Finanzpolitik 007 - Daniel Stelter über das «reiche» Land Deutschland 4/4

in #deutsch6 years ago (edited)

03. Oktober 2018

Nachdem letzte Woche die Veröffentlichung der Transkription des zweiten Teils des Gesprächs mit Daniel Stelter [1] in die Zeit der Einschränkungen bei Steemit fiel, entschied ich mich mit der Veröffentlichung der beiden weiteren Teile zu warten. Das Video des Gesprächs [5]:


Teil 4 - Migration, gesellschaftlichen Auswirkungen, persönliche Vorkehrungen

(30:06) - Andreas Franik

Was bedeutet das am Ende des Tages für unser Gemeinwesen?

(30:11) - Daniel Stelter
Für unser Gemeinwesen heiss das, dass wir dem Märchen des reichen Landes auf den Leim gegangen sind und wir quasi über die Art der Zuwanderung wie wir sie derzeit zulassen und fördern diesen Wohlstand weiter unterminieren. In der Folge werden wir uns mit einem Szenario konfrontiert sehen, in dem wir älter werden und Leute aus dem Arbeitsmarkt verlieren. Geschätzt sind es in den nächsten 10 bis 15 Jahren etwa 12 Millionen Erwerbstätige, die dann in Deutschland fehlen.

Über diese Art der Zuwanderung, die aktuell vorherrscht, können wir diese Lücke nicht schliessen oder nur partiell. Auf die verbliebenen produktiven Leute drücken mehrere Lasten. Erstens die zunehmende Alterung der Gesellschaft, die die staatlichen Ausgaben hoch treibt und vonseiten der Politik wird diesen Menschen noch mehr versprochen, wie wir das eben schon diskutiert haben. Zweitens die finanziellen Lasten von Zuwanderern, die überwiegend in die Sozialsysteme einwandern. Drittens sind da noch die sozialen und politischen Spannungen, die sich aus den Punkten eins und zwei ergeben werden.

Wenn wir in unser Szenario noch hineinpacken, dass unsere Industrien in Probleme hineinlaufen, die Automobilindustrie und andere, denken Sie daran, dass alle grossen Industrien Deutschlands dem Kaiserreich (1871-1918) [36] entstammen, abgesehen vielleicht von SAP [37]. Wir haben also ein Szenario vorliegen, in dem

  1. unsere Wirtschaftskraft geschwächt wird,
  2. die Nachfolgegeneration schlechter ausgebildet sein wird als die bisherige,
  3. deswegen weniger verdient wird,
  4. gleichzeitig ein Bevölkerungsrückgang stattfindet,
  5. sind da die Lasten für eine alternde Gesellschaft, für die nicht vorgesorgt wurde und
  6. die Lasten für eine Art der Migration, die weder richtig gesteuert noch bewältigt wird.

Zu diesem Bild sage ich, dass die Politik in den letzten Jahren, die schon vor der Kanzlerschaft von Frau Merkel begann, aber in den letzten 10 bis 12 Jahren verstärkt wurde, eine Politik ist, mit der unser Wohlstand von allen Seiten verfressen wird auf gut deutsch. Entschuldigen Sie, dass ich dieses Wort wähle, aber es ist wirklich so. Der Wohlstand wird verschleudert und man ist nicht in der Lage, für die Zukunft vorzusorgen. Wir investieren nicht in die Zukunft, sondern konsumieren nur.

(32:08) - Andreas Franik

Da noch einmal nachgefragt. Was könnte am Ende all dieser Überlegungen stehen? Sie sind Vordenker, Visionär, Strategieberater, Herr Dr. Stelter. Kann es am Ende des Tages hier gar zu einem Systemcrash kommen? Oder zumindest zu einem Anpassungsdruck, der eine Situation herbeiführt, in der kein Stein mehr auf dem anderen bleibt?

(32:28) - Daniel Stelter
Ja, es steht uns ein erheblicher Schock bevor. Meine Sorge ist, dass gerade dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge, zu denen ich mit Jahrgang 1964 auch gehöre, das Rentenalter erreichen, es nicht mehr gehen wird und dann alles zusammenkommt. Also zusammenkommt, dass man sehen wird, dass

  1. die Sozialsysteme nicht mehr finanzierbar sind
  2. die Eurozone definitiv nicht rettbar, was uns erhebliche Verluste bescheren wird,
  3. die Integration noch offensichtlicher sichtbar nicht gelingt, dass wir es wirklich mit Migration zu tun haben, die uns finanziell und gesellschaftlich kostet.

