Ideologie 103 - AfD und Rechtspopulisten aus CDU-Sicht - Ursula von der Leyen auf dem CDU-Parteitag

in #deutsch6 years ago (edited)

11. Dezember 2018

Aktuell kann man in der deutschen Politik gehäuft die Forderung nach ausgedehnter Repression der Partei Alternative für Deutschland (AfD) hören und lesen. Die Forderung nach einer Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst ist unter den anderen Parteien weitgehend zum Konsens geworden. Ein Abgeordneter im Bundestag, Johannes Kahrs (SPD), hat sogar die Forderung nach einem Verbot geäussert [1].

Man darf also gespannt sein, welche Massnahmen schlussendlich ergriffen werden. Es dürfte auch interessant sein, ob die Führung der AfD sich möglicherweise auf eine Übereinkunft einlassen wird, die ihr die Repressionen erspart.

Dieses Thema wird auch in der in der Folge angefügten Rede [2] behandelt. Ich fand sie bemerkenswerter als die meisten Medien, die sie nahezu gar nicht thematisiert haben. Es ist die Bewerbungsrede der amtierenden Deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (geboren 1958) [3], die sie am Parteitag der Christlich-Demokratischen Union (CDU) vortrug. Sie bewarb sich um die Funktion um eine der fünf Stellvertreter-Positionen der neuen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer [4]. Sie war zuvor schon in dieser Funktion tätig und wurde bestätigt, allerdings mit dem niedrigsten Wert der fünf Stellvertreter, sie erhielt 57,5 % der Stimmen [5].

In ihrer Rede legte sie dar, für welche Ideen sie steht und wen sie als hauptsächliche Gefahr für Deutschland und Europa sieht. Mich hat die Rede nicht überzeugt, weder inhaltlich noch sprachlich. Am Ende gibt es noch Anmerkungen meinerseits dazu.

Die Rede befindet sich im mehr als 11-stündigen Video an der Stelle (7:36:28 - 7:42:18) [2].

Liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde
Ich bin Ursula von der Leyen. Ich wurde in Brüssel geboren, komme aus Niedersachsen und bin in der CDU zu Hause. Ich habe sieben Kinder und einen Ehemann, mit dem ich seit 32 Jahren glücklich verheiratet bin.

Meinen ganz, ganz herzlichen Glückwunsch an Annegret Kramp-Karrenbauer und einen grossen Dank und Respekt an Friedrich Merz und Jens Spahn. Dieser Prozess hat unsere Partei enorm belebt. Und ich finde, dass man richtig spüren konnte, wie das grosse Herz unserer CDU, der letzten verbleibenden Volkspartei, kräftig gepocht und geschlagen hat. Ich finde, dass wir als Partei stolz darauf sein können, wie wir diesen Prozess gemanaged haben.

Es macht Mut für die Zukunft und ich halte unseren Anspruch für richtig. Dass wir sagen, dass wir wieder über 40 % Wähleranteil erreichen wollen. Das ist auch machbar. Wir waren 2013 bei 41 %. Dazu drei Bemerkungen:

1. Es klang schon an. Wir haben stimmen an die AfD und die Grünen verloren. Wir müssen die AfD in die Schranken weisen und wir können das auch. Diese Partei hat nichts, aber auch gar nichts mit bürgerlich-konservativen Werten zu tun. Auf den Parteitagen dieser AfD wird gegen unsere Kirchen gehetzt. Das ist unerträglich. Die Kader dieser Partei marschieren mit den Verfassungsfeinden, der Identitären Bewegung, die unsere Grundwerte mit den Füssen treten. Und wenn diese Kader der AfD marschieren, mit jenen, die den deutschen Parlamentarismus ablehnen, dann sollten wir dafür sorgen, dass die aus den Parlamenten auch wieder verschwinden und wir sie so klein wie irgend möglich machen.

2. Wir haben gegen die Grünen verloren. Das ist besonders bitter. Wir haben es in Hessen gesehen. Obwohl unsere hessischen Freunde einen fulminanten Wahlkampf gemacht haben. Obwohl Volker Bouffier eine hervorragende Landtagswahl- und Regierungsbilanz hat. Aber dennoch haben wir an die Grünen verloren und übertragen auf die Bundesebene heisst das, dass wir wieder die Zukunftsthemen zurückgewinnen müssen. Wir wollen diese Zukunftsthemen wie Arbeit 4.0, Klimawandel, Generationenausgleich und Digitalisierung nicht weiter an die Grünen verlieren. Schon gar nicht an Leute wie Jürgen Trittin oder Anton Hofreiter. Nein, wir wollen die Kompetenz dort wieder gewinnen. Und wir können das auch. Wir hatten 2013 in all diesen Themen die Kompetenzführerschaft inne. Wir waren es auch auf dem Feld der Familie über viele Jahre. Ich weiss, wie gut das schmeckt. Da, liebe Freundinnen und Freunde, wollen wir wieder hin.

