Persönlichkeitsentwicklung 036 - 10 Gebote einer vernunftbasierten Diskussion

in #deutsch6 years ago

14. Dezember 2018

Dieser Tage ist mir unter dem Titel Die 10 Gebote einer rationalen Diskussion eine Liste von zehn Punkten begegnet, die man im Rahmen eines vernunftbasierten Gesprächs beachten sollte. Ihr erstes Auftreten habe ich über eine kurze Recherche auf Frühling 2015 datiert, lokalisiert in einem Internetforum [1].

Leider verdient längst nicht jede Diskussion, die stattfindet, die Bezeichnung vernunftbasiert oder rational. Die Liste der zehn Punkte lässt auch den Umkehrschluss zu, dass man eine Diskussion als nicht vernunftbasiert bezeichnet, wenn es einen Gesprächsleiter gibt, der ein (Pseudo-)Argument aus der Liste höher bewertet oder eher gelten lässt, als ein rational-nüchtern dargelegtes, welches möglicherweise als unpopulär gilt, dem Zeitgeist widersprechend oder spezialisierte Bildung voraussetzend.

Gesprächs- und Diskussionssendungen in Radio und Fernsehen mit sehr begrenztem Zeitrahmen oder der Konstellation, dass ein massives Ungleichgewicht unter den Teilnehmern herrscht, lassen es jemandem wie mir meist schwerfallen, von einer vernunftbasierten Diskussion auszugehen. Es ist eine Tatsache, dass sich die Leute, die öffentlich sprechen und sich Streitgesprächen stellen sich dafür eigens ausbilden sollten. Es geht darum, einerseits die eigenen Argumente stark reduzieren zu können, auf markante, kurze Sätze mit wenigen Punkten, andererseits bereits geringe Schwächen in der Argumentation der anderen Teilnehmer für sich auszunutzen.

Das Ergebnis der dargelegten Ausgangslage ist sehr wahrscheinlich dieses, dass man es praktisch ausschliesslich mit zu kurz greifenden Aussagen zu tun bekommt und den Versuchen, die Schwächen der anderen Teilnehmer auszunützen oder zu kurze Argumente zu unterstützen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass man aus dieser Ausgangslage vor allem rhetorisch etwas lernen kann, aber kaum auf der inhaltlichen Seite.

Um inhaltlich profitieren zu können, ist es wichtig, dass die Teilnehmer an einem Gespräch sich in Ruhe ausdrücken können, ihre Gedankengänge verständlich machen und dann mit ernstgemeinten, das Thema behandelnden kritischen Punkten und Entgegnungen konfrontiert zu werden. Um ein wenig Reduktion kommt man kaum herum, aber das geht ohne Absichten, die weiteren Teilnehmer und mögliche Zuhörer eines Gesprächs an der Nase herumführen oder für dumm verkaufen zu wollen. Genau das ist die Aufgabe von Sachverständigen, dass sie Themen erforschen, sich Kompetenz aneignen, Ergebnisse generieren und diese in einer reduzierten Form verständlich machen.

1. Du sollst nicht deinen Kontrahenten persönlich angreifen, sondern sein Argument.
(Argumentum ad hominem - Beweisrede an den Menschen [2])

Jemanden persönlich anzugreifen oder ihm Dinge zur Last zu legen, für die dieser Mensch nachweislich nicht verantwortlich ist, gilt wie das Ausüben von Gewalt eigentlich als eine Taktik der Verlierer. Allerdings wird diese Art von Argument auch von etablierten Kreisen verwendet, um Menschen aus dem Kreis der ehrbaren Bürger auszuschliessen. Man nehme ein Fehlverhalten aus früheren Tagen, Auftritte vor zweifelhaftem Publikum, Kontakte zu wenig glaubwürdigen Menschen und ähnliches.

Dabei geht leicht vergessen, dass auch der Mensch mit den geringsten Status oder dem lausigsten Ruf in der Gesellschaft Dinge sagen kann, die stimmen. Es ist klar, dass mit einem geringen Status ein höheres Risiko für falsche Aussagen einhergeht, da betreffende Person nicht über einen über lange Zeit sorgsam erarbeiteten Ruf verfügt. Wer über den unmittelbar sichtbaren Status hinaus nach einem Leitfaden sucht, um Menschen nach Glaubwürdigkeit einzuteilen, dem sei als ein Beispiel die jährlich von der GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) durchgeführte Erhebung der Vertrauenswürdigkeit von Berufen [3] nahegelegt.