Dann werden wir in der Tat zu spät erkennen, dass wir unseren Wohlstand bereits verschleudert haben. Diese Sorge habe ich sehr wohl. Das erkennen auch mehr Leute als nur ich.

Anmerkung: Für Migranten, die nach Deutschland kommen, um zu arbeiten dürfte es auch noch weniger als für die Einheimischen eine prickelnde Aussicht sein, künftig vor allem in der Pflicht zu stehen, alte Menschen mit dem überwiegenden Teil des eigenen Einkommens alte Menschen und neue Einwanderer zu versorgen, anstelle sich selbst zu verwirklichen und sich etwas aufzubauen zu können, wie es halb oder ein drittel so hohe Steuern und Abgaben ermöglichen würden. In anderen Ländern geht das und dort gehen die hochtalentierten Menschen auch lieber hin.

Wir haben jetzt ausführlich über die Themen Immigration und Politik gesprochen. In der Diskussion wird gerne unterschlagen, dass etwa 200'000 Menschen pro Jahr Deutschland verlassen [37]. Interessanterweise gibt es keine Statistiken darüber, wer das ist. Über nahezu alles sonst gibt es Statistiken. Nur, wenn Sie jetzt einmal in der Schweiz zum Arzt gehen, stellen Sie fest, dass Sie es mit einem Deutschen zu tun haben. Wenn Sie im Bekanntenkreis sprechen, stellen Sie fest, dass die Hypothese, dass es nicht nur abgelehnte Asylbewerber sind, die diese 200'000 ausmachen, auf der Hand liegt. Es dürfte sich überwiegend um gut qualifizierte und motivierte Menschen handeln, die Deutschland verlassen.

Ich kann das nicht beweisen, aber es gibt sehr starke Indikationen dafür. Wenn das so ist, dann unterminieren wir die deutsche Wirtschaftskraft noch einmal zusätzlich. Es gibt Leute, die erkennen schon, was auf sie zukommt und begeben sich rechtzeitig in ein anderes Land, wo sie sich erhoffen, dass es ihnen in Zukunft besser ergehen wird. Die Politik unterschätzt das völlig. Die Tatsache oder nur schon das Gedankenspiel, dass jemand durch Auswanderung sozusagen aus dem System fliehen könnte, spielt in der Politik keine Rolle. Auch das zeigt die isolierte Blase, in der dort offenbar gelebt wird.

(34:10) - Andreas Franik

Herr Stelter, ich kann Sie nicht gehen lassen, ohne dass wir am Ende über Lösungen gesprochen haben. Was ist denn jetzt zu tun, damit es eben nicht so weit kommt?

(34:20) - Daniel Stelter
Man könnte diese Entwicklung noch aufhalten. In meinem Buch habe ich auch versucht, ein ganzes Kapitel darüber zu schreiben, was sich in dieser Liste wiederfindet. Es ist relativ klar, was wir müssen, nämlich anfangen weniger zu konsumieren als Staat, das bedeutet, dass zukünftige Versprechen zu reduzieren sind, nicht zu erhöhen. Lieber sagt man heute ehrlich, dass man die Renten so nicht bezahlen kann. Uns beiden wird nicht das Rentenniveau bezahlt werden, welches heute versprochen wird.

Wenn wir alt sein werden, können wir dann zu Herrn Heil gehen (Bundesminister für Arbeit und Soziales) und ihn mit seinen Versprechungen konfrontieren. Er wird sagen, dass es ihm Leid tut und etwas dazwischengekommen sei. Dazwischengekommen ist die falsche Politik unter anderem von ihm.

Das zweite ist, dass wir in der Tat heute Staatsschulden machen müssten und dieses Geld dazu verwenden, unser Land auf Vordermann zu bringen. Digitale und physische Infrastruktur, dazu Bildung, Bildung, Bildung. Würde der Staat Defizit machen, hätten wir auch nicht diesen grossen Handelsüberschuss und würden auch mit US-Präsident Donald Trump keinen Ärger bekommen. Wir müssten einen Staatsfonds auflegen, statt unser Geld dämlich im Ausland anzulegen.