3. Ein letzter Punkt. Er betrifft Europa. Mein Vater (Ernst Albrecht, 1930-2014 [6]) ist 1930 geboren worden, ein weiser Jahrgang. Er stand mit 15 Jahren in den Trümmern seines Landes. Er hat dann, nach seiner Ausbildung (Diplom Volkswirt), bei der Montanunion [7] gearbeitet (ab 1954), ist danach nach Brüssel gegangen und hat bei der Europäischen Union (ab 1958) [8] für 17 lange Jahre als Europäischer Beamter gearbeitet (1954-71), zum Schluss als Generaldirektor für Wettbewerbsfragen (1969-71). Das ist der Grund. weshalb ich in Brüssel geboren wurde und dort 13 Jahre gelebt habe. Das heisst, ich habe von Anfang an eingeatmet, dieses Gefühl der Europäischen Union, welches da ist: Frieden, Geborgenheit und Stärke für die Zukunft.

Ich erinnere mich noch daran, als wir Kinder waren. Wir haben in einem flämischen, wallonischen und niederländischen Viertel gelebt und haben viel mit den anderen Kindern gespielt. Aber wir haben uns gelegentlich auch gestritten. Wenn wir uns gestritten haben, das ist jetzt 50 Jahre her, schrien die niederländischen, flämischen oder wallonischen Kinder manchmal uns hinterher: "Nazi, Nazi." Wir haben zurückgeschrien, weil wir kein anderes Schimpfwort kannten: "Vlaamse Kaaskop, Nederlandse Kaaskop." (Kaaskop ist niederländisch und bedeutet naheliegenderweise Käsekopf - Anm.)

Meine Damen und Herren. Ich bin gestern in Munster gewesen, bei unserer Truppe, und habe dort ein neues Panzerbataillon aufgestellt. Dort habe ich erlebt, wie die Niederländer in unser Panzerbataillon integriert sind. Sie haben ihr Panzerbataillon uns in Munster unterstellt und wir haben Teile der Marine den Niederländern unterstellt. Wenn man daran denkt, dass wir vor 70 Jahren noch Todfeinde waren und wir heute einander so sehr vertrauen, dass wir uns unsere Truppen gegenseitig unterstellen, dann wissen wir, welch ein Friedensprojekt diese Europäische Union ist. Diese Europäische Union ist stark, aber sie ist in Gefahr, wie es David McAllister [9] immer zu Recht sagt.

Sie ist in Gefahr durch die Rechtspopulisten, ob es UKIP (United Kingdom Independence Party) ist, die uns den Brexit eingebrockt haben oder ob es die AfD ist, ob es Marine Le Pen ist mit dem Front National (Rassemblement National seit Juni 2018), die Lega Nord in Italien ist, die Griechische Morgenröte oder Geert Wilders (Partij voor de Vrijheid) in den Niederlanden. So unterschiedlich diese Rechtspopulisten auch sind, eines haben sie gemeinsam. Sie wollen unser Europa zerstören und das, liebe Freundinnen und Freunde, das lassen wir niemals zu. In diesem Sinne bitte ich um Ihr Vertrauen, um gemeinsam für unsere Ziele und Werte zu arbeiten. Vielen Dank.


Zu Punkt 1: Bisher hat sich die Union aus CDU und CSU zwar immer wieder von der AfD abgegrenzt und sich über deren Aktionsgebiete empört, aber wirklich etwas getan, um die Wähleranteile der AfD zu verringern oder potentielle und tatsächliche AfD-Wähler für die CDU zu begeistern, hat sie aus meiner Sicht nicht. Zu behaupten, dass das Milieu rund um die AfD nichts mit bürgerlich und konservativ zu tun habe, halte ich auch für eine ziemlich steile These. Denn, ziemlich alle AfD-Wähler und Parteimitglieder, mit denen ich bisher Kontakt hatte, würde ich genau in den Bereich bürgerlich und konservativ einteilen. Ob zwischen "Verfassungsfeinden, der Identitären Bewegung" ein Komma gehört oder nicht, weiss ich nicht. Es wäre aber entscheidend zu wissen, da sich daraus ergibt, ob Frau von der Leyen in der Identitären Bewegung Verfassungsfeinde sieht oder noch andere, die sie nicht näher bezeichnet.