2. Du sollst ein Argument deines Kontrahenten nicht falsch auslegen oder übertreiben, damit es leichter zu attackieren ist.
(Straw-Man Argument - Strohmann-Argument [4])

Im Rahmen eines fairen Umgangs mit einem Gesprächspartner nimmt man dessen Ausführungen ernsthaft zur Kenntnis, wie sie sind. Man übertreibt/untertreibt nichts, betreibt keine kreativen Interpretationsversuche und führt keine zu kurz greifenden Umkehrschlüsse durch, sondern setzt seine eigenen, fundierten Argumente entgegen.

3. Du sollst nicht vom Kleinen auf das Grosse schließen.
(Übertriebene oder vorschnelle Verallgemeinerung)

Für Probleme unterschiedlicher Grössenordnung gelten nicht selten unterschiedliche Regeln. Und, ein Phänomen, das sich an einem Ort manifestiert, muss sich nicht zwangsläufig an vielen Orten in gleicher Weise zeigen.

Ein mir wohlbekanntes, sehr anschauliches Beispiel ist das Hochskalieren chemischer Prozesse. Wer Reaktionsgefässe zylindrischer Geometrie verwendet und diese kühlen muss, muss wissen und beachten, dass Volumen und Mantelfläche nicht in der gleichen Ordnung steigen - Umfang und Höhe steigen linear, die Grundfläche quadratisch.

Die Eigenschaften beispielsweise von Nanopartikeln [5] unterscheiden sich oft nicht nur dann voneinander, wenn sie aus verschiedenen Substanzen bestehen, sondern tun es grössenabhängig auch innerhalb einer bestimmten Zusammensetzung. Je nach Grösse herrschen also verschiedene Regimes. Man kann nicht von den Eigenschaften eines einzelnen Atoms oder Moleküls auf die Eigenschaften eines kleinen oder grösseren Nanoclusters oder eines Objektes in makroskopischer Grösse schliessen.

4. Du sollst nicht argumentieren, ohne Prämissen deiner Argumentation zu belegen, wo nötig.
(Aus der Luft greifen, an der Frage vorbeigehen)

Möglicherweise fehlt die Zeit, zu einem Argument auch noch Prämissen (Voraussetzungen) [6] anzugeben. Aber man sollte in der Lage sein, die jeweiligen Voraussetzungen darzulegen. Das zeugt von einer eingehenden Beschäftigung mit dem Thema. Argumentative Zirkelschlüsse sind auch zu vermeiden, da nicht gültig.

5. Du sollst nicht behaupten, nur weil eine Sache vor einer anderen geschah, existiere ein Zusammenhang.
(Post hoc, ergo propter hoc [7] - mit diesem, folglich deswegen, Scheinkausalität)

Eine Korrelation (Wechselbeziehung) oder Koinzidenz (gemeinsames Auftreten von Ereignissen) ist nicht gleichbedeutend mit einer Kausalität (Beziehung Ursache-Wirkung). Es gibt einfache Kausalitäten, als Beispiel sei schlechte Vorbereitung - schlechtes Ergebnis genannt. Ein gesellschaftliches Phänomen auf hohem statistischen Niveau als eine Beziehung aus Ursache und Wirkung zu erhärten, ist nicht leicht, die Zurückweisung ist leichter.

6. Du sollst ein Argument nicht auf nur zwei vermeintliche Möglichkeiten begrenzen.
(Falsches Dilemma/Dichotomie)

Viele Sachverhalte sind nicht binär, sondern beinhalten eine Vielfalt von Aspekten und Wahlmöglichkeiten. Zu behaupten, dass man entweder in einer Allianz mit einem selbst stehen kann oder ein Gegner sein muss, ist in der Regel eine unzulässige Verengung. Abgesehen davon kann man sich ein solches Verhalten vor allem aus einer Machtposition heraus erlauben kann, sonst ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass man nur Gegner in der eigenen Umgebung sieht. Es ist unklug, sich eine Menge Gegner zuzulegen und dennoch nichts zu entscheiden zu haben.

7. Du sollst ein Argument nicht aufgrund deiner Ignoranz zurückweisen.
(Argumentum ad ignorantiam - Beweisrede an das Nichtwissen)

Es ist ein logischer Fehlschluss, eine These für falsch zu erklären, nur weil sie bisher nicht bewiesen werden konnte. Auch der umgekehrte Fall, die Erklärung einer These für richtig, nur weil sie nicht widerlegt werden konnte, ist nicht zulässig. Unwissenheit über einen Sachverhalt lässt die Erkenntnis eines Beweises nicht zu.

