Persönlichkeitsentwicklung 040 - Zum Thema Aktivismus und Bewertung junger Menschen 2/2

in #deutsch6 years ago (edited)

30. Januar 2019

Im ersten Teil bin ich auf ein aktuelles Phänomen von Jungaktivisten eingegangen. Nämlich auf die junge Schwedin Greta Thunberg [2] und die Schüler, die sich von ihren freitäglichen Schulstreiks [3] inspirieren liessen.

Im Zuge der Entwicklung vom Kind zu einer erwachsenen Persönlichkeit sind die Wege sehr vielfältig, man könnte sogar sagen individuell. Während einige Jugendliche sich durch intensive Rebellion gegen die Erwachsenen zu selbständigen, erwachsenen Menschen entwickeln, bleiben andere länger in der Konformität, spüren den Drang zum Aufbruch weniger, es gibt sogar solche, die lösen sich nie ganz von dem Umfeld, das sie als Kinder kannten und werden ihre Leben lang nicht wirklich erwachsen.

Auch unter Studenten sind Rebellionen [22] seit langem ein Phänomen, wobei die Dynamik und Häufigkeit im 20. Jahrhundert besonders seit den 1960er Jahren zugenommen haben. Aber damals wie heute stellt sich bei Studentenprotesten, dem Aktivismus von Gymnasiasten die Frage, inwiefern diese Menschen schon in der Lage sein können, die Dinge qualitativ und quantitativ korrekt einzuschätzen, die ihren Protest auslösen. Es ist aus meiner Sicht und Erfahrung höchst fraglich, ob diese Fähigkeit vorhanden ist. Besonders als Jugendlicher ist man für Botschaften empfänglich, die von denen der Eltern oder des vermuteten Mainstreams abweichen. Grund dafür ist kein in diesen Botschaften enthaltener besonderer Wert, sondern die Abweichung.

Dementsprechend ist klar, dass

  1. ein Trend zu schwarz/weiss Denken besteht und
  2. eine grosse Gefahr für die Instrumentalisierung für Zwecke, die den eigenen Interessen möglicherweise fundamental widersprechen, eindeutig vorhanden ist.

Wenn sich Menschen darauf spezialisieren, junge Menschen für sich zu vereinnahmen, ist die Chance gross, dass es ihnen gelingt und dass sie sich sehr willige Gefolgsleute schaffen, die die geschaffene Gemeinschaft geniessen und feiern und gegen echte und konstruierte Feinde verteidigen. Es gibt abschreckende Beispiele für indoktrinierte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Als junger Mensch geniesst man gerne die guten Momente und denkt über die wahren Hintergründe eher nicht nach. Auch wenn immer wieder öffentlich für Anstand, Haltung und Fairness geworben wird, sehe ich es so, dass es nicht viele Tabus gibt, die von allen Seiten als solche anerkannt und deswegen nicht gebrochen werden.

Die Orientierung ist für einen jungen Mensch auch deswegen schwierig, da man wohl einzelne harte Werte von Eltern oder anderen frühen Bezugspersonen vermittelt bekommen hat, dazu einige neue von den neuen Vorbildern, die man sich nach den Eltern zulegt, aber noch kein feinmaschiges Netz an Erfahrungswerten und Orientierungspunkten aufgebaut hat, das es einem ermöglichen würde feingliedrig zu differenzieren. Dieses bildet sich erst, wenn man eigenverantwortlich mit anderen interagiert und merkt, was sich lohnt, was nicht, welche Taten auf einen zurückfallen und welche sich als hilfreich erweisen. Dies nicht nur bezogen auf das Streben nach unmittelbarer Belohung, sondern insbesondere über längere Zeiträume.

Es ist keineswegs so, dass ich Jugendlichen die Fähigkeit des Denkens abspreche, aber altersbedingt ist es eine Tatsache - die mir aus eigener Erfahrung nur allzugut bekannt ist - dass Lebenlassen, konstruktive Interaktion und Kooperation trotz Meinungsverschiedenheit, dazu Zurückhaltung und Nüchternheit eher noch nicht oben auf der Liste der erarbeiteten Kompetenzen stehen. All diese Fähigkeiten müssen erst erarbeitet werden, es reicht nicht, sie in Schulen und Kursen darzulegen und sie zu vermitteln versuchen. Für dieses Erarbeiten braucht es Freiräume, die gewährt werden müssen. Wobei es schon Grenzen braucht, um Konsequenzen, die die Kompensationsfähigkeiten der jungen Menschen bei weitem übersteigen, zu vermeiden.

