimmen, der sich unpassend zu den Tönen der Musik gesellte:

So groß war der Schmerz um eure Lieben
Aber wo waren die unseren geblieben?

Lauschet dem, was sie euch senden
Eure Gebeine in meinen Händen

Der Alte Hadrian streckte seine schmerzenden Beine unter der wärmenden Bettdecke hervor, der Lärm des Festes hatte ihn doch sehr in seinem Schlaf gestört. Noch dazu die Albträume, die ihn so eindringlich heimgesucht hatten. Nichtsdestotrotz stand er auf, genoss für einen Moment das Sonnenlicht und machte sich dann auf den Weg ins Dorf, um nach dem Recht zu sehen. Das Zwitschern der Vögel und der leise Hauch des Windes begleiteten ihn auf seinem Weg. Als er jedoch so fröhlich um die Ecke, hin zum festlich geschmückten Marktplatz bog, stolperte er über etwas, das am Boden lag. Als er den Kopf langsam und schmerzerfüllt hob viel sein Blick auf den vor ihm liegenden Platz … und auch Hadrian sandte ein Stoßgebet gen Himmel.

Der Geiger End.png

(Fotos mit meiner Sony Alpha 6000)

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