Politik 123 - Zur Sicherheitspolitik - Europa Ukraine

in #deutsch5 years ago

20. Februar 2019

Zum Thema Sicherheitspolitik gab es dieser Tage auch bei Steemit etwas zu lesen. Beispielsweise hat @freiheit50 [1] über die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) Ausgabe 2019 [2] geschrieben, die vergangene Woche stattfand. Er hat darin eine unter Deutschen durchaus beliebte Haltung gezeigt, nämlich eine, die dem Westen und seinen Organisationen gegenüber ziemlich skeptisch ist. Meine Haltung zum Thema ist über die paar Jahre deutlich pragmatischer geworden, was sich auch in diesem Text ausdrücken wird.

Die erwähnte Konferenz ist eines der grossen Treffen der Regierungspolitiker und ihrer Berater weltweit, aber mit Fokus auf Nordamerika und Eurasien. Seit einigen Jahren steht diese Konferenz im Zeichen des wieder aufgekommenen Ost-West-Konflikts.

Den Vorsitz über die Konferenz hat seit 2008 der deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger (geboren 1946) [3]. Dieser war als Botschafter in den USA und Staatssekretär im Auswärtigen Amt für die Bundesrepublik Deutschland tätig. Danach war er gut sechs Jahre für die Allianz SE tätig als Generalbevollmächtigter für Regierungsbeziehungen.

Stellvertretend für die gehaltenen Reden an der Konferenz führe ich die des Vizepräsidenten der USA, Mike Pence, an [4]:

Sicherheitspolitik ist grundsätzlich ein Thema, das mich interessiert. Seit ich vor etwa fünf Jahren damit begann, mich intensiver damit zu beschäftigen, war gerade eine neue Episode der Spannung zwischen Osten und Westen angebrochen. Damals wurde in der Hauptstadt der Ukraine [5], in Kiew, wie schon im Jahr 2004 auf dem Platz Majdan [6] gegen die pro-Russland ausgerichtete Regierung protestiert. 2004 kam es zur sogenannt Orangenen Revolution [7], die bei der nächsten Präsidentschaftswahl wieder rückgängig gemacht wurde. Ich liess mich 2013-2015 ziemlich stark von der russischen Sichtweise auf das Thema beeinflussen, deren Gewicht ich seither immer wieder reduziert habe.

2013/2014 war das Ergebnis vor allem in Sachen Gewalt ein anderes als 2004. Es wurde unter dem Motto Euromaidan [8] für eine Annäherung an den Westen protestiert. Schliesslich wurden die Demonstrationen auch gewalttätig. Der bisherige Präsident dankte schlussendlich ab und wurde ausser Landes gebracht. Die Stimmung im Land war angeheizt. Schliesslich kam es im Südosten mit der Halbinsel Krim zu einem Gebietsverlust an Russland und im Osten des Landes zu militärischen Auseinandersetzung mit separatistischen Gruppierungen, die sich aber nicht in erster Linie mit einer überaus stark ausgeprägte Freiheitsliebe auszeichnen, sondern auch durch eine Nähe zu Russland. Der Konflikt im Osten des Landes besteht bis heute [9] und setzt dem sonst schon armen Land arg zu.

Etwas distanzierter betrachtet kann man im Schicksal der Ukraine das Dilemma eines grossen Landes sehen, das ohne echte Bündniszugehörigkeit dasteht. Mit einer Fläche von 578'000 km2 und 42,9 Millionen Einwohnern (604'000 km2 un 44,9 Millionen Einwohner mit Krim), kann man augenscheinlich von einem grossen Land sprechen, auch wenn die Bevölkerungszahl seit dem Ende der UdSSR ständig abgenommen hat, von etwa 52 Millionen 1991 auf 45 Millionen 2016. Schuld daran ist zum einen die bedenkliche wirtschaftliche Lage in weiten Teilen des Landes, die wenig Hoffnung macht. Zum anderen ist die politische Lage nicht gerade ermutigend, um sich in der Ukraine etwas aufbauen zu wollen. Denn, um wirtschaftlich ernsthaft vorwärts zu kommen, bedürfte es massiver Investitionen und Modernisierung.