8. Du sollst nicht auf deiner Richtigkeit beharren, wenn dir das Gegenteil sachlich demonstriert wurde.
(Tibi prudentia praesto - Ich übertreffe dich an Klugheit, Beweislastumkehr)

Jedem Menschen kann es passieren, dass er widerlegt wird. Wenn es geschieht, sollte man es zur Kenntnis nehmen, kritisch nachfragen, die anderen Argumente oder den neuesten Stand der Forschung nachvollziehen und gegebenenfalls übernehmen. Ein fairer Umgang mit einer Niederlage beinhaltet, diese anzuerkennen. Aus den Erkenntnissen der weiteren Beschäftigung mit der Widerlegung folgt, ob man tatsächlich widerlegt wurde oder doch nicht stichhaltig über den Tisch gezogen wurde. Direkt auf der eigenen Richtigkeit zu beharren, ist aber nicht sinnvoll. Es wirkt neunmalklug und eitel, so als ob man keinen Widerspruch ertragen könne.

9. Du sollst nicht behaupten, dass “dieses” “jenem” folgt, wenn “es” keinerlei logische Verbindung gibt.
(Non sequitur - Es wird nicht folgen [10])

Non sequitur ist ein Fehlschluss innerhalb der Argumentation. Er liegt darin begründet, dass die gezogene Schlussfolgerung aus den Voraussetzungen nicht gefolgert werden können. Die Argumente sind also nicht gut genug, um die These wirklich zu beweisen.

10. Du sollst nicht behaupten, dass deine Behauptung wahr oder akzeptabel ist, nur weil sie populär ist.
(Argumentum ad populum - Beweisrede an das Volk [11])

Diese Art zu argumentieren, ist eine rhetorische Taktik, mit der man behauptet, dass ein Argument deswegen wahr sei, weil es populär ist, also von sehr vielen Menschen so gesehen wird. Es wird damit suggeriert, dass eine Art von gesellschaftlich anerkannter Autorität existiere und der andere mit seiner Ansicht alleine dastehe.


Bei dem englischsprachigen Wikipedia-Eintrag über das Argumentum ad Hominem [2] habe ich noch eine interessante Darstellung in Pyramidenform gefunden. Sie stammt von dem englischen Informatiker Paul Graham [12] und wurde von ihm Hierarchie der Meinungsverschiedenheit genannt.

2018-12 - Hiearchy of Disagreement_cr.jpg
Die Hierarchie der Meinungsverschiedenheit in Pyramidenform dargestellt [13].

Die Hierarchie der Meinungsverschiedenheit besteht aus sieben Ebenen:

  1. Widerlegung des zentralen Punktes
  2. Widerlegung
  3. Gegenargument
  4. Widerspruch
  5. Tonfallbezug
  6. Ad Hominem
  7. Beleidigung

Ich könnte mir die Darstellung anstelle der Pyramidenform auch als Zielscheibe gut vorstellen. Im Zentrum liegt das Argument, das den zentralen Punkt einer These aufgreift, diesen ohne irgendwelches böses Darumherum widerlegt und danach neben der geschehenen Widerlegung keine Missgunst oder schlechten Gefühle übrig bleiben sollen. Alle anderen Spielarten der Argumentation oder Nicht-Argumentation liegen ausserhalb und gehen an dem normalerweise angestrebten Treffer ins Schwarze vorbei.


[1] Beitrag von User Stefek im Forum WebsiteBaker, 08. Mai 2015 https://forum.websitebaker.org/index.php?topic=28319.0
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Argumentum_ad_hominem
https://en.wikipedia.org/wiki/Ad_hominem
[3] Image von Berufen : Deutsche schenken Rettungskräften das größte Vertrauen. FAZ.net, 22. März 2018 https://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/beruf/gfk-umfrage-diesen-berufen-vertrauen-die-deutschen-15507209.html
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Strohmann-Argument
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Nanoteilchen
https://en.wikipedia.org/wiki/Nanoparticle
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Prämisse
[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Cum_hoc_ergo_propter_hoc
https://en.wikipedia.org/wiki/Correlation_does_not_imply_causation
[8] http://de.wikipedia.org/wiki/Falsches_Dilemma
https://en.wikipedia.org/wiki/False_dilemma
[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Argumentum_ad_ignorantiam
https://en.wikipedia.org/wiki/Argument_from_ignorance
https://de.wikipedia.org/wiki/Beweislastumkehr
https://en.wikipedia.org/wiki/Reverse_onus
[10] http://de.wikipedia.org/wiki/Non_sequitur
https://en.wikipedia.org/wiki/Non_sequitur_logic
[11] http://de.wikipedia.org/wiki/Argumentum_ad_populum
https://en.wikipedia.org/wiki/Argumentum_ad_populum
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Graham
https://en.wikipedia.org/wiki/Paul_Graham_programmer
[13] Lizenzangaben zur Graphik: This file is licensed under the Creative Commons Attribution 3.0 Unported license. Urheber ist User Antonsusi


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