Die Identitäre Bewegung [10] ist sicherlich eine europäische, internationale Bewegung, die von den politischen Eliten der Europäischen Union nicht erwünscht ist. Sie gibt sich heimatverbunden, ethnopluralistisch und bedient sich aktivistischer Strategien, die von Linken seit langem benutzten Vorgehensweisen ähneln. Man lese dazu die Werke des US-Amerikaners Saul Alinsky (1909-1972) [11]. Die Identitäre Bewegung ist somit ausserparlamentarisch-oppositionell. Ihr eine Feindschaft zu den herrschenden Verfassungen nachzuweisen, dürfte dennoch nicht einfach sein. In Österreich endete im Juli 2018 ein Prozess gegen 10 führende Angehörige der Identitären Bewegung mit Freisprüchen [12].

Die AfD kann wie jede andere politische Bewegung selbstverständlich klein gemacht werden. Auf demokratischem Wege geht das, indem man sie überflüssig macht, indem man selbst ein solch gutes Angebot an die Wähler macht, dass diese gar nicht auf die Idee kommen, sich das Angebot dieser Alternative anzusehen. Frau von der Leyen enthüllt ihr Konzept dazu leider nicht.

Zu Punkt 2: Sich selbst zu loben für angeblich hervorragende Arbeit in Wahlkämpfen sehe ich kritisch. Am Ende wird man am Wahlergebnis gemessen. Wenn die Gegner sich höchst unanständiger bis nahezu illegaler Mittel bedienen und damit Erfolg haben, ist das sehr ärgerlich. Aber als Politiker muss man täglich daran Arbeiten, den eigenen Wählern die Bestätigung zu geben, dass sie durch einen genau richtig repräsentiert werden und man in der Lage ist, zu besseren Ergebnissen zu gelangen, als die Konkurrenz es kann. Dies tut man am besten mit einer offenen und ehrlichen Kommunikation. Der Wähler muss in der Lage sein, die politischen Prozesse nachzuvollziehen und verstehen, warum die tatsächlich zustande gekommenen Entscheidungen näher am Optimum liegen als alle möglichen Alternativen.

Zu Punkt 3: Es ist auch mir bekannt, dass Ursula von der Leyens Vater als Funktionär auf europäischer Ebene Karriere machte und danach in der deutschen Landespolitik. Er war mehr als 14 Jahre Ministerpräsident des Bundeslandes Niedersachsen. Das zeigt, dass sie in ihrer Jugend kaum je existentiellen Sorgen ausgesetzt gewesen sein dürfte, aber sonst sagt es kaum etwas über ihre Qualitäten und Leistungsfähigkeit aus.

Zur EU in Gefahr: Längst nicht alle Politiker und Bürger der Europäischen Union, die die EU kritisieren, sind mir wirklich sympathisch. Aber ich sehe, dass es seit geraumer Zeit einen Dissens darüber gibt, wohin die Europäische Union sich entwickeln soll. Von der Vision von den Vereinigten Staaten von Europa über eine freiheitliche, hauptsächlich über wirtschaftliche Verträge verbundene Gemeinschaft von Nationalstaaten bis zur Abschaffung der Währungsunion oder der Europäischen Union ist alles vorhanden. Auch die nahe der Aussengrenzen vorhandenen Konflikte führten schon zu Kritik an der Aussenpolitik, die aus der EU heraus betrieben wird.

Über die politische Strategie nach innen und aussen gibt es im Moment keinen wirklichen Konsens, sondern viel mehr ein permanentes Tauziehen um Einflussnahme und die Durchsetzung der eigenen Interessen. Ein ganz friedlicher Zustand ist das nicht. Das Fehlen einer Vision, die etwa zwei Drittel aller netto Steuern zahlenden Bürger positiv sehen, muss aus meiner Sicht Probleme schaffen, unabhängig vom betrachteten Zeitraum. Wer also eine harmonische Union anstreben will, muss das berücksichtigen und mit allem möglichen Fleiss daran arbeiten, die Interessen der regionalen Leistungsträger einzubinden, nicht nur die der grossen Kartelle der aktuell bedeutendsten Industrien und des Finanzsektors. Gerade deswegen hege ich Zweifel, ob das überhaupt existiert, was Frau von der Leyen als unser Europa bezeichnet.