Meine eigene Erfahrung zeigte, dass sich das grundsätzliche Empathieempfinden für andere, das Verständnis für andere Positionen und die Fähigkeit wirklich komplexe Zusammenhänge und Hintergründe zu erfassen erst nach dem Überschreiten der 20er Altersgrenze zur Erwachsenheit ausbildet, nicht vorher. Dass sich das bei Frauen anders verhalten kann, halte ich für möglich, aber ich masse mir hier als Mann auch nicht an, für Frauen zu sprechen.

Weil ich die Entwicklung von Jugendlichen und jungen Erwachsehen für zumeist noch unvollständig halte, sehe ich es kritisch und bin skeptisch, wenn diese sich bereits politisch engagieren oder als mutige oder vertrauenswürdige, inspirierende Aktivisten präsentieren.


Wenn man für die Kritik an jungen Aktivisten kritisiert oder gar beschimpft wird, kommt aus meiner Sicht ein alter, aus dem Christentum bekannter Mechanismus zum Einsatz. Es ist ein Mechanismus, der den Kritiker als einen bösartigen Menschen darstellt, der nichts besseres zu tun hat, sich an einem reinen, unschuldigen Kind oder einem im Vergleich noch schwachen jungen Erwachsenen zu versündigen. Es ist nicht nötig, dass die Menschen, die dieses Vorgehen zur Anwendung bringen, selbst christlich-religiös sind. Denn es gibt ein Motto namens "der Zweck heiligt die Mittel", dessen Anwendung ich für ziemlich beliebt halte. Wenn es also nützlich ist, dem Gegner eine Schuld anzuhängen, wird das getan.

Es gibt eine Bibelstelle, an der Jesus Christus [23] folgendes sagt:
Matthäus 18, 1-5 - Neue Genfer Übersetzung [24]
Anweisungen für das Leben in der Gemeinde
1 In jener Zeit kamen die Jünger zu Jesus und fragten: »Wer ist eigentlich der Größte im Himmelreich?« 2 Jesus rief ein Kind, stellte es in ihre Mitte 3 und sagte: »Ich versichere euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen. 4 Darum: Wer sich selbst erniedrigt und wie dieses Kind wird, der ist der Größte im Himmelreich. 5 Und wer solch ein Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.«

Hier wird die besondere Grösse und der besondere Wert hervorgehoben, den Kinder darstellen. Die Szene im Kapitel 18 ist aber an dieser Stelle noch lange nicht zu Ende:
Matthäus 18, 6-10 - Neue Genfer Übersetzung [24]
6 »Wer aber einen von diesen gering Geachteten, die an mich glauben, zu Fall bringt, der käme noch gut weg, wenn man ihm einen Mühlstein um den Hals hängen und ihn damit in der Tiefe des Meeres versenken würde. 7 Wehe der Welt wegen der Dinge, durch die Menschen zu Fall kommen! Es ist zwar unausweichlich, dass solche Dinge geschehen, doch wehe dem Menschen, der daran schuld ist! 8 Und wenn es deine Hand oder dein Fuß sind, durch die du zu Fall kommst, dann hau sie ab und wirf sie weg! Es ist besser, du gehst verstümmelt oder als Krüppel ins Leben ein, als dass du beide Hände oder beide Füße behältst und ins ewige Feuer geworfen wirst. 9 Und wenn es dein Auge ist, durch das du zu Fall kommst, dann reiß es aus und wirf es weg! Es ist besser, du gehst einäugig ins Leben ein, als dass du beide Augen behältst und ins Feuer der Hölle geworfen wirst.« 10 »Hütet euch davor, auf einen von diesen gering Geachteten herabzusehen! Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel haben jederzeit Zugang zu meinem Vater im Himmel.