Damit soll man dann investieren und ich meine um Gottes Willen nicht, dass der Staat dieses Geld anlegen soll. Wir sollten mit staatlicher Garantie versehen einen Fonds auflegen, der Anleihen ausgibt und in den alle Sparer investieren können. Mit einer garantierten Verzinsung für das Alter plus Gewinnbeteiligung. Der Fonds sollte international, global anlegen ähnlich wie die Norweger. Damit würden wir unsere Renten sicherer Machen und weitere zukünftige Lasten reduzieren. Es gibt eine Fülle von Massnahmen, die getroffen werden können.

Es wäre etwas möglich, aber die erste Bedingung ist, dass sich die Politik eingesteht, das sie seit Jahren auf dem völlig falschen Kurs ist. Zweite Voraussetzung ist, dass die Medien endlich einmal damit beginnen, Druck auf die Politik auszuüben. Die Diskussionen, die über ökonomische Themen geführt werden, bewegen sich auf einem erschreckend niedrigen Niveau und die meisten Bürger kümmern sich auch nicht darum.

Es gilt auch in akademischen Kreisen als schick, sich nicht um das Thema Wirtschaft zu kümmern. Das ist das Grundproblem! Das bedeutet wiederum, dass in wirtschaftliche Bildung investiert werden muss (auch für die sich für intellektuell überlegen haltenden - Anm.). Wir müssen damit aufhören, den Kindern in der Schule ein wirtschaftsfeindliches Irgendetwas zu erzählen, sondern sie aufklären. Die Engländer, ich habe viel mit Engländern zu tun, verstehen wie Zins- und Zinseszins, Hypotheken usw. funktionieren. So gesehen ist es kein Wunder, dass sie mehr Vermögen haben als die Deutschen.

(36:20) - Andreas Franik

Was kann jeder einzelne für sich und seine Familie tun? Das ist eine ganz persönliche Frage, die auch mich interessiert. Auch ich bin Familienvater. Was ist zu tun, um der eigenen Familie eine Perspektive zu liefern? Es gibt nicht wenige, die in der Tat ans Auswandern denken, da kann ich Sie aus dem Gespräch zitieren. Viele verkriechen sich in ihrem kleinen familiären Glück, viele nutzen vielleicht wirklich persönliche Bildungsangebote und investieren zusätzliches Geld, damit aus den Kindern etwas wird. Was glauben und meinen Sie dazu?

(36:50) - Daniel Stelter
Die Sache mit der Bildung ist ganz interessant. Es gibt da eine Kette, die passiert. Erst zieht man um, damit man als Kind aus den Problemschulen herauszkommt. Dann geht man auch aus anderen Stadtteilen raus und besucht eine Privatschule. Dann geht man im Ausland zur Schule und wandert schliesslich komplett aus. Auch das müssen wir sehen, je mehr Kinder im Ausland zur Schule gehen, umso mehr wird auch dieser Talentpool in Zukunft fehlen. Tendentiell gehen eher die besseren raus, die mit motivierten und produktiven Eltern, die sich das leisten können.

Wohin wird das führen? Ich glaube, dass die Antwort einfach ist. Sie heisst, mehr Bildung. Bei jüngeren Menschen muss ich leider immer sagen, dass sie zumindest sicherstellen sollen, dass sie global mobil sind und damit nicht erpressbar von dieser Politik. So dass zum gegebenen Zeitpunkt sagen kann, dass man anderswo bessere Chancen hat und deswegen weggeht. Das ist wie gesagt meine Empfehlung. Es tut mir sehr Leid. Genau weil ich das furchtbar finde und mir das Land Leid tut habe ich das Buch geschrieben. Auch in der Hoffnung, noch einmal einen Appell getätigt zu haben, um für einen Wandel in der Politik zu werben.

Die konkrete Empfehlung ist aber in der Tat, sich gut zu bilden und sich zumindest vorzubereiten, seine Zukunft woanders zu suchen, so schwer das auch fallen mag.

(37:55) - Andreas Franik

Wir haben es mehrfach erwähnt. Sie haben all dies und mehr in diesem Buch niedergeschrieben. Das Märchen vom reichen Land: Wie die Politik uns ruiniert [6]. Es ist erst am 10. September 2018 erschienen, also vor einigen wenigen Tagen. Vielleicht sollte trotzdem schon die Frage nach den ersten Reaktionen gestellt werden.