Aus Russland sind solche Gelder erfahrungsgemäss eher nicht zu erwarten. Russland selbst könnte Investitionen in Billionenhöhe (Euro) gebrauchen. Deswegen besteht in der Ukraine, vor allem in deren Westen, seit langem der Wunsch, sich mehr Richtung Westen zu orientieren. Da Korruption in der Ukraine weit verbreitet ist, können vorwiegend grosse Firmen ihre Investitionen absichern, kleinere dürften damit Schwierigkeiten haben. Dies wiederum führt dazu, dass kaum ein blühendes Gewerbe entstehen kann. An der Realpolitik lässt sich der Wunsch nach Orientierung gegen Westen auch ablesen. Die Ukraine war in den internationalen Organisationen, die nach der Auflösung der UdSSR entstanden sind, zunächst in der GUS [10] nur Teilnehmer, in der seit 2014 bestehenden Eurasischen Wirtschaftsunion [11] ist sie gar nicht dabei. Stattdessen gibt es ein seit dem Spätsommer 2014 ein Abkommen namens DCFTA mit der Europäischen Union (EU) [12], das gemeinsam mit Moldawien und Georgien unterzeichnet wurde.

Was genau zu tun wäre, um die Ukraine aus ihrem Dilemma herauszuführen, ist eine äusserst schwierige Frage. Man hat gesehen, dass Russland eher nicht hilfreich ist, aber dennoch kann man sich davon nicht lösen, weil man der Aussenpolitik Russlands kaum etwas entgegenzusetzen hat. Wesentliche Teile der jüngeren Geschichte verbrachte die Ukraine als Teil der UdSSR, von deren Gründung 1923 bis zur Auflösung 1992 war sie bis auf die Zeit der Besetzung durch das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg ein Teil der UdSSR. Eine Zeit, in der das Leiden und Ertragen deutlich über Freude, Lebenslust und Wohlstand dominierte. Da die UdSSR ein sehr umfassend autoritärer und kontrollaffiner Staat war, dürfte die Ukraine bis heute nicht ganz unwesentlich Personal in den Bereichen Verteidigung, innere Sicherheit, aber auch Wirtschaft haben, welches über Verbindungen nach Russland verfügt und in der Loyalität möglicherweise nicht nur Kiew die Treue hält.

Liberalisierungen und Deregulierung alleine helfen wohl nicht, das Land wirklich voranzubringen. Weitere Föderalisierung möglicherweise schon. Wer in der Ukraine lebt und pro-westlich eingestellt ist und das Vorankommen der baltischen Länder betrachtet hat, vor allem Estland, der hat sich möglicherweise in den 1990er Jahren mittelfristig einen Beitritt zur NATO [13], dem westlichen Verteidigungsbündnis gewünscht. 1997 wurde etwa die NATO-Ukraine-Charta [14] unterzeichnet, im Frühjahr 2018 wurde die Ukraine Beitrittskandidat. Wenn man den Konflikt im Osten befrieden kann und den Gebietsverlust der Krim offiziell hinnimmt, könnte ein Beitritt bald Tatsache sein. Russland wird das nicht gefallen, aber es hat in der Vergangenheit auch eher nicht besonders viel positives geboten, was eine Orientierung nach Russland verheissungsvoll erscheinen liesse.

Als Schweizer ist man möglicherweise stolz darauf, aussenpolitisch neutral zu sein. Sogar den Zweiten Weltkrieg hat man neutral überstanden, obwohl man gemeinsam mit Liechtenstein jahrelang nur von den Achsenmächten umgeben war. Wer sich mit der Geschichte befasst, ich habe es nicht umfangreich getan, kann leicht erkennen, dass dieser neutrale Zustand auch mit Kooperation mit den Achsenmächten erkauft wurde. Vor allem das Deutsche Reich damaliger Zeit gilt heute nicht nur zu Unrecht als grosser Übeltäter. So kann man auch auf Schweizer, die in irgendeiner Form kooperiert haben, auch durch Handel, im Minimum ein fehlendes Fingerspitzengefühl vorwerfen.

Eine Neutralität und deren Aufrechterhaltung werden nicht nur von einem selbst, sondern auch von äusseren Gegebenheiten bestimmt. Genauso wie ein Aggressor genügt, um einen Konflikt hochzuziehen, an dem in der Folge mehr als eine Partei beteiligt ist. Die Ukraine teilt mit Russland etwa 2'295 km Grenze [15] (1'222 km zu Moldawien, 1'084 km zu Weissrussland, 614 km zu Rumänien, 535 km zu Polen, 97 km zur Slowakei), was bedeutet, dass Russland stets in der Nähe sein wird und ebenso versuchen wird, Einfluss auszuüben, auf jede denkbare Art und Weise.