Selbstverständlich erscheint die Ausdrucksweise trotz der aktuellen Übersetzung altbacken und gerade der Aufruf, sich selbst im Notfall zu verstümmeln, erscheint komplett unverständlich. Aber es wird ganz klar gesagt, dass es eben nicht nur wichtig ist, Kindern hohe Achtung entgegenzubringen, sondern insbesondere auch, dass man sie nicht in die Irre führen oder zu Fall bringen soll. Dies sei an die Adresse jener gesagt, die gerne anderen eine Schuld anhängen wollen und glauben, sie hätten das Recht dazu, nur weil es ihnen und ihren Absichten gerade dient.

Es gibt eine weitere Stelle im selben Buch, auf die gerne verwiesen wird, wenn es darum geht, sich zu engagieren, motiviert zu sein, zu arbeiten und sich eben nicht zurückzuziehen.
Offenbarung 3, 14-16 - Neue Genfer Übersetzung [25]
14 »Und an den Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Der, der treu ist, der vertrauenswürdige und zuverlässige Zeuge, der Ursprung von allem, was Gott geschaffen hat – der lässt 'der Gemeinde' sagen: 15 Ich weiß, wie du lebst und was du tust; ich weiß, dass du weder kalt noch warm bist. Wenn du doch das eine oder das andere wärst! 16 Aber weil du weder warm noch kalt bist, sondern lauwarm, werde ich dich aus meinem Mund ausspucken.

Alleine daraus könnte man schliessen, dass es vor allem wichtig ist, Dinge zu tun und nicht um welche es sich handelt. Aber auch hier geht es noch weiter.
Offenbarung 3, 17-19 - Neue Genfer Übersetzung [25]
17 Du sagst: ›Ich bin reich und habe alles im Überfluss, es fehlt mir an nichts‹, und dabei merkst du nicht, in was für einem jämmerlichen und erbärmlichen Zustand du bist – arm, blind und nackt. 18 Ich rate dir: Kaufe bei mir Gold, das im Feuer gereinigt wurde, damit du reich wirst, und weiße Kleider, damit du etwas anzuziehen hast und nicht nackt dastehen und dich schämen musst. Kaufe auch Salbe und streiche sie dir auf die Augen, damit du wieder sehen kannst. 19 So mache ich es mit allen, die ich liebe: Ich decke auf, was bei ihnen verkehrt ist, und weise sie zurecht. Darum mach Schluss mit deiner Gleichgültigkeit und kehre um!

Genau aus diesen Ausführungen lässt sich entnehmen, dass man sich selbst und sein Handeln sehr wohl dauernd hinterfragen soll und sich nach den Dingen ausrichten soll, die nicht bloss den kurzfristigsten Begierden oder einem selbstgefälligen Machtstreben dienen. Unter Hinterfragen verstehe ich auch insbesondere, dass man sich fragt und stets zu verstehen versucht, für welche Zwecke man sich einsetzt, bevor man Menschen, die man möglicherweise nicht einmal persönlich kennt, uneingeschränktes Vertrauten schenkt.

Wenn beispielsweise Greta in ihrem Referat folgendes sagt [3] (8:20-9:06):

Some people say that I should be in school instead. Some people say that I should study to become a climate scientist so that I can ”solve the climate crisis”. But the climate crisis has already been solved. We already have all the facts and solutions. All we have to do is to wake up and change.
And why should I be studying for a future that soon may be no more, when no one is doing anything whatsoever to save that future? And what is the point of learning facts within the school system, when the most important facts given by the finest science of that same school system clearly mean nothing to our politicians and our society?

Einige Menschen sagen, dass ich stattdessen in der Schule sein sollte. Einige Menschen sagen, dass ich lernen sollte, um eine Klimawissenschafterin zu werden, um dann die "Klimakrise zu lösen". Aber die Klimakrise wurde bereits gelöst. Wir haben bereits alle Fakten und Lösungen. Alles was wir zu tun haben ist aufzuwachen und uns zu ändern.

Und warum sollte ich für eine Zukunft lernen, die bald keine mehr sein wird, wenn niemand etwas dafür tut, diese Zukunft zu bewahren? Und worin besteht der Zweck in dem Lernen von Fakten innerhalb des Schulsystems, wenn die wichtigsten Fakten, geliefert von der feinsten Wissenschaft desselben Schulsystems, unserer Gesellschaft und unseren Politikern klarerweise nichts bedeuten?