Ich bin gegenüber allen politischen Parteien und Gruppierungen skeptisch. Sowohl dann, wenn sie meinen, sie könnten ihr Programm ohne Berücksichtigung der bürgerlichen Leistungsträger und der Wähler verwirklichen, als auch wenn sie sich revolutionär geben und politische Programme vertreten, die in der Realität bereits gescheitert sind. Sozialismus international, grün und national seien als Beispiele genannt. Solchen Bewegungen kann man gerne realitätsfremd überzogenes Wunschdenken und einen Hang zu Extremismus, Zerstörung und Zersetzung unterstellen. Wenn es zu dogmatischen Auftritten kommt und die Haltung vorherrscht, dass es entweder zur totalen Machtergreifung kommt oder Untergang unausweichlich sei, bin ich alarmiert und nehme Abstand. Denn, es ist der Menschheit noch nie gelungen, selbst ein Paradies zu kreieren. Wenn ein solcher Zustand nicht hergestellt werden kann, sollte man sich selbst auch nicht anmassen, dazu fähig zu sein. In der Position des Wählers sollte stets der mahnende Satz präsent sein, dass alles, was zu gut ist um wahr zu sein, auch nicht wahr ist. Solche Bewegungen werden nicht selten aus dem Hintergrund gesteuert und finanziert, vielleicht auch von aussen beeinflusst, und fähig, über reisserische Parolen Teile der Bevölkerung aufzuwiegeln.

Wenn es dazu kommt, dass revolutionäre, umstürzlerische Bewegungen an Einfluss gewinnen, zeigt sich deren Gefährlichkeit in der Realität. Falls sie nicht in ihren Ursprüngen bekämpft und überflüssig gemacht werden, können sie eine nahezu unaufhaltsame Eigendynamik entwickeln. Über die Ursprünge ist man heute - weitgehend tatenlos zusehend - hinausgekommen. Dennoch halte ich es für falsch, einseitig sogenannten Rechtspopulisten pauschal die Absicht zu unterstellen, Europa zerstören zu wollen. Solche Bestrebungen mag es geben, aber ich habe bisher vor allem Kritik an dem Vorgehen der politischen, europäischen Integration [13] gesehen. Dieses geht einigen zu schnell, widerspricht den eigenen Zielen und nährt Bedenken, welches Mass an Souveränität die Mitgliedsländer der EU - alles Nationalstaaten - in naher Zukunft überhaupt noch haben werden. Die Vision eines Souveränitätsverlustes wirkt auf heimatverbundene Parteien im Westen und den noch sehr jungen Nationalstaaten im Osten möglicherweise bedrohlich.

Auch die mir von allen genannten Parteien am besten bekannte AfD halte ich nicht für eine Zerstörerin Europas. Im Gegenteil hat sie vor allem bei der Gemeinschaftswährung Euro und deren Rettungsmechanismen Widerstand geleistet, um das Währungssystem von dem gegenwärtig stattfindenden monetären Expansionismus und der erwiesen nicht nachhaltigen Umverteilung zu befreien, um zu einer substantielleren, konservativen Währungspolitik zurückzukehren. Wenn solche Bestrebungen und Kritik an der Bürokratie der EU diese bereits in Argumentationsnöte bringt, leidet sie an einer Schwäche, die sie selbst zu verantworten hat, nicht die oppositionelle Partei.


[1] Rechtsextremismusvorwurf - SPD-Politiker Kahrs fordert AfD-Verbot. Junge Freiheit, 10. Dezember 2018 (krk) https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2018/spd-politiker-kahrs-fordert-afd-verbot/
[2] CDU.TV LIVE: 31.Parteitag der CDU Deutschlands (Tag1). cdutv YouTube Kanal, 07. Dezember 2018
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Ursula_von_der_Leyen
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Annegret_Kramp-Karrenbauer
[5] Wahl der CDU-Vizes Schlechtes Ergebnis für von der Leyen. Spiegel online, 07. Dezember 2018, von als/AFP/Reuters http://www.spiegel.de/politik/deutschland/cdu-parteitag-schlechtes-ergebnis-fuer-ursula-von-der-leyen-a-1242630.html
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Albrecht
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Gemeinschaft_für_Kohle_und_Stahl
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Union
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/David_McAllister
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Identitäre_Bewegung
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Saul_Alinsky
[12] Urteil - Prozeß gegen Identitäre endet mit Freisprüchen. Junge Freiheit, 26. Juli 2018, von (tb) https://jungefreiheit.de/politik/ausland/2018/prozess-gegen-identitaere-endet-mit-freispruechen/
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Integration


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