Von reisserischen Bezeichnungen, etwa die NATO als Kriegs- oder Angriffsbündnis zu bezeichnen, habe ich aufgegeben, als ich mich dazu entschieden habe, grundsätzlich dem Westen die Treue zu halten. Wobei mich dies keineswegs davon abhält, den Westen zu kritisieren. Ich tue das regelmässig bezüglich Ideologie, Politik, Wirtschaft und Sicherheit. Gerade seit die Überwachung im Internet noch einmal ausgeweitet und womöglich auch die Publikationsmöglichkeiten weiter eingeschränkt werden, halte ich es für wichtig zu sagen, wo ich grundsätzlich stehe.

Meine Haltung ist eine konservativ-marktwirschaftliche, die grundsätzlich konstruktiv, aber auch kritisch sein soll. Diese Einstellung konnte in der jüngeren Vergangenheit am besten im Westen verwirklicht werden. Dem politischen Extremismus fühle ich mich nicht nahestehend und weise es zurück, sollte jemand solches behaupten. Es ist eine Tatsache, dass beispielsweise extreme linke Revolutionäre teilweise überraschend lange im Westen geduldet wurden und sich immer wieder auf Solidarität der moderateren unter ihnen verlassen konnten. Normale Konservative zeigen sich höchst selten mit Extremisten solidarisch und grenzen diese aus. Man kann das einerseits als funktionierenden Selbstheilungsmechanismus sehen, andererseits aber auch als eher hemmendes Element, wenn es etwa um Prinzipientreue geht, die für Konservative eigentlich wichtig wäre.


[1] Anmerkungen zur 55. Münchner Sicherheitskonferenz 2019. @freiheit50, 14. Februar 2019 https://steemit.com/deutsch/@freiheit50/anmerkungen-zur-55-muenchner-sicherheitskonferenz-2019
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Münchner_Sicherheitskonferenz
https://de.wikipedia.org/wiki/Münchner_Sicherheitskonferenz
Webseite der MSC: https://www.securityconference.de/
Die Reden: https://www.securityconference.de/aktivitaeten/munich-security-conference/msc-2019/reden/
Pressestimmen zur Konferenz: https://www.securityconference.de/aktivitaeten/munich-security-conference/msc-2019/pressestimmen-und-analysen/
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Ischinger
https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Ischinger
[4] Münchner Sicherheitskonferenz - Rede von US-Vizepräsident Pence am 16.02.19. Phoenix YouTube Kanal, 16. Februar 2019
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Ukraine
https://de.wikipedia.org/wiki/Ukraine
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Maidan_Nezalezhnosti
https://de.wikipedia.org/wiki/Majdan_Nesaleschnosti
[7] https://en.wikipedia.org/wiki/Orange_Revolution
https://de.wikipedia.org/wiki/Orange_Revolution
[8] https://en.wikipedia.org/wiki/Euromaidan
https://de.wikipedia.org/wiki/Euromaidan
[9] https://en.wikipedia.org/wiki/Russian_military_intervention_in_Ukraine_(2014-present)
https://de.wikipedia.org/wiki/Krieg_in_der_Ukraine_seit_2014
[10] https://en.wikipedia.org/wiki/Commonwealth_of_Independent_States
https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinschaft_Unabhängiger_Staaten
[11] https://en.wikipedia.org/wiki/Eurasian_Economic_Union
https://de.wikipedia.org/wiki/Eurasische_Wirtschaftsunion
[12] https://en.wikipedia.org/wiki/Deep_and_Comprehensive_Free_Trade_Area
https://de.wikipedia.org/wiki/Vertiefte_und_umfassende_Freihandelszone
[13] https://en.wikipedia.org/wiki/NATO
https://de.wikipedia.org/wiki/NATO
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Ukraine-Charta
[15] https://en.wikipedia.org/wiki/Russia-Ukraine_border
https://de.wikipedia.org/wiki/Grenze_zwischen_Russland_und_der_Ukraine
https://en.wikipedia.org/wiki/State_Border_of_Ukraine


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Tja, ich glaube, bei diesem Thema bleiben wir im Dissens. Der Westen verabschiedet sich doch zunehmend von seinen eigenen hochgelobten Werten.

Wie würdest du denn die von mir genannten Rüstungsausgaben kommentieren?

Im Übrigen - und das wiegt schwer - befindest du dich auch im Dissens mit Ron Paul, dem wohl im besten Sinne freiheitlich ausgerichteten Politiker der USA.

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