Es tut mir leid, aber gerade dieses Zitat erscheint mir passend, um die mangelhafte Tauglichkeit von Jungaktivisten zu untermauern. Die Erde und die Menschen darauf leben, es gibt kaum je einen Fall, dass alle Fakten und Lösungen ermittelt wurden und der Verwirklichung der Lösung unbegrenzt Ressourcen zur Verfügung stehen. Da in der Regel Forscher und Ressourcengeber nicht dieselben Leute sind, müssen bei der Ressourcenverteilung unterschiedlichste Interessengruppen zufriedengestellt werden. Es gibt auch keinen Konsens darüber, was feinste Wissenschaft ist.

Die wissenschaftliche Forschung im Bereich des Klimawandels ist eine junge, angewandte Wissenschaft [26] und ein Teilbereich der Klimatologie [27]. Ein mir wohlbekannter Professor für Chemie [28], ein Anorganiker, hat sich einmal sehr energisch dagegen gewehrt, die Chemie als eine reife Wissenschaft (engl. mature science) zu betrachten, obwohl sie sich vor allem im 19. Jahrhundert sehr stark weiterentwickelte und die Anfänge chemisch-technischer Sytheseverfahren [29] sogar im 17. Jahrhundert liegen. Er hat das deswegen gesagt, weil noch immer vieles unerforscht ist und dementsprechend zu vielen praktischen Befunden keine stringente Theorie erarbeitet wurde.

Rechnet man in solchen Zeiträumen, gibt es keinerlei Grundlage, die angewandte Klimatologie im Bereich des Klimawandels als finest science zu bezeichnen. Man muss im Gegenzug nicht sagen, dass wegen des jungen Alters der Forschung in diesem Bereich alles falsch sein muss, was die Forscher in dieser Disziplin publizieren oder ihnen gar schlechte Motive unterstellen. Das tue ich keinesfalls, denn ich weiss, dass es grundsätzlich Mut braucht, eine neue Disziplin zu beginnen, Publikationen zu tätigen, die womöglich rasch revidiert oder gar widerlegt werden.

Aber ich halte es für eine Tatsache, dass die meisten Erkenntnisse Zeit zur Reifung brauchen, bis sie wirklich bestätigt sind, zu den praktischen Befunden eine stringente Theorie existiert und die Erkenntnisse dazu führen, dass sich das menschliche Verhalten entsprechend anpasst. Wenn eine Jugendliche, von der man nicht weiss, mit wie viel naturwissenschaftlichem Talent sie gesegnet ist, hingeht und eine so junge Disziplin als finest science bezeichnet, ist das argumentative Gewicht dahinter sehr gering, auch wenn einen Leute aus Politik, Medien und Bildungseinrichtungen etwas anderes glauben machen wollen.



[1] https://en.wikipedia.org/wiki/School_strike_for_climate
https://de.wikipedia.org/wiki/Fridays_For_Future
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Greta_Thunberg
https://de.wikipedia.org/wiki/Greta_Thunberg
[3] School strike for climate - save the world by changing the rules | Greta Thunberg | TEDxStockholm. TEDx Talks YouTube Kanal, 12. Dezember 2018
Transkript und Übersetzung beim Blog Wozukunft, 19. Dezember 2018, von Gregor Hagedorn https://blog.wozukunft.de/2018/12/19/greta-thunberg-tedx-2018-11-24/#2018-11-24en
[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Studentenprotest
https://en.wikipedia.org/wiki/Student_protest
[23] https://en.wikipedia.org/wiki/Jesus
https://de.wikipedia.org/wiki/Jesus_Christus
[24] Matthäus 18 bei Bibleserver - Neue Genfer Übersetzung: https://www.bibleserver.com/text/NGÜ/Matthäus18
[25] Offenbarung 3 bei Bibleserver - Neue Genfer Übersetzung: https://www.bibleserver.com/text/NGÜ/Offenbarung3
[26] https://en.wikipedia.org/wiki/Science
https://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaft
[27] https://en.wikipedia.org/wiki/Climatology
https://de.wikipedia.org/wiki/Klimatologie
[28] https://de.wikipedia.org/wiki/Chemie
https://en.wikipedia.org/wiki/Chemistry
[29] https://de.wikipedia.org/wiki/Technische_Chemie


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