(38:10) - Daniel Stelter
Sie fielen positiv aus und ich kann sagen, dass der Absatz gut läuft, obwohl noch nicht viele Besprechungen in den Medien erschienen sind. Das Gute an der ganzen Sache ist, wissen Sie, ich glaube, dass jede politische Partei etwas darin finden wird, was ihr gefällt, aber ebenso jede Partei ziemlich sicher vieles darin finden wird, was ihr nicht gefällt. Es ist ein unparteiisches Buch und eines, das wirklich das Ziel hat, im Land eine Diskussion auszulösen. So freue ich mich über jedes Buch, das verkauft wird, über jeden, der darüber spricht und hoffe, dass die Diskussion beginnt.

(38:36) - Andreas Franik

Gestatten Sie mir ganz am Ende unseres Gespräches noch eine persönliche, eine private Frage. Wie gehen Sie für sich persönlich mit all diesen Erkenntnissen um, die Sie in diesem Buch niedergeschrieben haben?

(38:47) - Daniel Stelter
Ich investiere in meine eigene Bildung und die meiner Kinder.

(38:52) - Andreas Franik

Eine klare Antwort am Ende eines langen und sehr interessanten Gespräches. Dr. Daniel Stelter war das, zum Buch Das Märchen vom reichen Land: Wie die Politik uns ruiniert [6]. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg damit, dass Sie gehört werden und dass diese vielen Ansätze auch in der breiten Bevölkerung ankommen. Herzlichen Dank.

Schlusswort

Zum Ende will ich noch den Kommentar anfügen, den ich selbst bei Privatinvestor TV auf YouTube unterhalb des Videos [5] hinterlassen habe:

Herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Es ist erstaunlich, wie sehr meine Intuition als Wirtschaftslaie mit den fundierten Ansichten von Herrn Stelter korrelieren. Eine Anregung für einen Teil eines weiteren Gesprächs wäre das Thema Bildung. Das Wort fiel in diesem Gespräch sehr häufig und ansatzweise wurde auch erklärt wie es gemeint ist. Unter Bildung kann man sehr viel verstehen, Inhalte, die einen wirklich und rasch weiter bringen, solche die zum besseren Verständnis eines Sachverhaltes dienlich sind, aber es gibt auch Bildung, die einen verwirrt, mit Widersprüchen zurücklässt und verhindert, dass man zu sich selbst, seinen Talenten und Fähigkeiten findet.

Herr Stelter hat mit dem Ausdruck, 'man solle Kindern in Deutschland nicht wirtschaftsfeindliches Irgendwas erzählen' wohl angedeutet, wohin die Reise zur echten Bildung gehen soll. Einerseits soll ein wirtschaftliches Verständnis erarbeitet, andererseits auch praktische Erfahrungen gesammelt werden, so dass man jederzeit an einem beliebigen Ort neu anfangen kann. Ich fände es sehr interessant zu hören, ob Herr Stelter auch Anregungen speziell für junge Menschen bereit hat, auch wenn ich aus diesem Alter im wesentlichen entwachsen bin.

Mit herzlichem Gruss aus der Schweiz in unmittelbarer Grenznähe.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Stelter
[5] Dr. Daniel Stelter: „Das Märchen vom reichen Land: Wie die Politik uns ruiniert“. Privatinvestor TV YouTube Kanal, 23. September 2018
[6] Das Märchen vom reichen Land: Wie die Politik uns ruiniert. Daniel Stelter, FinanzBuch Verlag, 2018 https://www.amazon.de/dp/3959721536/ref=cm_sw_r_tw_dp_U_x_N0DQBb7AK056Q
[35] https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Kaiserreich
https://en.wikipedia.org/wiki/German_Empire
[36] https://de.wikipedia.org/wiki/SAP
https://en.wikipedia.org/wiki/SAP
[37] Deutschland - Zu- und Abwanderungen - Immer mehr Deutsche verlassen das Land. Welt.de, 13. März 2018, von Marcel Leubecher https://www.welt.de/politik/deutschland/article174502114/Zu-und-Abwanderungen-Immer-mehr-Deutsche-verlassen-das-Land.html
Anzahl der Auswanderer aus Deutschland von 1991 bis 2016. Statista, 2018 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157440/umfrage/auswanderung-aus-deutschland/
Anzahl der Auswanderer aus Deutschland nach Zielländern im Jahr 2016. Statista, 2018 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157450/umfrage/hauptziellaender-der-auswanderer-aus-deutschland-2009/
Anzahl der Fortzüge von Deutschen aus Deutschland nach Zielländer im Jahr 2015. Statista, 2018 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1037/umfrage/fortzuege-von-deutschen-in-europaeische-laender/


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